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Zuschauen
und nichts tun
soziale Kälte beginnt beim Einzelnen David Katz Kurz hinter der Ampel, an der Straßenbahnhaltestelle, liegt ein älterer Herr auf der Erde. Gestürzt? Seine Frau beugt sich hilflos über ihn. Sie kann ihn nicht hoch heben. Er ist zu schwer. Der Straßenbahnfahrer der Linie 2 hilft. Aber was sollen die beiden tun? Es ist saukalt, die Boden ist gefroren, die Leute in der warmen Straßenbahn sitzen hinter ihren Fenstern und schauen zu. Niemand der aussteigt, niemand der mit anpackt, niemand der helfen würde, den alten Herrn wenigstens ins Warme zu bringen. Die Kälte kann dem Kranken den Rest geben. Es schert sie nicht. Sie schauen nur. Da sie ihn nicht kennen – warum sollten sie ihm helfen? Der Fahrer des Auitos tritt hart auf die Bremse. Fährt rückwärts, hält an, steigt aus. "Was ist passiert?" Der Termin ist im Augenblick nebensächlich. Ein Mensch ist in Not. Das alleine zählt. Ein kurzer Überblick ergibt keinen Hinweis auf äußere Verletzungen. Eine Kreislaufschwäche vielleicht, ein kleiner Schlaganfall vielleicht, eine Unterzuckerung vielleicht – das lässt sich auf der Straße nicht feststellen und – schon gar nicht behandeln. Der Mann muss ins Krankenhaus und zwar zügig. Der nette Straßenbahnfaherer hilft den Herren auf den Beifahrersitz des Autos zu setzen. Die Ehefrau nimmt hinten Platz und ab geht's. Drei Minuten später sitzt der Kranke in der warmen Rettungsstelle. Den Fahrgästen der Straßenbahn aber sei gesagt: Sie hätten sich nicht in Gefahr gebracht, wenn Sie geholfen hätten, statt sitzenzubleiben und zuzuschauen! Beschweren Sie sich nicht über die soziale Kälte in der modernen Gesellschaft! Wer im Glashaus sitzt... Denken Sie daran, wie Sie über die Teilnahmslosigkeit Ihrer Mitmenschen geflucht hätten, wenn das Ihr Vater gewesen wäre, der da hilflos am Boden lag. Dieser Mann ist mit Sicherheit irgend jemandes Vater. Es ist nur ein Zufall, dass es nicht Ihrer war! |
23.
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B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2009 28.01.2013 |