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Lärm und Route
Eine Region probt den Aufstand

Don M. Barbagrigia
„Wo waren Sie denn im Urlaub?“ „Ooch, zwei Wochen Malediven.“ „Und wie war so der Flug?“ „Ging so, wir haben es ja nicht weit bis Tegel. Das ist schon klasse, wenn man so gut angebunden ist. Nächsten Freitag holen wir unseren Sohn ab. Der studiert gerade in Amerika und die Tochter hat ein Au Pair auch drüben in den Staaten. Die Kosten für den Flieger muss man da schon mal im Auge behalten. Aber mein Mann macht das schon. Der sucht die günstigsten Flüge im Internet heraus. Ist bloß manchmal blöd, wenn die Kinder drei mal umsteigen müssen..., ach, ehe ich's vergesse, kommen Sie heute Abend zur Bürgerversammlung gegen den Fluglärm und die Flugrouten...?
Sie halten dieses Gespräch für einen schlechten Witz? Na, dann besuchen Sie mal die reichen Gemeinden im Südwesten Berlins! Da werden Ihnen solche und ähnliche Aussagen um die Ohren fliegen. Fragt Sie jemand, was unter dem St. Florians-Prinzip zu verstehen sei – schicken Sie ihn in diese Gemeinden und er oder sie wird schnell begreifen.
Man darf den Aufstand dieser Leute nicht unterschätzen. Teltow, Kleinmachnow und Stahnsdorf sind keineswegs verschlafene Kuhbläken in der Uckermark oder der Prignitz. Hier wohnen überdurchschnittlich viele Leute, welche der Gesellschaft die Richtung geben. Um mit Goethe zu sprechen: viele Hämmer, wenige Ambosse. Das war schon in der größten DDR der ganzen Welt so. Nur, dort wurden lästige Probleme mit öffentlichen Auswirkungen entweder lautlos hinter den Kulissen geregelt, wenn die Macht dazu vorhanden war – oder sie wurden per Ordre de Mufti verfügt und das Volk hatte – wenn überhaupt – lautlos zu murren. Und das Volk fügte sich über Jahrzehnte, weil Bautzen – egal von wo – nur einen Katzensprung entfernt war.
Heute kann man staatliche Entscheidungen in Frage stellen und man tut es. Besonders in diesen Gemeinden, wo man einen eminenten Werteverlust für die Grundstücke und Immobilien fürchtet. Die tröstliche Nachricht, dass in diesem Falle die Erbschaftssteuer nicht so haarig daherkommt, verfängt bei den Ergrimmten wenig. Es ist derselbe Zirkus, wie mit den Asylantenheimen, von dessen Notwendigkeit jedermann überzeugt ist, die aber niemand in der Nachbarschaft haben will. Man ist ja kein Rassist – Gott bewahre – nur „...die negativen Folgen liegen doch auf der Hand! Das wer'n Se doch nicht abstreiten können.“ Diese Haltung lässt sich fortsetzen bei der Neuansiedlung von Gefängnissen, bei Kläranlagen, bei der Erschließung von Energiefeldern von Kohlegruben bis Windkraftwerken. All das wird gebraucht, aber bitte nicht vor der eigenen Haustür. Dass die entsprechende Akzeptanz ein Teil der von jedem Bürger einzufordernden gesellschaftlichen Solidarität ist, beweist, wie dünn es um eben dieses Bewusstsein außerhalb von billigen Sonntagsreden bestellt ist. Ob die Protestierenden des Berliner südwestlichen Umlands, wenn sie denn selbst in den Flugzeugen sitzen, auch nur einen einzigen Gedanken daran verschwenden, wem sie gerade am Boden das Leben zur Hölle machen? Wohl eher selten. Das eigene Hemd ist einem doch alleweil näher als die Hose der anderen.

23. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2009
15.09.2013