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Thessas wilde Party
oder: Warum sollten wir jemanden einstellen, über den wir bei Facebook nichts erfahren können?

B. St. Fjøllfross
Dumm gelaufen, Thessa. Das also war dein „Sweet Sixteen“-Geburtstag! Ein 16. Geburtstag, den du nie wieder haben wirst und den du nie vergisst und den du mit Sicherheit verheult in den Armen von Oma und Opa verbracht hast, statt mit den Freunden, die du eigentlich nur einladen wolltest. 1.500 Geburtstagsgäste, Thessa, so viele haben gerade mal berühmte Politiker oder Größen aus dem Show-Geschäft. Was hast du in deinen sechzehn Jahren geleistet, dass diese Masse Menschen anreiste? Ach ja, richtig: Du hast vergessen, ein Häkchen auf einem Facebook-Formular zu entfernen... Was, mehr nicht? Na, reicht doch, wie man sieht.
Gut, die Gäste, die da kamen, obwohl du in Panik die Party abgesagt hast, waren zugegebenermaßen keine erlesene Gesellschaft, über deren Erscheinen man sich freuen konnte. Außer Randale, Ausnahmezustand, Suff und Zerstörung brachten sie dir nichts mit. Hinterlassen haben sie dir eine verwüstete Straße und den Hass deiner Nachbarn. Wir jedenfalls, wäre unser Automobil, unser Garagendach, unser Zaun zerstört worden, würden das Nächste nach dir werfen, was wir in die Hand bekämen, sobald wir deiner ansichtig würden.
Wer kommt für den immensen Schaden auf, den dein vergessenes Häkchen bei Facebook anrichtete, mit dem du hättest selektieren können, ob du nur einen überschaubaren Personenkreis einlädst oder stattdessen eine Legion von versoffenen Vandalen nach Hamburg lockst? Du etwa? Deine Eltern? Nach dem Verursacherprinzip müsste man dich schon in Haftung nehmen!
„Nein“, werden deine Familie und du spätestens in diesem Augenblick gequält aufbrüllen – „wir sind doch nicht schuld – wegen dem kleinen Häkchen! Das hätte Facebook übersichtlicher programmieren müssen!“ Also Zuckerbergs Truppe... Aber wer zwang denn Thessa ein Konto bei Facebook zu eröffnen? Der Gruppendruck? Die Angst vor der Vereinsamung, die Furcht davor, nicht dabei zu sein, nicht dazuzugehören? Wer? Des weiteren: Wenn ich ein Werkzeug nicht beherrsche, und Facebook ist nichts anderes als ein Werkzeug, dann muss ich die Finger davon lassen! Es setzt sich ja auch niemand hinter den Steuerknüppel eines Jumbojets, wenn er noch nie eine Fliegerausbildung genoss. Die Folgen wären fatal – so wie bei Thessa. Ein falscher Schalter und der Blechvogel liegt unten – kleine Ursache, große Wirkung.
Was also folgt daraus? Dummheit schützt vor Strafe nicht! Aber sagen Sie mal der Generation Thessa, sie sei dumm und oberflächlich! Dann brennt die Luft!
Wenn sich dann jedoch ihre Dummheit in einem solchen Fiasko beweist, dann müssen die anderen schuldig sein. Unbedingt.
Dass die von Thessa eingeladene Horde sich nicht kultiviert benahm, liegt sicherlich außerhalb ihrer Verantwortung. Sie hätte es aber zumindest einkalkulieren müssen.
Dann versuchen wir also der randalierenden Canaille selbst die Last der Kosten aufzubürden. Aber wie? Die haben sich längst in alle Löcher verkrochen, aus denen sie kamen. Die deutsche Polizei machte wieder einmal anschaulich klar, dass sie zu nicht viel mehr taugt, als Pistolen spazieren zu tragen und Beamtengelder zu verfressen. Sie war schlicht überfordert. Die Polizeikavallerie ließ ihre Pferdchen hilflos tänzeln und gab den Partygästen eine Gratisrevue der spanischen Hofreitschule. Klasse! Ein paar Zerstörer wurden festgenommen. Soll man sie pars pro toto für den Gesamtschaden verknacken! Dieser kleine Haufen geistloser Spinner wird den entstandenen Fehlbetrag ebenso wie Thessa zwar nie auch nur ansatzweise ersetzen können – aber es wäre doch immerhin ein Signal!
Das alles löst ein Gefühlsspektrum aus, das vom Amüsement bis zur kochenden Wut reicht, erklärt aber noch nicht die eigentliche Ursache des Übels.
Auch Facebook selbst ist nicht die Diagnose, sondern nur ein Symptom. Das Symptom einer Gesellschaft vermögender Menschen, die je materiell reicher, desto ärmer in ihren geistigen, kommunikativen und emotionalen Fähigkeiten werden. Facebook bedient nur geschäftstüchtig die Tendenz.
Man sehe sich um! Vorwiegend Frauen, zunehmend aber auch Männer rennen wie hohle Gespenster durch die Gegend, die obligaten Ohrstöpsel baumeln von den Köpfen, die Finger eilen fiebrig über die Tasten ihrer kleinen elektronischen Geräte, die man kaum noch als reine Mobiltelephone bezeichnen kann. Die Sucht sich berieseln zu lassen und das unbezwingbare Mitteilungsbedürfnis erregen nur noch ungläubiges Staunen. Beides, Ohrstöpsel wie Mobiltelephone zuhause liegenzulassen oder gar zu verlieren, würde diese Frauen härter treffen als eine Trigeminusneuralgie. Sie wären erledigt! Zum einen wäre ihnen die Möglichkeit genommen, sich abzuschotten von einer Welt, die sie nicht interessiert und von der sie nichts wissen wollen, zum anderen könnten sie ihren virtuellen Platz am steinzeitlichen Lagerfeuer nicht besetzen. Das, was gerade für viele Frauen so eminent wichtig ist, das Gefühl zu einer vertrauten Gemeinschaft dazuzugehören und sich dieses mit pausenlosem, meist sinnfreiem Gequatsche und dem Verschicken von banalen SMS zu bestätigen, wäre nun für eine gewisse, unerträglich lange Zeit nicht möglich – die Folgen wären Herzrasen, Depression, Verlorenheitsgefühle – nun wären sie erst recht einer Welt ausgeliefert, die ihnen in ihrer Fremdartigkeit Angst macht, einer realen Welt, aus der sie sich schon lange verabschiedet haben.
Diese fatale Entwicklung aber setzt früher und früher ein. Mütter schieben ihre Kinderwagen und hören ihren Säugling nicht mehr schreien: Gegen Mamas Kopfhörer mit den dröhnenden Bässen kommt kein noch so intensives Kinderkreischen an. Wenn Mama dann mit ihrer Freundin schwatzt, dann stört das böse Baby. Es hat gefälligst freundlich zu lächeln und im Übrigen die Klappe zu halten, damit Mama mit ihm angeben kann – mehr nicht! Was lernt also das Kind, nennen wir es mal spaßeshalber Thessa – uns fällt gerade nichts besseres ein, wenn es größer wird?
Nun, wir brauchen die Intelligenz unserer verehrten Leser nicht zu beleidigen, indem wir diesen destruktiven circulus vitiosus detailliert beschreiben.
Klein-Thessa also lebt in einer Welt voller Ohrhörer, i-Pads und Facebooks, ohne Vogelgezwitscher, dem leisen Miauen einer Katze und dem Klatschen der Wellen unter dem Steg. Sie käme im Traum nicht auf den Gedanken, ihren Freunden Einladungspostkarten zu senden. Mit der Hand schreiben? Zehnmal dasselbe? Briefmarken kleben? Zur Post laufen? Wie doof ist das denn?
Nein, doof ist das Briefeschreiben nur in den Augen der Doofen. Die deutsche Briefkultur trug einst unendliches zum Reichtum der deutschen Sprache und zur feinsinnigen Gedankenwelt einer Kulturnation bei.
Sicher – die Möglichkeiten der E-Mail-Dienste würden dieses Problem zeitgemäß vereinfachen und verbilligen. Aber das ist doch ebenfalls bereits Mittelalter! Facebook ist in! Fix muss es gehen. Einige dahingestotterte Wortungetüme, zusammengehalten durch eine abenteuerliche Grammatik – und dann: Versenden!
Ja, wenn da nicht der Haken mit dem Häkchen wäre.
Thessa hat garantiert täglich ihre Ohrhörer und ihr „Handy“ dabei, wenn sie ihre Wohnung verlässt. Was ihr passiert ist, kann sie zur Gänze sicherlich nicht einmal erfassen. Es geht ihr wie der Kuh, neben welcher der Blitz eingeschlagen hat. Armes Mädchen! Sie hat doch nur getan, was alle anderen auch tun. Nur einen klitzekleinen Fehler hat sie gemacht. Warum bricht dann diese Nemesis ausgerechnet über sie herein? Weil, es einen treffen muss, Thessa! Einer muss mit seinem Fell dafür herhalten, damit wir, die wir noch Verstand im Kopf haben, über diese Entwicklung nachdenken, ob, und wenn – wie – man sie vielleicht noch beeinflussen kann.
Wir haben wenig Anlass zu Optimismus. Es sind Urtriebe, die Zuckerberg mit seinem Facebook zum Milliardär machten. Dagegen ist kein Kraut gewachsen. Die seelische Verarmung nimmt in den Gesellschaften, die sich Ohrhörer und i-Pads leisten können, unweigerlich und exponentiell zu. Thessa war nur das Opfer des Zufalls. Sicher weiß das arme Kind nicht einmal, was ein Exponent ist. Dafür weiß sie, wie man einen Facebook-Konto einrichtet und wie man „chattet“.
Was hätte sie auch tun können? Woraus sonst besteht ihr Lebenszweck? Was tun, wenn man kein geborenes Alphatier ist? Sich ausklinken? Die Isolation riskieren? Vielleicht. Es gibt noch genügend Menschen, die noch nicht in der geistigen und kommunikativen Versenkung verschwunden sind. Die sich während einer Zugfahrt unterhalten können, gemeinsam die Landschaft genießen, durch die sie fahren. Es gibt noch Zeitgenossen, welche ihre Umgebung interessiert und neugierig beobachten, die keinen täglichen, zermürbenden Kampf gegen die Langeweile führen müssen, weil ihnen diese fremd ist. Weil ihr Kopf voller reicher Gedanken steckt, oder voller Poesie. Weil sie sich diese Poesie eben nicht von irgendwelchen Schlagertröten pausenlos ins Ohr heulen, jaulen, wummern oder säuseln lassen müssen. Diese Männer und Frauen zählen zu der Spezies, die zwar auch häufig ein mobiles Telephon besitzen, dieses aber zum telefonieren gebrauchen und zu sonst nichts. Bei Facebook sucht man solche Leute meist vergebens. Sie sind nämlich noch in der Lage, mit ihren Zeitgenossen direkt, ausführlich, eloquent und geordnet zu reden. Sie können noch Briefe schreiben, gesetzt und stilvoll, aussagekräftig und lesbar. Es sind die Menschen, die über das Beobachtete nachdenken, es reflektieren...
Bevor diese Leute im Internet eine Aktion abklicken, schauen sie genau hin, was sie da tun. Sie lesen das Kleingedruckte und reiten auf den Rücken von Legionen von auf die Schnauze gefallenen Taubnüssen wie Thessa durchs Haifischbecken. Sie schauen zu, und lassen die Dummbratzen blechen und richten ihr eigenes Verhalten danach ein.
Sicher, diese Menschen werden täglich weniger. Aber aussterben werden sie gewiss nicht!
Doch sich zu dem Schritt zu entschließen, den eigenen Grips seinen Fähigkeiten entsprechend zu gebrauchen, verlangt einem Teenager ungeheuerliches an innerer Souveränität ab. Eine Souveränität, welche die meisten Vertreter des Rudeltiers Nackter Affe nicht besitzen – Pech für die Kuh Thessa, äh, Elsa, äh – ach, lassen wir das!
Uns bekommt Facebook nicht, wir werden von keiner Brücke springen, wie jene Schülerin aus England, die durch hässliche, auf den asozialen Netzwerken über sie gestreute Gerüchte in den Selbstmord getrieben wurde.
Die unselige Entwicklung dieser Technik, die uns ein intensiveres Mehr an Kommunikation vorgaukelt, uns aber in Wirklichkeit auf diesem Sektor verarmen und regelrecht ausbluten lässt, ist nicht mehr aufzuhalten. Firmen zwingen das doofe, reflexionsarme Konsumentenvieh, sich darzutun und preiszugeben. Darum geht es, wenn Portale wie Facebook mit aberwitzigen Summen bewertet werden. Die bleiche Morgenröte einer Schönen Neuen Überwachungswelt im Dienste der Produzenten und der Händler, wie sie weder Aldous Huxley, George Orwell noch das Ministerium für Staatssicherheit in ihren wildesten Alpträumen ersinnen konnten, zeigt sich bereits am Himmel. Schade, dass wir Thessa nicht als die Jeanne d'Arc, die Marianne der Barrikaden gegen diese apokalyptische Bedrohung bezeichnen dürfen, wo sie uns doch mit ihrer Aktion einen so eindringlichen Alarm gegeben hat. Doch leider ist sie sich dieses Weckrufes genauso wenig bewusst, wie dessen, was sie da mit ihrer Schludrigkeit in ihrer Hamburger Straße angerichtet hat.
Die im Untertitel enthaltene, ausgesprochen dämliche Frage eines amerikanischen Personalchefs, „Warum sollten wir jemanden einstellen, über den wir in den Internet-Netzwerken nichts finden...“ beantworten wir rigoros: Weil ein solcher Mensch mit einiger Sicherheit ein gerüttlet Maß an Autonomie und Souveränität beweist! Vielleicht sind aber gerade solche Leute in der Schönen Neuen Welt nicht mehr gefragt, jedenfalls nicht in der Masse.
Thessa aber noch einen herzlichen Glückwunsch – wenn schon nicht zum versauten Wiegenfest, dann doch zur reellen Chance eines Erkenntnisgewinns. Das wäre doch mal ein Geburtstagspräsent – viel besser und nachhaltiger als ein neuer Ersatzdildo in Form eines i-Phones oder eine Kiste Alkopops. Na dann, Prost auf den nächsten Geburtstag: Siebzehn Jahr, blondes Haar...

19. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2009
08.06.2011