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Tod eines Terroristen
oder: Recht hat, wer die Macht hat Don M. Barbagrigia Auf den Rausch folgt die Ernüchterung! Sollte wenigstens der Führungsriege der Amerikaner mittlerweile gedämmert haben, welche Dummheit sie begingen, als sie die Tötung Osama bin Ladens mit lautem Getöse bejubelten? Vom törichten Fußvolk kann man dergleichen Erkenntnis wohl kaum erwarten. Doch das Kind ist zunächst einmal in den Brunnen gefallen und das ziemlich tief. Aus den Zeiten, als man ritterliche Tugenden noch wertschätzte, Zeiten, die den Amerikanern aufgrund ihrer kurzen Historie fremd sein dürften, ist überliefert, dass denjenigen Siegern der höchste Respekt gezollt wurde, die ihrem geschlagenen Feinde Anerkennung und Ehren erwiesen. Nun hören wir bereits den Aufschrei: "Sind Sie denn verrückt geworden? Vor einem Terroristen, der Unbeteiligte in den Tod reißt um seinen Feind zu bekämpfen, kann man doch nicht den Hut ziehen. Hätten Sie auch vor dem toten Hitler den Stahlhelm abgenommen?" Nein, hätten wir nicht. Wir verneigen uns nicht weder vor dem lebenden und auch nicht vor dem toten Osama. Ganz gewiss nicht. Aber wir kommen auch nicht auf den abwegigen Gedanken den Tod des Alten vom Berge zu bejubeln. Das verträgt sich nicht mit christlicher Demut. Und überhaupt: Hitler und Osama, das sind zwei verschiedene Paar Schuhe! Osama war der verirrte Kämpfer gegen ein real existierendes Problem; ein Problem, das durch die hemmungslose Raffgier der Amerikaner, die sich in postkolonialer Manier über den Erdball verbreiten um sich und ihrer verzogenen Brut einen unvorstellbaren Luxus zu ermöglichen, geschaffen wurde. Diesen Reichtum nämlich bezahlen Milliarden von Menschen mit bitterster Armut. Sie tun das keineswegs freiwillig und friedliche Proteste gegen die amerikanischen Vampire und Heuschrecken haben noch nie zu irgendeinem Erfolg geführt. Was bleibt den armen Teufeln dieses Planeten denn übrig, als sich durch spektakuläre Aktionen bemerkbar zu machen, deren Echo noch nach Jahrhunderten durch die Geschichtsbücher hallt? Wohlgemerkt: Wir reden nicht den fürchterlichen Anschlägen des 11. September das Wort. Das sind natürlich inakzeptable Methoden. Unschuldige umzubringen um ihren Tod zu instrumentalisieren, ist durch nichts zu rechtfertigen. Das bietet nur die Aussicht auf einen Gegenschlag und nicht die geringste Basis zur Verständigung. Wir fragen aber: Was sollen sie tun? Ihnen steht keine milliardenschwere Rüstungsindustrie zur Verfügung, keine Supermacht, die ihre Interessen auf internationalem Parkett durchsetzt. Die Regierungen der Araber sind zumeist von der Wallstreet gekaufte Marionetten, dafür hochbezahlt, als inoffiziell angestellte Hirten der Amerikaner ihre Völker wie Schafe im Pferch zu halten. Was sollen diese Völker tun? Verlangen wir ihnen allen Ernstes ab, mit niedergeschlagenen Augen Hungers zu verrecken, damit unsere fetten Blagen in unbeschreiblicher Dekadenz öffentlich verblöden können, ohne sich die geringsten Sorgen um den morgigen Tag machen zu müssen? Zweiter Punkt unseres Zwischenrufs: Hat jemals jemand nach dem Schock des 11. September die Frage gestellt, wieviel Tote die amerikanische Expansionspolitik in den Ländern der dritten Welt gefordert hat? Man kann den Tod von Menschen auf den Schlachtfeldern dieser Erde nicht gegeneinander aufrechnen. Das ist uns klar. Klar aber ist auch: actio gleich reactio und - von nichts kommt nichts. Das Gebaren der Amerikaner nach dem erfolgreichen Einsatz gegen den Assassinen-Fürsten erinnert uns an die Art und Weise englischer Trophäenjäger des viktorianischen Zeitalters: Die Flinte ging nicht rechtzeitig los, das verwundete Raubtier unterstand sich zurückzubeißen anstatt darauf zu warten, bis der Gentleman nachgeladen hatte - und dafür wird ihm blutige Rache geschworen. Das hat etwas vom amerikanischen Trauma, welches Herman Melville so trefflich in Worte gefasst hat, als er vom fanatischen Kampf Käpt`n Ahabs gegen den Weißen Wal berichtete. Mittlerweile werden Berichte laut, die Seals hätten nicht einmal den Versuch unternommen Osama lebend zu fassen. Wir waren nicht dabei. Aber die Frage muss erlaubt sein: Was hätte die Amerikaner daran gestört, den Terroristen vor dem Gericht in Den Haag zu sehen? Wäre es ihnen unerträglich erschienen, einen Teil ihrer Macht an ein nichtamerikanisches Gericht zu übertragen, das möglicherweise nicht im Sinne ihrer Rachegelüste entscheidet? Den Haag verurteilt niemanden zum Tode. Schon das wäre für Washington nicht hinnehmbar. Hätten sie darüber hinaus Osamas Ausführungen gefürchtet, warum er zu dem wurde, was er war und welche Mitschuld sie daran tragen? Weiter! Dass Barrack Obamas Umfragewerte im Sinken begriffen sind, ist ein offenes Geheimnis. Zu viele seiner Wahlversprechen sind versandet. Der fulminante Erfolg der Safari in Pakistan läßt ihn in den Augen der Amerikaner wieder zum Macher werden. Das Rezept ist uralt: Sind die Probleme im Innern nicht zu lösen, dann zündet man draußen ein schönes Feuerwerk! Schon schauen alle aus dem Fenster und man hat für ein Weilchen im Hause wieder Ruhe. Aber eben nur für ein Weilchen. Denn die Ursache der Probleme ist nicht beseitigt. Thomas Müntzer brachte es in seinem Sendebrief an die Berggesellen auf den Punkt: "Die Herren aber machen das selber, dass ihnen der arme Mann feind wird. Die Ursache des Aufruhrs wollen sie nicht wegtun - wie kann es die Länge gut werden?" Die Ursache des Aufruhrs... Aber dann müssten die Amerikaner das Teilen mit denen lernen, die sie jahrzehntelang brutal ausgebeutet haben, statt um sich selbst, ihre Swimmingpools und das Goldene Kalb zu tanzen. Aber das fällt ihnen im Traum nicht ein. Gott, der sie zum bevorrechtigten Volk auf Erden gemacht hat, gab ihnen doch mit ihrem Erfolg recht! Bei Sankt Calvin! Die anderen sind nun mal von Gott auf die Verlierer-Seite gestellt worden, da ist es doch bar jeden Zweifels legitim ihnen das Fell über die Ohren zu ziehen. Mit dieser Haltung wird dem Terror nicht das Wasser abgegraben. Und schon gar nicht, indem man einem Protagonisten des Terrors den Schädel vom Hals ballert. Einen Moskito zu erschlagen bedeutet nun mal nicht das Ende der Malaria. Der dritte Punkt aber, der uns berührt, ist die Bigotterie, mit der sich die Amerikaner ummänteln. Ein Terrorist, der ein Flugzeug kapert und es in einen Wolkenkratzer lenkt, ist ein todeswürdiger Verbrecher. D'accord! Was aber sind die außer Kontrolle geratenen Halbstarken in amerikanischen Uniformen, die zum Spaß aus einem Helikopter heraus auf einen unbewaffneten irakischen Mann und seine schulpflichtigen Kinder schießen, nur weil dieser sie zur Schule bringen wollte? Was sind die Hintermänner im Pentagon, welche die Täter decken und den Whistleblower dafür in den Knast schicken? Was sind die Planer und Täter in Washington, die ein ganzes Land überfallen, nicht weil dessen verrückter Diktator atomare Massenvernichtungsmittel besitzt, was erwiesenermaßen nicht der Fall war, sondern weil ihnen die Ölquellen wichtig waren? Kamen im Irakkrieg bis dato mehr oder weniger Menschen um als beim Einsturz der Twin-Towers? Vae Victis! Es ist die alte Geschichte von Caesar und Vercingetorix. Dessen riesige Statue erhebt sich mittlerweile über Gallien - Rom hingegen existiert nicht mehr. Die Amerikaner wären gut beraten, aus der Geschichte zu lernen, bevor aus den Felsnischen von Bamiyan heraus die albtraumhafte Figur eines bärtigen, schmalgesichtigen, turbanbekrönten Terroristen über die Hochebenen Afghanistans wacht. |
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B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2009 06.05.2011 |