Land unter – Brandenburg
in Not
Die Elbe tritt über die Ufer
Die Laterne schaut einsam und traurig
aus der überfluteten Hafenpromenade von Tangermünde.
Michael L. Hübner
Der Anblick ist von einer schaurigen Schönheit, surreal und bedrohlich
zugleich. Der Strom Ostelbiens ist weit, weit über die Ufer getreten.
Die Deiche, welche die Elbe vom Konfluenz der Tanger trennen, sind nicht
mehr zu sehen – selbst das Dach des Pegelhäuschen am Ende des Deiches
ist verschwunden. Für die Nicht-Betroffenen ist es ein schaurig-schöner
Anblick. Für die aber, deren Häuser unter Wasser stellen, ist es die
Nemesis! Elf Jahre früher sah es schon einmal so aus. Damals stand noch
eine Halle auf dem mittlerweile hübsch hergerichteten Hafengelände,
deren Schriftzug „Aqua-Fun“, welcher am Giebel gerade eben noch aus
dem Wasser herauslugte. Das war wohl zu diesem Zeitpunk das meist fotografierte
Motiv – denn es widerspiegelte wie nichts sonst die Tragikomik des Geschehens.
Auf der anderen Seite der Elbe atmete man etwas ruhiger – der märkische
Strom, die Havel, hatte ihre Funktionalität als Wasserstraße des Reiches
längst eingebüßt und an die vielfältigsten Kanäle abgetreten. Sie bewegte
sich in ihrem natürlichen Bett, hatte Auslauf nach allen Seiten und
wurde von keinen wütend angeschwollenen Gebirgsbächen gespeist. Die
Spree, märkische Wiesen und einige kleine Mittelgebirgsflüsschen gaben
das Ihrige dazu, der Pegel stieg schon mal um einen Meter oder anderthalb
– kein Vergleich mit den Pegelständen der Elbe um die zehn Meter. Sind
das hinreichende Gründe zur Entwarnung? Mitnichten. Ganz so schlimm
wie 2002 wird es hoffentlich nicht werden. Wenn sich die Elbe bei Tangermünde
aber wieder bis auf drei Kilometer verbreitert und dann mit ungeheurem
Druck bei Havelberg und Quitzöbel vorbei rauscht, dann kann sie die
Wasser ihrer sowieso schon angespannten, größten Tochter, der Havel,
nicht mehr aufnehmen. Ihre Fluten bilden einen Damm, so gut und fest
und undurchlässig wie der Drei-Schluchten-Staudamm am Gelben Fluss.
Eher drücken die Elbwasser noch in die Havel hinein und stauen sie zusätzlich
an. Diese Welle aber pflanzt sich ruckzuck stromaufwärts fort. Und ehe
man sich's versieht, ist das Elbe-Hochwasser auch in der Havelmetropole
angekommen. Wir kennen das noch: Die überfluteten Gärten südlich der
Homeyenbrücke, die halb abgesoffene Gartensparte „Glück im Winkel“,
die stockigen und feuchten Keller in Nord auf dem Gelände der nur notdürftig
im Niveau angehobenen Musterwiese...
Der Speicher von Tangermünde ist völlig
abgesoffen.
Was ist zwischenzeitlich geschehen? Was passierte mit dem Hochwasserschutz,
seitdem der Deichgraf und jetzige Ministerpräsident Matthias Platzeck
der schockierten und betroffenen Bevölkerung seine ad hoc-Unterstützung
angedeihen ließ? Wieviele Milliarden sind seither effizient verbaut
worden? Warum muss Bitterfeld schon wieder befürchten, von der Goitzsche
ersäuft zu werden? Halb Magdeburg, Mutter Ostelbiens, wird geflutet.
Niemand scheint mit einer solchen Welle gerechnet zu haben? Warum nicht?
Hielt man das Geschehen von 2002 wirklich für ein einmaliges Jahrundertereignis?
Wieder erscheinen die Rettungsmaßnahmen hilflos und überstürzt. Unablässig
keisen Hubschrauber der Luftwaffe über der Elbe und schleppen Sandsäcke.
Trotzdem weichen die Deiche auf und brechen durch. Die Kosten des Heereseinsatzes
sind mutmaßlich um ein Vielfaches höher, als hätte man in den vergangenen
Jahren kontinuierlich und überlegt investiert.
Zusätzlich wird man in der Hauptstadt nicht umhin kommen, die Spree-Wehre
für eine Weile zu schließen, womit man die größte Tochter der Havel
ebenfalls anstaut. Das nimmt zwar etwas Druck aus dem System – doch
schon jetzt, da die durchschnittlichen 100 m³/s Abfluss bei Quitzöbel
längst nicht mehr erreicht werden, hat sich bei Brandenburg an der Havel
die Fließgeschwindigkeit von circa anderthalb bis einem Meter pro Sekunde
auf ein Zwanzigstel reduziert. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die
Havel zu Lasten der in den angrenzenden Wischen, Bruchen und Luchen
ihre alten Territorien wieder in Beschlag nimmt. Sie wird dabei seit
Jahrhunderten verschwundene Seen wieder zum Leben erwecken, wie beispielsweise
in Schmerzke. Das tut außer ein paar Bauern und einigen mit der Gesamtsituation
unzufriedenen Kühen nicht gut – ansonsten ist die Situation als noch
leidlich komfortabel anzusehen.
Dennoch - es gibt wenig Anlass, sich entspannt zurückzulehnen. So dramatisch
wie an den Gestaden der Elbe wird es – wie gesagt – im Havelland nicht.
Die Schäden aber, die zu befürchten sind, reichen aus, um das arme,
seit Jahrzehnten von Pleiten, Pech und Pannen erschütterte, arme Brandenburg
nachhaltig zu schädigen. Auch die Brandenburger müssen die Sünden ausbaden,
welche bei der Fluss-“Bändigung“ des Elbe-Stroms begangen wurden. Es
möge eine Warnung für die Zukunft sein, entsprechenden Plänen der Bundeswasserstraßen-
und Schifffahrtsbehörde entschlossen entgegen zu treten, welche vorsehen,
auch das für den Wirtschaftsverkehr zu Wasser verblieben Strombett baulich
den Erfordernissen der Berufsschifffahrt anzupassen. Die Schäden, die
bei ähnlichen Flutkatastrophen der Heimat ins Haus stünden, würden den
Nutzen um ein tausendfaches übertreffen.
Bis zum Horizont - nur Elbewasser. Die
Hubschrauber schleppen Sandsäcke.