Geselle ist, wer was kann...
Freisprechungsfeier mit viel Pfeffer in Götz
Abb. 1 Für diese drei Kraftfahrzeugmechatroniker
bedeutet der Tag der Freispruch den Start ins Berufsleben
J.
-F. S. Lemarcou
Ungewöhnlich scharfe Worte anlässlich eines an und für sich schönen Anlasses
wurden im Saal des Götzer Zentrums für Gewerbeförderung der Handwerkskammer
Potsdam gehört, als der stellvertretende Kreishandwerksmeister Bernd Böhmer
am 13. Februar 2013 die Freisprechung der ausgelernten Lehrjungens und
-mädels eröffnete. Von den 42 Prüflingen hatten sechs die Abschluss- und
Gesellenprüfungen nicht bestanden und mussten in die "Ehrenrunde".
Eine Durchfallquote von 14,3% war die eine Sache. Eine andere, die dem
Handwerker, der seit 35 Jahren Meister ist, die Zornesader anschwellen
ließ, sind die Ergebnisse, mit welchen 35 der anderen Kandidaten abschlossen.
Es hatte Dreien und Vieren gehagelt. Keine einzige Zwei! Nur der Überflieger,
ein lübischer Jung vom Travestrand mit Namen Birol Oylav legte als frischgebackener
Zimmerer-Geselle viel Ehre für seinen Ausbildungsbetrieb ein. Die Zimmerei
Olaf Meyer aus Busendorf sah mit Stolz auf ihren Gesellen, der sich als
wahrer Glücksgriff erweisen hatte: Er hatte mit einer glatten Eins abgeschlossen!
Handwerkskammern und
-innungen sehen sorgenvoll in die Zukunft. Nicht nur der demografische
Wandel und die damit verbundenen geburtenschwachen Jahrgänge verschärfen
die Nachwuchssorgen. Der Ansturm auf die offenen Lehrstellen hält sich
in Grenzen und aus der geringen Anzahl der Bewerbungen ließen sich regelmäßig
aufgrund enormer Vorbildungsdefizite nur wenige Kandidaten in die engere
Auswahl ziehen. Der anwesende stellvertretende Landrat des Kreises Potsdam-Mittelmark,
Christian Stein, brachte die Befürchtungen der Handwerksbetriebe auf den
Punkt: "Ein Generationenwechsel steht an, aber es steht kaum jemand
in den Startlöchern, der in der Lage wäre, die Betriebe erfolgreich weiterzuführen!"
An gutem Willen, junge Leute auf dem Weg in die Selbständigkeit zu unterstützen,
fehlt es dem Land nicht. Entsprechende großzügige Angebote sind jederzeit
abrufbar. Doch auch eine noch so engagierte Administration kann nicht
ausbügeln, was in sechzehn Jahren an Erziehung und Bildung versäumt wurde.
So nimmt es nicht wunder, dass die Stimmung bei der Freisprechung trotz
der bezaubernden Zitate aus Johann Sebastian Bachs "Wohltemperierten
Klavier" von Lukas Manzke verhalten blieb. Wenn das allerdings ein
Zeichen dafür ist, dass die jungen Leute die Worte ihres stellvertretenden
Kreishandwerksmeisters nachhaltig ventilierten, dann wäre das schon mal
ein guter Anfang!
Interview mit Bernd Böhmer, stellvertretender Kreishandwerksmeister und
Andreas Graf, Obermeister der Zimmerer-Innung aus Jüterbog.
Abb. 2 Der stellvertretende Kreishandwerksmeister
Bernd Böhmer öffnete die Zunftlade auch schon mal freudigeren Herzens.
Preußischer Landbote:
Herr Böhmer, Herr Graf, wie schätzen Die die diesjährige Freisprechung
der Gesellen ein?
G: Die Ergebnisse der Prüfungen sind niederschmetternd. Dreien und Vieren
wohin man blickt. Wir werden mit den Versäumnissen einer Schulausbildung
konfrontiert, die nicht mehr zeitgemäß ist und sich auch nicht mehr an
unseren Realitäten orientiert. Vielen Bewerbern fehlen mittlerweile elementare
schulische Grundkenntnisse aber auch Kenntnisse des Anstands im alltäglichen
Leben. Wenn bei mir einer morgens mit ungeputzten Botten im Betrieb aufschlägt,
schmeiß' ich ihn raus! Die müssen eines Tages den Betrieb und dessen Leistung
dem Kunden gegenüber repräsentieren. Dazu gehört auch ein tiptop-Erscheinungsbild.
Die meisten wissen aber gar nicht, was ich von ihnen will, wenn ich ihnen
das klarzumachen versuche.
B: Die Prüfungsanforderungen sind hoch und werden mit fortschreitender
Technik nicht geringer. Die Jugendlichen, die sich uns vorstellen, sind
alle sehr fit mit ihren Tablets und Smartphones. Links und rechts daneben
brauchst du sie nichts zu fragen. Da ist dann Dunkeltuten.
G: (nickt) Auch ein Handwerker sollte eine solide Allgemeinbildung vorhalten,
mal ein gutes Buch gelesen haben, statt ständig in der Freizeit vor der
Konsole zu hängen. Aber was sollen die Kinder denn auch tun? Im Fernsehen
werden sie mit Formaten zugemüllt, die einer gezielten Verblödung entsprechen.
Die kriegen ja nichts mehr anderes zu sehen.
B: Die jungen Leute müssen sich klarmachen, dass sie lernen, um eines
Tages ein Produkt oder eine Leistung anbieten zu können. Der Kunde bezahlt
mit echtem, hartem Geld und hat demzufolge Anspruch auf eine entsprechende
Leistung.
Preußischer Landbote: Wie wird sich denn die weitere Entwicklung gestalten?
B: Der demografische Wandel macht den Handwerkern zu schaffen. Die geburtenschwachen
Jahrgänge schlagen durch und die Handwerksbetriebe haben Mühe, guten Nachwuchs
einwerben zu können, der den hohen Anforderungen des Ausbildungsberufes
gerecht wird.
G: Aber Hoffnung gibt es: Bei mir war einer, der hatte es arg mit dem
Rechnen. Das wollte nicht so richtig. Dem habe ich gesagt: „Ich gebe dir
drei Wochen, mein Junge. Sieh zu!“ Der kam Tatsache nach drei Wochen wieder
an und konnte sich diesmal ganz passabel präsentieren. Ich habe ihn gefragt,
wie er das hinbekommen hätte. Er wäre zu seiner Mathelehrerin gegangen
und die hätte dann mit ihm geübt! Allein die Initiative zeigte mir: Der
will 'was. Der macht sich Gedanken. Der bleibt dran! Das sind Eigenschaften,
die ein Meister schätzt. Man soll also nicht alle über einen Kamm scheren
und sie nur hart anzupacken ist auch nicht der Weisheit letzter Schluss.
Man muss schon einen Draht zu den jungen Leuten haben, sonst erreicht
man sie nicht. Und dann hat am Ende keiner was davon.
Preußischer Landbote: Wir danken Ihnen für das Gespräch.
Interview mit Birol Oylav, Jahrgangsbester
Abb. 3 Obermeister Andreas Graf gratuliert
dem Jahrgangsbesten Birol Oylav aus seinem Gewerk.
Preußischer Landbote:
Birol, wir gratulieren Ihnen zum phänomenalen Abschluss. Ein glatter Einser.
Nun sind Sie Zimmerer-Geselle. Wie kam das? Wollten sie schon immer mit
Holz arbeiten?
B. O.: (lacht) Mein Vater hält mich für den Einäugigen unter den Blinden.
Nein, eine frühkindliche Affinität zum Werkstoff Holz hatte ich nicht.
Aber einen Beruf zu machen, einfach nur um einen Abschluss in der Tasche
zu haben, das wollte ich auch nicht. Es sollte schon Spaß machen!
Preußischer Landbote: Und das hat es?
B. O.: Und wie! Meinem Ausbildungsbetrieb gebe ich eine glatte Eins.
Preußischer Landbote: Wie sind Sie denn an den gekommen?
B. O.: Ja, quasi auf den letzten Drücker. Ich komme aus Lübeck und hatte
dort ein Praktikum nach dem anderen gemacht, immer gute Bewertungen, immer
mit heißen Aussichten – und dann hieß es doch wieder: Tut uns leid, nichts
frei. Bis dieses Angebot aus Beelitz kam. Dem Meister Meyer hat sehr imponiert,
dass ich bereit war umzuziehen, von Lübeck und der Familie weg, nur um
bei ihm zu lernen.
Preußischer Landbote: Na, der hat's nicht bereut! War ja für Meister Meyer
heute der Innere Vorbeimarsch, dass sein Lehrling so souverän abgeräumt
hat! Hat's Ihnen denn gefallen in der Mark?
B. O.: Sehr! Wunderbar!
PreußenSpiegel: Und – bleiben Sie uns erhalten?
B. O.: Wahrscheinlich nicht! Plan A – ich mache eine Weiterbildung und
dann wieder zurück in die Heimat. Plan B – ich gehe auf die Walz! Aber
auch das mit der Option, wieder in die Heimat zurückzukehren.
Preußischer Landbote:Was müsste denn die Mark tun, um einen so exzellenten
Gesellen zu halten?
B. O.: Die Familie müsste sie herholen! Aber wie dem auch sei – Brandenburg
bleibt in meinem Herzen.
Preußischer Landbote: Wir danken Ihnen für dieses Gespräch und wünschen
Ihnen für Ihre Zukunft alles Gute!
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