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Am längeren Hebel sitzen – wir!
Das Arbeitsamt will's wissen

Don M . Barbagrigia
Wenn es sie nicht gäbe – man müßte sie glattweg erfinden. Geschaffen, um zwischen den Arbeitssuchenden und den Arbeitgebern auf dem Arbeitsmarkt zu vermitteln, stellte sich die Agentur der Arbeit seit geraumer Zeit einer weiteren Herausforderung: Sie will den Arbeitslosen zeigen, wo sie hin gehören. „Na, in Arbeit“, werden Sie jetzt sagen... Blödsinn! Sie gehören in die Bittstellerposition, den Hut ergebenst in den Händen drehend, den Blick demütig gesenkt. Deshalb reden einige Mitarbeiter der Agentur für Arbeit mit ihren „Kunden“ auf eine Art, wie es sich kein Geschäftsmann auch nur ansatzweise wagen würde, mit seinen Kunden umzuspringen.
Die Arbeitslosen, das sind mehrheitlich Leute, um die sich kein „Headhunter“, zu deutsch „Kopfjäger“, reißt, sonst wären sie ja nicht arbeitslos. Klingt irgendwie logisch, oder? Im weiteren Verlauf ist man berechtigt, auf den Wert der wenig bis gar nicht Umworbenen zu schließen – meinen zumindest einige Angestellte der Agentur für Arbeit. Es ist der Wert der Ladenhüter, des Nichtsnutzigen, Störenden.
Beileibe nicht alle Mitarbeiter der Agentur für Arbeit denken so. Ganz im Gegenteil! Die Begegnungen mit Vermittlern häufen sich, die in Gesprächen erkennen lassen, dass sie hinter der Fassade dessen, der ihnen gegenüber sitzt, oftmals sehr wohl das Potential des Menschen erkennen, sein hartes und doch vergebliches Bemühen, die widrigen Umstände, unglücklichen Verkettungen und all das Leid, das dahinter steht. Diese Mitarbeiter sind sehr wohl in der Lage zu begreifen, dass auch die Fliege, die auf der Klatsche sitzt, geklatscht werden kann. „Hodie mihi, cras tibi“, pflegten die alten Römer zu sagen, „heute ich, morgen du!“
Einigen aber ist dieser Fakt eben noch nicht eingängig. Da werden uns Vorfälle wie dieser bekannt: Ein arbeitsloser Mann möchte telephonischen Kontakt zu seiner Vermittlerin aufnehmen, um ihr eine Kleinigkeit mitzuteilen, die doch aber für den nächsten Termin Bedeutung haben könnte. Er ruft an – o segensreiche Erfindung der Fernsprechtechnik, o Fluch derselben – er landet in einer landesweiten Telephonzentrale. Es meldet sich ein Fräulein vom Amt, das sich zunächst einmal über die Identität des Anrufers versichern will. Sie fragt ihn ab, wes Namens und Geburtsdatums er sei und wo er derzeitig adressiere. Der Mann gibt Auskunft. Der Gebührenzähler des Arbeitslosen tickt unverdrossen vor sich hin: 3,9ct pro Minute – nu, das läppert sich. Denn das Fräulein vom Amte ist noch keineswegs gewillt, das Anliegen entgegenzunehmen. Jetzt möchte sie die Mobilfunknummer des Anrufers wissen, gleichwohl er übers Festnetz telephoniert.
Er ist nun – Gott hat es so gewollt – keine Frau. Das heißt, das Mobilgerät ist Gegenstand permanenter Suche, die Nummer hat er nicht im Kopf, warum auch – er vertelephoniert im Jahr vielleicht um die zwanzig Euro, verflucht, wo steckt das Gerät, wie lautet die vermaledeite Nummer?
Und dreimal verflucht - wozu ist sie wichtig? Er hat sie seinerzeit in der Agentur für Arbeit hinterlegt, auf dass man ihn rasch erreichen könne, wenn ein aussichtsreicher Arbeitsplatz im Fadenkreuz der Vermittlerrecherche erscheint. Nein – ohne die Nennung der Mobilfunknummer schmeißt ihn das Fräulein vom Arbeitsamt aus der Leitung, schnoddrig, eiskalt, gnadenlos. Erneut muss der Arbeitslose zum Hörer greifen, die Wählscheibe rotiert, klack, klack, macht der Gebührenzähler, die Telekom erfreut sich weiterer leicht verdienter 3,9ct. Oder waren es über das ganz blödsinnige Gefasel und Diskutieren bereits 7,8ct oder ein Vielfaches dessen? Den Gören am anderen Ende der Leitung ist das scheißegal – es ist nicht ihr Geld. Nach kerndeutscher Manier berufen sich diese Damen auf ihre Dienstvorschriften. Da möchten wir doch gleich die Hacken zusammenknallen, es zuckt im rechten Arm, wir erinnern uns des Dr. Seltsam aus dem Kubrickfilm und greifen rasch mit der linken Hand zu und halten die zackig aufstrebende Gliedmaße im letzten Augenblicke fest. Mein Gott, wie tief doch das noch in der kerrrndeitschen Seele drinnen steckt, wie unheimlich! Der dritte Anruf dann bringt dem Arbeitslosen endlich die Erlösung. Ein junger Mann spricht mit ihm und bezeichnet das Verhalten seiner Kolleginnen als idiotisch. Allah sei Dank und der Name des Propheten sei gepriesen! Es gibt sie noch – die mit einer Vernunft begabten Vertreter der Spezies Mensch, die sich nicht nur bis zum Mond, sondern noch darüber hinaus über gehaltlose Dienstvorschriften zu erheben vermögen! Der Mann ist freundlich, er hilft, er richtet aus, die Vermittlerin bekommt ihre Information, die Telekom ihr mittlerweile 39ct und alle außer der Arbeitslose sind glücklich. Der wünscht derweil den beiden dienstbeflissenen Telephon-Schnepfen, die stur und unfreundlich auf ihrer Mobilfunknummer und den daran hängenden, vollkommen idiotischen Dienstvorschriften beharrten, noch viele Arbeitslose, die das Klischee des dummen, faulen, pöbelnden und ätzenden Prolls erfüllen, auf dass ihnen die Ohren klingeln mögen und sie am Abend an der Seele zerfressen in Albträumen versinken.
Das ist nicht recht von ihm, das wissen auch wir und er weiß es auch – aber für die eigene Seelenhygiene ist die Vorstellung eines beim Psychiater wimmernden Telephondrachens wie lindernder Balsam. Arbeitslosigkeit ist für die Betroffenen schon an sich ein Fluch. Kommt aber noch die Bestie der menschlichen Dummheit hinzu, dann wird die Geschichte zu einer Hölle, der man den gnadenlosen Kampf ansagen muss. Warum wir so hart in der Wortwahl sind? Wir haben Dr. Seltsam nicht umsonst zitiert. Noch nicht lange her ist die Zeit, da aufgrund nüchterner Dienstvorschriften und ihrer übereifrigen, unkritischen Befolgung durch Menschen ganz andere Nummern abgefragt wurden. Und damit niemand die Seinige vergißt, so wie der Arbeitslose seine mobile Anschlußkennung, tätowierten Deutsche, deren Menschlichkeit ebenfalls unter einem Berg von Dienstvorschriften begraben lag, sie ihren Opfern gleich auf die Unterarme...
Wenn wir indes bedenken, der Arbeitslose könnte sich ohne Genehmigung des Arbeitsamtes mittlerweile mit einem neuen Gerät versorgt und die alte, überflüssig gewordene Nummer vergessen haben, ebenso versäumt haben, die neue Nummer „seiner“ Agentur mitzuteilen, so empfehlen wir die gute alte PKZ aus der DDR. So in der Art: 130267508815. Das ist Ihre? ’Tschuldigung! Besser also – die Steuernummer! Dann werden alle Partner gleichermaßen daran erinnert, wer den Wahnsinn zu einem erklecklichen Teile mitfinanziert. Wenn Sie jetzt aber hoffen, ich nenne Ihnen die Meinige auch noch, dann enttäusche ich Sie: Ich werde mauern bis zum letzten, so wie ich an der Baumarkt-Kasse ewig die falsche Postleitzahl angebe. Ich sage Sie Ihnen sowenig, wie der Arbeitslose mit seiner Mobilfunknummer rausrückte. Schon aus Prinzip nicht! Denn das geht weder die Agentur noch ihre retardierten Call-Center-Girls auch nur einen feuchten Dreck etwas an!
Es ist des Preußischen Landboten ureigenste Attitüde, für die zu sprechen, die sonst kein Podium finden und keine Stimme haben. Wir stehen fest in Solidarität an deren Seite. Und daher werden wir diejenigen, die vom hohen Rosse herab diese armen Menschen malträtieren, etwas anderes wissen lassen: Es betrifft den Wert und die unveräußerliche Würde auch und gerade von Arbeitslosen, die der von den sogenannten „Säulen der Gesellschaft“ um nichts, aber auch gar nichts nachsteht. Und so, wie diese kleinen Call-Center-Mamsells mit Magnaten und Politikern, Vertretern der Chefetagen oder Vorgesetzten höflich flöten und wispern würden, so wie sie sich als Kundin in einem Laden behandelt zu werden wünschen – so werden sie auch mit denen Arbeitslosen Umgang pflegen. Sonst lernen sie uns kennen!

19. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2009
27.03.2011