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Salomo– wo ist Dein Urteil?
Zur rechtlichen Lage der militärischen Intervention in Libyen

David Katz
„Da haben Sie ja einen dramatischen Appell im Sinne der libyschen Rebellen verfaßt. Unserem Herrn Außenminister warfen Sie symbolisch gar einen Schuh an den Kopf, lieber Chefredakteur...“ So sprach neulich der Kulturmann Bajun zum Meister des Landboten. „Aber, “ so fuhr er fort, „sind Sie sicher, dass die Alliierten ihre Luftschläge dort mit Recht durchführen? Und wenn ja, mit welchem Rechte?“
Fjøllfross stutzte: „Was denn, was denn, mein Lieber, sind Sie es nicht, der fortwährend postuliert, Recht habe immer derjenige, der gerade die Macht habe? Sie sind es doch, der das gegenwärtige Recht, welches just auf einem geographischen Fleckchen herrscht, von jeglichem moralischen Empfinden trennt und sich all der brutalen Konsequenzen absolut bewußt ist. Die Alliierten haben nach Ihrer ureigensten Philosophie und Lesart die Macht Gaddafis Truppen zu bombardieren, also haben sie auch das Recht dazu. Ich habe Sie immer gewarnt: Ihre Rechtsdefinition führt am Ende dahin, dass man die Knabenliebe für die Zeit der Antike, die Hexenverfolgung für die Zeit des Mittelalters und am Ende auch den fürchterlichen Judenmord im Dritten Reich für ihre jeweiligen Epochen der Zeitgeschichte legitimierte. Für die Gegenwart müßten Sie folgerichtig den Saudis das Recht zuerkennen, einem Basardieb nach den Gesetzen der Scharia die Hand abzuhauen und dem irren Kim-Klan in Nordkorea aufsässige Offiziers im Kasernenhof lebendigen Leibes zu verbrennen. Alle diese Untaten waren und sind bis heute in ihrer Zeit durch mehr oder weniger wissenschaftliche Erkenntnisse, Rechtsdefinitionen und entsprechenden, freiwilligen oder aufgezwungenen gesellschaftlichen Konsens gedeckt, wurden nur durch Wenige in Zweifel gezogen und erfuhren in der Vergangenheit erst peu a peu und meist sehr langsam eine gesellschaftliche Neubewertung.“
„Nun, “ erwiderte daraufhin der Vize, „das eben macht es ja so schwierig, um nicht zu sagen, unmöglich, einen global übergreifenden Kanon universellen Rechts zu schaffen. Es hat jeder so seinen Standpunkt, seine tradierten und bewährten Überlieferungen, sein geprägtes moralisches Empfinden. Und – wer hat denn die Charta der Menschenrechte ausgeheckt? Das war das christlich orientierte Abendland, das sich selbst damals und auch heute noch eine Führungsrolle auf der Welt zubilligte. Was sagten die Konfuzianer dazu, was die Busch-, was die Australneger? Ein Vater soll seine Tochter nicht windelweich prügeln dürfen, wenn sie mit blanken Brüsten am Strand entlang schlendernd dem Namen der Familie Schande zuträgt? Erzählen Sie das mal einem anatolischen Bauern! Recht ist also immer eine Frage des Standpunktes – das durchsetzungsfähige Recht ist demzufolge die Frage des Standpunktes des Mächtigen. Zwingen Sie den anatolischen Bauern in die Knie und Sie können ihm Ihre Rechtsauffassung aufs Auge drücken. Er wird brüllen, ihm geschehe Unrecht – aber was hilft es ihm? Das Gezeter ist nur eine Ohnmachtserklärung. Später, wenn er Ihrer ledig geworden ist, vielleicht mit Hilfe von Seinesgleichen, dann wird seine Attitüde wieder zu Recht und das „Unrecht“, welches Sie ihm antaten, als sie seiner Tochter die öffentliche Nacktheit gestatteten, bekommt diesen Status wiederum „rechtskräftig“ zugewiesen.“ „Das ist ja alles gut und schön, aber habe ich dem Außenminister nun mit Recht den verbalen Schuh an den Kopf geworfen und kreuzt die „Charles de Gaulle“ mit Recht in der Großen Syrte?“ Der Alte schien nachdenklich. „Bedeutet es nicht, wenn ich der Unterstützung der Aufständischen zustimme, dass ich mich zum Richter über Gaddafi aufschwinge? Müßte ich dann nicht alle Rebellen der Welt unterstützen? Hätte Gaddafi nicht als junger ausländischer Offizier im Rahmen einer afrikanisch mandatierten militärischen Intervention mit demselben Rechte theoretisch den Stasispitzel und Westberliner Polizisten, Meuchelmörder und SED-Mitglied Karl-Heinz Kurras niederballern können, wie einen räudigen Hund, nachdem dieser Benno Ohnesorg ermordet hatte. Hätten nicht ausländische Mächte mit demselben Recht eine Flugverbotszone über Deutschland verhängen dürfen, als die Stummpolizei die FDJler und die Prügelperser die Berliner Studenten niederknüppelten? Da war doch auch nur Gewalt gegen das eigene Volk im Spiel! Wie sieht es aus mit den Demonstrationen gegen die Startbahn West in Frankfurt oder die der Atomkraftgegner von Gorleben? Was ist mit den Ausschreitungen von Heiligendamm? Wir wollen mal beim Durchdenken dieser Dinge von der Tatsache absehen, das Gaddafi, Kurras und die Prügelperser von damals und heute Strolche desselben Schlages sind, auf derselben Seite standen und synchron an Ohnesorg und seinen Mitstreitern gehandelt hätten. Gaddafi sieht sich als regulären und anerkannten Chef und Vertreter seines Landes an. Aufständische wollen ihn absägen, er geht gegen sie vor. Wo also ist, provokant gefragt, das Unrechtmäßige seines Verhaltens? Wo finden wir das, was knallhartes und außerhalb unseres moralischen Bewertungskanons genau zu adressierendes Unrecht ist? Wo? Warum intervenieren die U.S.A., Großbritannien und Frankreich ausgerechnet im Öl-Staat Libyen? Warum nicht in Assyrien, das unter dem Assad-Clan schwer zu leiden hat? Warum nicht in Manama, wo ihre Kumpane, die Saudis, halfen, die bahrainischen Demonstranten auf dem Perlenplatz niederzumachen. Die Alliierten werden sich wohl den Vorwurf gefallen lassen müssen, mit zweierlei Maß zu messen. Hätte sich der verrückte Gaddafi genauso devot verhalten wie Hosni Mubarak oder das saudische Königshaus, hätte er solche Lumpereien wie den Angriff auf den Jumbo über Lockerbie seingelassen und sich darüber hinaus mit den Israelis verständigt – er hätte seine Jets während der Beschießung Bengasis noch auf der „Charles de Gaulle“ zwischentanken dürfen. Denn lange genug haben doch die, welche ihn jetzt am lautesten ankläffen, umschwänzelt – seines Öls wegen. Waren die Deutschen Regierungsvertreter also im Recht, als sie sich mit ihrem Votum der Stimme enthielten, die den Weg zur Einrichtung und Durchsetzung einer Flugverbotszone über dem Wüstenstaat ebnete? Sie waren es und sie waren es nicht! Wie salomonisch... Blöd bei der ganzen Angelegenheit ist, dass sich das Reich selbst den Tritt verpaßt hat, der es aus dem Sicherheitsrat wieder hinausexpedieren wird. Der Traum vom ständigen Sitz ist ausgeträumt. Recht mag eine relative Sache sein – Verrat ist es nicht. Diesen Begriff kennt man in jedem Winkel der Erde und überall ist er gleich negativ besetzt. Die Wehrmacht stand schon einmal vor Tobruk. Sie hat in der Nordsahara nichts mehr zu suchen. Aber helfen – helfen und sich auch militärisch, beispielsweise logistisch unterstützend, positionieren, das hätte man machen können – und müssen! Und mit was? Mit Recht!

19. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2009
25.03.2011