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Verloren heißt Verloren
Wie Die Bahn ihre Fundbüros abschottet

Don M. Barbagrigia
Die Motorradjacke ist weg. Sie hängt nicht auf ihrem Bügel in der Garderobe, nicht im Schrank, nicht in der Flurgarderobe, nicht im Keller. In der Garage ist sie nicht, im Garten nicht, nicht bei der Freundin und auch nicht im Büro. Verflucht! Morgen soll die Maschine aus der Werkstatt kommen. Nach dreizehn Tagen. Am 12. des Monats wurde die Yamaha abgegeben. An diesem Tage hatte man die Jacke an. Dann verliert sich ihre Spur. Es ist wie verhext – denn außer für das Motorradfahren wurde sie nie angezogen.

Moment, vielleicht doch? Hatte man sie einmal an, als man mit dem Zug ins Büro fuhr? In Frage kämen zehn Tage. Hin und zurück – das macht zwanzig in Frage kommende Züge. Immer zu unterschiedlichen Zeiten. Mal sitzt man schon um halb fünf Uhr morgens im Zug, am nächsten Tag erst um acht. Mal kommt man um 16.00 Uhr zurück, mal erst kurz vor Mitternacht.

Na ja, macht nichts. Die Bahn hat ja ein Fundbüro. Denkt man. Hat sie tatsächlich. Wollen wir mal anrufen? Ätsch! Das Telefon sagt, zu dieser Nummer sei keine Verbindung möglich. Wie auch! Es handelt sich schließlich um eine 0900er Nummer.Über 50 Cent pro Minute. Hä? Ist man durch den erlittenen Verlust nicht schon gestraft genug? Darüber hinaus ist es ja auch höchst unsicher, dass die Jacke angefunden wurde. Aber blechen darf man erst mal. Nein, braucht man nicht. Man lässt ja sein sauer verdientes Geld auch nicht bei den Telefon-Nutten und hat daher die Abzocker-Vorwahlen vorsorglich sperren lassen.

Vom Büro aus geht das auch nicht. „Rufen Sie doch vom Nachbarn an“ sagt die überforderte Stimme der Telefon-Servicekraft der Bahn. Einen blöderen Vorschlag konnte sie gar nicht machen. Die Nachbarn sind gesetzte alte Herrschaften, die mit 0900er Nummern auch nichts am Hut haben. „Tja, dann kann ich Ihnen auch nicht helfen … aber warten Sie mal, da gibt’s doch noch das Online-Formular!“

Schauen wir uns das mal an. Aha, hier kann man also seinen verlorenen Gegenstand sehr dezidiert beschreiben. Aber dann: Die wollen eine Zugangabe. Nee, nicht einfach RE 1. Sie wollen DEN Zug. Denjenigen welchen!

Na, woher soll ich denn das wissen? „Da sind sie aber die absolute Ausnahme. Unsere Fahrgäste wissen alle, in welchem Zug sie etwas verloren haben.“ Alle? Der Fall, dass man erst nach vierzehn Tagen auf den Verlust aufmerksam wird, ist schlichtweg nicht vorgesehen. DER Zug ist gefragt. Kennste den nich, dann is an dieser Stelle Schluss!

Sind die Programmierer dieses Online-Formulars weltfremde Idioten, die ein bisschen php können, aber sonst nicht weiter denken können, als ein Schwein sch... ? Mitnichten! Nicht doch! Wo denken Sie denn hin? Das sind Profis. Genau wie die, welche statt einer 0800er eine 0900er Nummer für das Bahnfundbüro beim Kommunikationsdienstleister orderten.

Aber man gibt ja nicht auf. Die Bahn hat ja noch mehr Servicenummern. Diejenigen, die sich zum Beispiel mit dem Verkauf von Billetts oder BahnCards befassen. Die sind ausgesprochen schnell und billig zu erreichen. Wir versuchen es mal. Die bemühte Service-Mitarbeiterin kann aber auch nicht mehr, als just unser Formular ausfüllen. Dazu benötigt auch sie – DEN Zug! Und nur einen, wenn's geht. Man korrespondiert. Versieht die Mail mit einer Fußzeile, welche alle Kontaktdaten enthält.

Prompt antwortet man seitens der Bahn. Man benötige noch die Kontaktdaten. Das ist der Punkt, an dem man weich und gar gekocht ist. Das ist der Punkt, an dem man nach Luft schnappt. Das ist der Punkt, an dem man einfach nicht mehr kann. Die Idiotie schlägt Purzelbäume. Oder ist das schon pure Bosheit? Auf jeden Fall ist das nicht mehr zu fassen. Dafür gibt’s keine Worte mehr.

Und während man auf dem Bahnsteig noch vor sich hin köchelt, das Smartphone mit der soeben eingetroffenen Nachricht der Bahn auf dem Display, verkündet die Lautsprecherstimme, der ein Zug in die Heimatstadt habe heute 28 (in Worten: achtundzwanzig) Minuten Verspätung. Das ist das Mosaiksteinchen, das noch fehlte, um einen Konzern zu beschreiben, der augenscheinlich zu groß geworden ist, um noch effizient und kundennah zu funktionieren.

Dass die Schwelle, die derjenige überwinden muss, um das Bahnfundbüro zu erreichen, so hoch gesetzt wurde, hat doch Geschmäckle, oder? Das fällt doch auf. Das müsste doch mit dem Teufel zugehen, steckte dahinter nicht Methode.

Die nicht abgeholten Gegenstände werden regelmäßig auf Auktionen unters Volk gebracht. Je weniger sich die Leute wieder zurückholen, desto mehr lässt sich versteigern. Das ist eine Milchmädchenrechnung. In diesem Lichte betrachtet, mutet es schon nicht mehr so merkwürdig an, dass es den Leuten sinnlos schwer gemacht wird, ihre Sachen als abgängig zu deklarieren.

Wie hieß es doch schon vor Jahrhunderten in merry old England: Honi soit qui mal y pense.

23. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2009
04.07.2013