Baaks

zurück zum Landboten

 

Das geflügelte Rad raucht

Neues von der Deutschen Bahn

Don M. Barbagrigia

Die Pleiten der beiden vergangenen Jahre reichten nicht. Wie sehr musste der Staatskonzern Deutsche Bahn um sein ramponiertes Erscheinungsbild kämpfen! Da wurden kleine Mädchen mitsamt ihren Musikinstrumenten auf der einsamen Strecke ausgesetzt, weil sie ihre Monatskarten vergessen hatten; da wurden Passagiere im Vorzeigezug ICE bei ausgefallener Klimaanlage auf kleiner Flamme geröstet; Personal wurde massiv zu Lasten des Reisekomforts ausgedünnt, während die Billettpreise allerorten in die Höhe schnellten und die Unpünktlichkeit der Züge nahm zu und zu. Das Volk wurde rebellisch – speziell die Berliner, als ihre unentbehrliche und geliebte S-Bahn im Jahre 2010 auch noch zu allem Übel dem Kollaps entgegen raste. Herr Mehdorn - ein Manager des Neuen -, das heißt des Schlechten Stils, wollte die Bahn an die Börse bringen, um jeden Preis! Den sollten natürlich Bahnpersonal und Fahrgäste zahlen, ja, wer denn sonst!

Mehdorn wurde, als der Grad seiner Unerträglichkeit höher wurde als die Bilanzen seiner Bahn in die Tiefe schossen, endlich abgesägt. Rüdiger Grube trat das schwere Erbe an, belastet mit Hypotheken, vor denen man schier in die Knie ging. Was für traurige, Abbitte leistende, von Abgeordneten der Berliner Volksvertretung auf Streichholzschachtelformat zusammengefaltete Figuren gaben er und seine Adlati doch ab, als sie sich des S-Bahn-Desasters wegen zu verantworten hatten. Spandau war plötzlich von Berlin abgeschnitten..., nicht ganz, U-Bahn und Busse fuhren ja noch. Siemensdamm und Heerstraße aber stöhnten!

Zu Ostern verteilten die Mitarbeiter des geflügelten Rades dann in der Ersten Klasse der Regionalexpress-Züge kleine Schokoladenosterhasen an die Passagiere. Ob es das brachte?

Nun ja - unsympathischer wurde der Konzern dadurch nicht. Aber was er minimal aufbaute, just das beginnen einiger seiner Vertreter wieder großflächig einzureißen.

Da will man beispielsweise die Fahrgäste vor dem stinkenden Rauch der Zigaretten schützen, denn was tun viele Mitmenschen, wenn sie auf den Zug warten? Sie langweilen sich. Langeweile ist der Sport der Dummen - und die Dummen bilden die breite Masse. Also halten sie sich in einer Art Übersprungshandlung an dampfenden Kaffeebechern fest, fressen und mümmeln und krümeln um die Wette und - rauchen. Wie die Industrieschlote! Nicht unbedingt dort, wo die Bahn es ihnen in extra eingerichteten Raucherzonen noch gestattet. Nein, dort, wo sie immer geraucht haben - die volle Länge des Perrons ausnutzend. Auf dem gegenüberliegenden, beinahe leeren Bahnsteig defilieren zwei Sicherheitsbedienstete der Bahn mit auf dem Rücken verschränkten Händen vor sich hin und unterhalten sich einträchtig. Über die Raucher und die gegen dieses Übel zu ergreifende Maßnahmen etwa? Ja, wie naiv sind Sie denn? Das schert sie nicht im Geringsten. Gerade sowenig wie die Beamten der Bundespolizei, die für die Gleisanlagen und Bahnhöfe zuständig und befugt ist Strafgelder zu verhängen. Martialisch haben sie sich am Ausgang des Bahnhofsgeländes postiert, wem auch immer zur Drohung. Derweil kalkuliert man, was den Steuerzahler und den Bahnkunden diese uniformierten Müßiggänger pro Minute kosten und ist entsetzt.

Aber es soll noch dicker kommen. Im eingefahrenen Zug auf Gleis 1 des Brandenburger Hauptbahnhofes Platz genommen, weitet ein schier unfassbarer Anblick vor dem Fenster die Pupillen. Man greift sich an den Kopf, man tut sich schwer die Szene einzuordnen: Da sitzt eine blonde Nymphe mit langen Haaren und einer Brille auf der Nase im Wartehäuschen auf einer Sitzgelegenheit und schwatzt angeregt mit ihrem dicken Kollegen, der zwei Plätze neben ihr Platz genommen hat. Warum sie nicht neben ihm sitzt? Na, vielleicht ist er zu fett. Oder hat sein Deo versagt? Nein, alles Quatsch. Auf der Sitzfläche zwischen den beiden ruhen die Füße der Sirene, verpackt in dreckige Maurerteppen, die seinerzeit als Sicherheitsschuhwerk für Bauberufe über den Ladentisch gingen. Dazu passend trägt die Jungfer einen grünen Overall, der sie mit dem unverkennbaren Logo der Deutschen Bahn als Mitarbeiterin des um sein Image ringenden Staatskonzerns ausweist. Und während sie da gluckt und quatscht, was tut sie? Sie raucht! Unverfroren. Die Raucherinsel ist weit, weit entfernt. Zwanzig, dreißig Meter mindestens. Viel näher sitzt ihr da die Zugbegleiterin - nämlich auf dem Nachbarsessel. Was tun die anwesenden Sicherheitsleute in ihren blauen Uniformen? Sie defilieren. Was tun die Bundespolizisten? Sie glotzen. Gibt es sonst noch Leben auf dem Bahnsteig? Aber ja - eine Horde Jugendlicher wuselt mit Fragebögen über den Wartebereich und befragt die Fahrgäste, die unvorsichtig genug sind sich auf ein Gespräch mit ihnen einzulassen, über das subjektive Sicherheitsempfinden auf dem Gelände des Brandenburger Hauptbahnhofes.Gott sei Dank, die Schaffnerin pfeift dem Lokführer und zeigt die grüne Kelle. Der Regionalexpress ruckt an und entzieht dem erschütterten Bahnkunden das unwirklich anmutende Bild von den Augen.

So also poliert die Bahn das arg lädierte Bild auf, das die Öffentlichkeit nach den letzten Blamagen von dem Riesenbetrieb gewann. Die ideale Ergänzung zu den Hochglanzbroschüren und den vollmundigen Ankündigungen.

Haben wir der Bahn die Gelegenheit gegeben zu den hier beschriebenen Vorfällen Stellung zu nehmen, oder schießen wir hinterrücks aus dem Gebüsch? Als treue Leser des Landboten wissen sie, dass die Preußische Armee keine Heckenschützen ins Feld stellt und Freikorpsleute sind wir nicht. Natürlich schrieben wir die Bahn an. Was wir beobachteten, trug sich am 12. Mai 2011 um 10:22 Uhr zu. Die Information darüber ging der Bahn zeitnah zu, die recht schnell antwortete, sie hätte die Problematik zur weiteren Bearbeitung und Beantwortung an das Bahnhofsmanagement des Brandenburger Hauptbahnhofes weitergeleitet. Seitdem - Stille.

Wie lange braucht man, um einen zeitlich und örtlich so präzise eingegrenzten Vorgang zu eruieren?

Uns jedenfalls rennt die Zeit davon. Als einer unserer Kulturredakteur, just der, welcher das Ganze beobachtete und auch sonst wetterte, dass er in den massiv überfüllten Stoßzeitzügen oft nur noch einen Stehplatz Erster Klasse ergattern könne - na klar, er hat Anspruch auf Beförderung, nicht aber auf einen Sitzplatz - am nächsten Tage von Berlin Friedrichstraße zurück nach Brandenburg an der Havel fuhr, da hatte er seinen Sitzplatz. Das ganze Abteil war frei - was Wunder, bei über 30°C und ausgefallener Klimaanlage verzichteten auch die hartgesottenen Inhaber eines Übergangsbilletts auf ihr Privileg, im oberen Stock des Servicewagens reisen zu dürfen. Herr Bajun hielt durch, rang aber ab Grunewald mit erheblichen Herzproblemen, die er erst überwand, als die Klimaanlage in Höhe Wannsee wieder ansprang. Auch so bekommt man unliebsame Kritiker los, nicht wahr? Also dann liebe Bahngäste, allzeit gute Fahrt, ein dickes Fell und zwei blinde Augen! Vielleicht verteilen ja die Mitarbeiter des Geflügelten Rades zu Pfingsten an ihre nicht rauchenden Fahrgäste Gasmasken. Das wäre doch mal eine Sympathieoffensive!

19. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2009
19.05.2011