Hamburg ist wieder rot
B. St. Fjøllfross
Das rote Hamburg ist wieder mit sich selbst im Lot. Die ersten Landtagswahlen
des Jahres verhalfen der Hamburger SPD zu einem atemberaubenden Sieg.
Die CDU der Hafenstadt muss sich nun mit den kleinen Parteien um ein
paar Sitze in der Bürgerschaft balgen. Neben ihr wurde die Grün-Alternative
Liste, die sich mit den Schwarzen durch die letzte Legislaturperiode
koalierend hindurchgewuselt hatte, bis sie feige das sinkende Schiff
verließ, kräftig abgewatscht. Man möchte, was die Grünen
anlangt, meinen, die Hanseaten hätten den Kanal voll von substanzloser
Schwätzerei. Ach, wenn es doch so simpel wäre!
Einfach und überschaubar ist im Augenblick lediglich die politische
Situation: Die SPD knackt beinahe die 50%-Marke und alle anderen politischen
Parteien, die den 5%-Sprung in die Bürgerschaft bewältigt
haben, könnten sich in einer Regenbogenkoalition bei den Händchen
fassen – sie würden nicht einmal in die Nähe der SPD
kommen. Das bedeutet, was immer die rote Alleinherrscherin auf dem Achterdeck
für Kommandos gibt – es wird durchgewunken. Man sieht schon
die Gähn-Orgie auf den linken Bänken des Rathauses, wenn sich
die Genossen, um dem Protokoll zu genügen, die Beiträge der
Opposition anhören. Die Arbeit in den Ausschüssen wird sich
adäquat gestalten. Herzlichen Glückwunsch SPD!
Aber Vorsicht! Regieren ohne Geld im Beutel macht keinen Spaß,
vor allem, wenn man den Wählern gegenüber im Worte steht.
Des weiteren hat eine ausgewogene Machtverteilung den Vorteil, dass
um jede Maßnahme gerungen werden muss. Jeder Koalitionspartner
muss sich kompromissfähig erhalten, muss zwingend geistige Arbeit
leisten um argumentativ überzeugend zu bleiben. Pro und Kontra
einer Sache treten bei einer solchen Entscheidungsfindung deutlich zu
Tage. Das alles entfällt, wenn man per Ordre de Mufti anweisen
kann. Die Gefahr, fehlerhafte, unausgegorene oder mit der heißen
Nadel gestrickte politische Weisungen auszugeben ist also weitaus größer,
als bei Konstellationen, die zur politischen Absprache mit dem Koalitionspartner
und zum Ausgleich mit der Opposition zwingen.
Vor allem bei Hamburg lohnt es sich, den Gründen genauer nachzuspüren,
die zu der fulminanten Umwälzung führten. Zum ersten hat die
Kanzlerin recht, wenn sie die Wahl am Ufer der Elbe in die Nähe
einer Personalwahl rückt. Ole von Beust war ein Schwergewicht,
eine Identifikationsfigur. Als dieser Kapitän mit Gesicht und Charakter
im Zuge der großen schwarzen Rückrittswelle abdankte, stürzte
Hamburg in ein Loch. Zeitgleich wurde von einer traditionellen CDU-Stammwählerschaft
das hervorragende Bildungsreformprojekt aus rein egoistischen Gründen
an die Wand gefahren. Die Ohrfeige, die damit eine Klientel ihrer eigenen
Interessenvertretung verpasste, kam schon einem vorweg genommenen Mandatsentzug
gleich. Obwohl die Bildungsreform für die Gesamtentwicklung Hamburg
eher eine nachgeordnete Bedeutung hatte, wurde sie aufgrund dieses unerhörten
Vorgangs in der Öffentlichkeit wie das Flaggschiff der schwarz-gelben
Armada wahrgenommen. Als dieses scheiterte, war der Untergang der regierenden
Parteien quasi beschlossene Sache, auch wenn die Grünen 1,6 Prozentpunkte
zuzulegen vermochten. Die CDU bekam zusätzlich die Bürde aufgehuckt,
für die Arroganz des Baden-Württemberger Parteifreunds und
Ministerpräsidenten Mappus blechen zu dürfen. Der Krawall
um den Stuttgarter Bahnhof wurde auch in Hamburg deutlich vernommen
und wir dürften nah bei der Wahrheit sein, wenn wir unterstellen,
dass auch am Elbufer auf den Sack eingedroschen wurde, wo der Esel gemeint
war. Und dann kam noch ein Moment hinzu, das gerade den Bewohnern der
Waterkant nur allzu bekannt ist: Eine Springflut. Eine politische Springflut
sozusagen. Es ist allbekannt, dass politische Wechsel bei der Wählerschaft
nach einem gewissen Zeitraum, also nach maximal zwei Legislaturperioden,
beinahe gesetzmäßig einkalkulierbar sind. Insofern lautete
die Botschaft nach Berlin: Frau Dr. Merkel, wir haben uns alle gefreut,
dass Du, Hamburger Deern, die erste deutsche Kanzlerin gewesen bist,
dass Du uns gut durch die Weltwirtschaftskrise gesteuert hast, dass
Du..., … aber nu is gut!
So, wie man einst des Helmut Kohl überdrüssig geworden ist,
so arbeitet man nun bundesweit daran, sich seiner politischen Ziehtochter
zu entledigen, die einst den Papa aufs Altenteil geschickt hatte. Unglücklicherweise
war auch Hamburg zu diesem Zeitpunkt schon bis zum Überdruss CDU-regiert.
Das politische Establishment hatte sich bereits bis zur Profillosigkeit
verschlissen und brüllte regelrecht nach Ablösung. Addiert
man all diese Komponenten zusammen, dann errechnet sich leicht die Höhe
des roten Tsunamis von über 48% der Wählerstimmen, der über
die Elbdeiche alles Schwarze, Gelbe, Grüne und Ultrarote hinwegfegte.
Letztere übrigens erlitten weder einen Verlust, noch konnten sie
ein paar Stimmen hinzugewinnen. In der Stadt Ernst „Teddy“
Thälmanns mit 6,4% dahinzudümpeln ist für sie sicherlich
genauso peinlich, wie für den traditionellen Vertreter der hanseatischen
Kaufmannschaft: Das gelbe Dinghi liegt mit 6,6% auch gerade einmal 16
cm über der Wasserlinie. Wahrschau! Der rote Ozeanriese kommt!
Und er wird Wellen schlagen!
Für die bundesdeutschen Konservativen ist die Hamburger Bürgerschaftswahl
ein Menetekel. Gewogen, Gemessen und zu leicht befunden, obwohl sie
während der schlimmen Zeit seit dem großen amerikanischen
Bankenkrachen mehr als nur ganze Arbeit geleistet hatten und Deutschland
trotz der erforderlichen Neuverschuldung in Richtung eines Rekordhochs
von 2 Billionen Euro auf einen Konsolidierungskurs gebracht hatten.
Nun wird die SPD sich den Schweiß von der Stirne wischen, und
sagen: „Kinders, jetzt haben wir uns aber ein schönes, großes
Eis verdient!“ Dass heißt, die Zeit ist gekommen, sich zurückzulehnen,
das von der CDU Vorbereitete zu genießen und den Schuldenberg
heimlich auf 3 ½ Billionen Euro anwachsen zu lassen. Schwarze
Arbeit, rote Feste... Juchei! „Kurs der unsinkbaren roten Titanic
liegt an! Schulden-Eisbeg voraus. Volle Kraft voraus und – draufhalten,
Männers! Der lecke, kleine schwarze Ewer, die roten, gelben und
grünen Beiboote müssen mit – ob sie wollen, oder nicht.
Das rettende Land ist ja nicht weit entfernt, nur vier Kilometer...
aber leider eben – nach unten! Doch wen stört schon so ein
kleiner Schönheitsfehler! Kapitän Olaf Scholz wird das Blaue
Band schon holen. Er ist ein Guter, ein Bescheidener, ein honetter Mann
– da lassen wir nicht dran rütteln. Er hat die Leute von
der Straße abgeholt und jeder, jeder bekam ein Ticket für
den roten Vergnügungsliner.
Übrigens – die 43 Prozent Wähler, die glaubten, nicht
absaufen zu müssen, weil sie mit ihren Hintern zu Hause geblieben
sind, sollten sich nicht zu früh in Sicherheit wähnen. Bei
Wahlen hinter dem Ofen hocken zu bleiben, hat noch nie der eigenen Sache
gedient. Es nutzt immer nur den Anderen. Na, dann Hamburg: Vollzeug
gesetzt und Kurs Bremer Haushalt, volle Kraft voraus!