Landunter im Ländle
Der grüne Tsunami lässt den schwarzen
Kern schmelzen
J. - F. S. Lemarcou
Das saß! Baden-Württemberg, das Musterländle, das Land
des kalten Herzens, hat sich nach beinahe fünf Dutzenden Jahren
abgekehrt von der CDU. Hier war die schwarze Partei traditionell zuhause.
Das Ländle war stinkreich, hier wurde geschafft, das Lippenbekenntnis
war katholisch. Dennoch hielt man es heimlich mit dem kalvinistischen
Credo, dass nämlich wirtschaftlicher Erfolg ein Zeichen der Gnade
Gottes sei und im Umkehrschluß eine soziale Randlage bedeutete,
dass Gott sich von der mißratenen Kreatur abgewendet hatte. Die
Roten also, als Anwälte der Armen, waren also per se des Teufels.
So hatte man sich eingerichtet und wenn das ganze Land am Absaufen war
– in Stuargerd (Stuttgart) spürte man nichts davon bis –
bis der Politkrawallnik Stefan Mappus (CDU) ans Ruder kam. Der machte
so ziemlich alles falsch, was man falsch machen kann. „Hoppla,
jetzt komme ich“ – das war die Devise des 45jährigen
Schwarzwälders, der sein Herz ebenfalls an den Holländer-Michel
verkauft zu haben schien. Diesen Eindruck mussten nämlich die vielen
Demonstranten gewinnen, die ihn jahrelang unterstützt hatten, dann
aber schwäbisch konservativ und altbacken am alten Stuttgarter
Hauptbahnhof festhielten. Diese Leistungsbremse des internationalen
Bahnverkehrs, ein fades Prunkstück aus dem zweiten und dritten
Jahrzehnt des letzten Jahrhunderts, ließ die schwäbische
Seele so recht vor Freuden hüpfen: Nur nicht pranzen, nur nicht
prahlen, mausgrau und emsig schaffe, schaffe, Häusle baue! Was
Zukunft? Die Zukunft hat zu sein nach alter Väter Sitte... Die
von Max Frisch so herzhaft verspotteten Alm-Öhis vom anderen Ufer
des Bodensees nickten dazu bedächtig zustimmend. Der Landbote hätte
sich über das Projekt Stuttgart 21 gefreut, wäre es in der
geplanten Form realisiert worden. Das sah nach dynamischer und pulsierender,
durchaus zukunftsfähiger Schwabenmetropole aus – doch was
geht uns Stuttgart an? Die Menschen vor Ort ging es etwas an, sie entschieden
anders – und Preußen ist nun mal das Land, das jeden nach
seiner Façon selig werden läßt.
Wir waren in unserer Heimat seinerzeit angewidert von den Prügelpersern
und der Stumm-Polizei, von Mielkes Schlägerschergen und dem grinsenden
Beifall Krenzens für das Massaker auf dem Platz des Himmlischen
Friedens. Deshalb sahen wir mit größter Fassungs- und Verständnislosigkeit,
was sich im letzten Jahre im sonst so gediegenen Stuttgart rund um den
Hauptbahnhof an polizeilichen Gewaltorgien abspielte. Noch fassungsloser
waren die Schwaben selbst – die Quittung bekam Herr Mappus postwendend
zugestellt.
Startbahn West, Gorleben, Heiligendamm – immer klatschten die
braven Schwaben, wenn der revoltierende, vaterlandslose, kommunistisch-grüne
Mob von der Ordnungsmacht das Fell versohlt bekam. Und mit was? Mit
Gummiknüppeln, Tränengas, Wasserwerfern und vor allem –
mit Recht!
Jetzt bekamen sie selbst die Dresche. Eine Welt brach über ihnen
zusammen. Sie weinten bitterlich. Man war sogar im kühlen Preußen
versucht, Mitleid mit den Sieben Schwaben zu empfinden. In diesem Augenblick
war der Machtverlust der CDU unausweichlich. Den Todesstoß erhielt
die konservative Partei, als sie so unanständig vor der Atomlobby
dienerte, wie die F.D.P. vor den Hoteliers. (Die Gelben flogen ja nun
im hohen Bogen aus dem Parlament – es war einer der seltenen schönen
Augenblicke, da der Souverän den geheimen Hebel zur Falltüre
vor seinem Thon betätigte und der grottenschlechte Kasper schreiend
in den Tiefen des Verlieses verschwand – köstlich!)
Die Schwarzen hingegen wurden erst einmal bleich. Ihr Zickzacktrudeln
nach dem Desaster von Fukushima gab ihnen den Rest. Sie sausten zwar
nicht ebenfalls durch die Falluke, sie wurden jedoch ganz mächtig
deklassiert.
Ja doch, sie blieben die stärkste Partei im Ländle. Zu stark
ist die Macht der Gewohnheit, verkündete Herman van Veen einst...
Aber das nutzt ihnen nichts mehr: Der große Junge, der jahrelang
den anderen nach Gusto das Spielzeug zugeteilt oder weggenommen hatte,
sitzt nun allein in seiner Ecke des Buddelkastens und keiner will mehr
mit ihm spielen. Ein verteufelt schlechtes, ein geradezu fatales Signal
geht von diesem Erdrutsch für die Bundes-CDU aus – im Konrad-Adenauer-Haus
wird man wohl schon innerlich Halbmast flaggen. Das i-Tüpfelchen
auf der Wahlkatastrophe war nämlich der Umstand, dass ausgerechnet
in Schwaben zum ersten Male ein Grüner zum Ministerpräsidenten
gekürt wird. Hol’s der Teufel! Da steht die Welt dann wirklich
Kopf. Nicht im dreckerten Berlin mit all seinen Kommunisten, Sozis und
Schwulen wird das grüne Märchen wahr, nicht in Schleswig-Holstein
oder Mecklenburg oder in dem Lande Brandenburg, von dem neunzig Prozent
aller Schwaben bis auf den heutigen Tag nie etwas gehört haben,
obwohl ihre Mütter und Väter just dort hausten, bevor sie
sich vor achtzehnhundert Jahren zum Umzug an den Neckar entschlossen.
Nein, bei ihnen, bei den Erzkonservativen spült es einen Grünen
ganz nach oben an die Schalthebel der Macht... Das ist das erste Zeichen
der Apokalypse, das erste gebrochene Siegel, auch wenn sich weder Johannes
in seinem Opiumrausch auf Patmos, noch Nostradamus nach der dritten
Flasche Bordeaux ein solches Höllenszenario auch nur ansatzweise
hatten vorstellen können. Nun heißt es wie in Dantes Inferno:
Wer hier eintritt, der lasse alle Hoffnung fahren...
Den Grünen wünschen wir viel Glück! Sie werden es brauchen
können. Denn dagegen zu sein, ist allemal einfacher als regieren.
Sie werden den Tag noch verfluchen, der ihnen die Macht brachte. Denn
sie stehen unverbesserlich vor ewig demselben Dilemma: Bitterfeld ad
hoc schließen ist einfach, den Leuten sagen, wovon sie am nächsten
Monatsersten die Miete zahlen sollen, ist es jedoch keineswegs.
Na, dann knipst sie mal ab, die Brüter und die Meiler! Und kommt
ja nicht auf den Trichter, den Ersatz-Strom aus Frankreich einzukaufen!
Das ist nämlich mehrheitlich Atomstrom. Dann beendet mal Stuttgart
21 und erklärt den Leuten, dass ihr Milliarden an Vertragsstrafen
dafür bezahlt, dass hinterher alles noch desolater aussieht und
noch weniger funktioniert als vorher. Nur zu, nur zu!
Schade, der designierte Ministerpräsident aus den Reihen der Grünen,
Winfried Kretschmann, ist ein Montagskind. Leider ist er also einen
Tag zu spät geboren. Sonst hätte er in den Tannenbühl
pilgern können, zum Schatzhauser und hätte ihn um den Verstand
bitten können, den es braucht, diese vor ihm liegenden Aufgaben
zu schultern, ohne seinen grünen Kahn schon bei der nächsten
Wahl wieder sang- und klanglos absaufen zu lassen. Diese Extraportion
Verstand wird er dringend brauchen. Alternativ dazu zum Holländer-Michel
rüberzuschleichen, das ist weder beim Kohlenmunk-Peter noch beim
Mappus Stefan auf die Dauer gut gegangen. Man haut eben den Leuten nicht
auf den Kopf, nur weil sie andere Ideen darinnen ausbrüten, weder
einer Lisbeth Munkin, noch all ihren Landsleuten zu Stuttgart und Umgebung.
Denn – Hochmut und Arroganz der Macht kommen alleweil vor dem
Fall. Die Wahl zu Stuargerd 2011 spricht da eine deutliche Sprache.