Der Irre wankt – das
Öl wird teurer
In Libyen brodelt es
zu ihrem 22. Hochzeitstag Frau
cand. med. dent. Evelyn Hübner (†) gewidmet
J.-F. S. Lemarcou
Der Orient kocht. Alles fing an wie ein orientalisches Märchen:
In Tunis verbrennt sich ein junger Mann, der von korrupten Behörden
keine Genehmigung erhalten hat, einen kleinen Gemüseladen zu eröffnen
und nun zittern beinahe all die panarabischen Scheichs, Potentaten,
Diktatoren und – die Europäer!
Bei den Ägyptern geht es um die Stabilität im Nahen Osten
und bei den Libyern, bei denen es jetzt gerade kracht, geht es ums Öl.
Was haben die Europäischen Wirtschaftskapitäne und Spitzenpolitiker
geflucht, als La Belle explodierte und der Riesenvogel über Lockerbie
herunterstürzte! Verfluchter Gaddafi! Dieser exzentrische Vollidiot
in Operettenuniform, stets begleitet von rassigen Amazonen als Leibgarde,
muss ja unbedingt das friedvolle Geschacher unterminieren!
Was störte die Europäer eigentlich an diesem als Wüstenscheich
verkleideten, verrückten Kasper? Machte es sie nervös, dass
er einer der Drahtzieher dieser terroristischen Anschläge war?
Taten ihnen die Opfer leid? Ach Quatsch! Was interessieren ein paar
tote Statisten, bei denen es im Weltgefüge überhaupt nicht
darauf ankommt, ob sie überhaupt je existierten!
Was einzig interessiert, ist, das Libyen auf unerhörten Ölreserven
hockt. Und jetzt lamentiert diese blöde, sentimentale „Weltöffentlichkeit“
und fordert Maßnahmen gegen den Idioten aus der Wüste. So
ein Mist! Der Mann hat nun mal die Macht und sitzt am Ölhahn. Warum
begreifen das die brüllenden Wohlstands-Klopsköppe auf den
Straßen Europas und Amerikas nicht? Wollen sie jetzt um ein paar
Leute jammern, die sie mehrheitlich nie kennengelernt hatten, oder wollen
sie am nächsten Einkaufstag mit ihren dicken Schlitten wieder vor
dem Supermarkt vorfahren können? Noch mal: Der Mann sitzt auf dem
Öl, Gott verflucht noch mal! Da ist kein Platz für Emotionen.
Demzufolge brauchte der Schwerkriminelle nur mal eben verbal dem Terrorismus
abschwören und schon verschwand sein Land von der Liste der Schurkenstaaten.
So funktioniert die Moral der Wirtschaft und der Hochpolitik –
sie ist dem unbedingten Willen zur Macht untertan und nicht dem Gesäusel
der internationalen Gutmenschen.
Condoleezza Rice lächelt ihn an, Nicolas Sarkozy defiliert mit
ihm durch die Gegend – ach, Vater Liebermann, nicht wahr, man
kann gar nicht so viel fressen, wie man kotzen möchte! Die europäische
„Außenministerin“ Catherine Ashton – gibt es
ein Feminium für das Wort „Popanz“? – flüstert
ein paar belanglose Parolen, das deutsche Auswärtige Amt knurrt
ein bisschen und stößt furchtbare Drohungen aus, immer mit
sorgenvollem Blick auf das libysche Öl. Was sonst scherte einen
an dem vermaledeiten Wüstenstaat?
Gaddafi ist am Ende. Bis er endlich im Knast oder im Sarg liegt, dauert
es wohl noch ein paar Tage. Das steht auch nicht mehr zur Debatte. Auf
der Tagesordnung wird bereits die Frage behandelt, welcher Clanchef
als nächstes über welche libyschen Ölkontingente und
Förderrechte verfügt und zu welchen Konditionen er diese an
wen verkaufen wird. Weiterhin ist wichtig, welchen Häuptling man
nun schmieren muss, damit er aufpasst, dass nicht mehr so viele arme
arabische Männer und Frauen versuchen, mit Fischerbooten übers
Mittelmeer ins reiche Europa flüchten. Denn, wenn das Öl nun
schon wegen der Instabilität in Libyen teurer wird, dann wollen
wir das bisschen Geld, das uns in den schmaler werdenden europäischen
Portemonnaies verbleibt, nicht noch mit den Kafferlümmeln und desperaten
Kameltreibern teilen müssen!
Soeben schlägt sich Marcel Pott an die Brust und fragt sich und
Europa: „Was haben wir falsch gemacht...?“ Oh mea culpa
domine, me culpa, mea maxima culpa! … warum, Marcel, kam diese
Frage und die Formulierung „realpolitischer Opportunismus“
nicht etwas früher? Richtig! Weil's dir möglicherweise berufliche
Unannehmlichkeiten beschert und übrigens zu diesem Zeitpunkt keinen
Normalverbraucher in Europa auch nur ansatzweise gekratzt hätte.
Genug der Selbstzerfleischung!
Lasst uns das weiter machen, wo wir auch wegen einer solchen Scheiß-Revolution
nie aufhören sollten: Lasst uns mal in Nordkorea buddeln! Wenn
wir da auf eine wirtschaftlich bedeutende Ressource stoßen, dann
können wir doch Onkel Kim mal die elende Hand schütteln und
ihm die blutigen Stiefel lecken, statt immer nur auf ihm herumzuhacken!
Den als Bösewicht zu bezeichnen, kostet uns nämlich nichts.
Der hat nichts und deshalb haben wir nichts zu verlieren.
44 Milliarden Barrel Öl sind ein Argument, sich mit dem größten
libyschen Lumpen, Erzschelm und Mörder zu versöhnen, egal
wie viele arme Teufel in Lockerbie hops gegangen sind, nicht wahr Mr
Tony „Labour“ Blair? Hätte Hitler Öl gehabt und
nicht selbst gebraucht, die Alliierten hätten ihn noch weitaus
länger gewähren lassen als sie es aufgrund wirtschaftlicher
Interessen bereits taten. Judenmord und Auschwitz, Völkermord und
Diktatur – das lockt keinen Wallstreet-Hund hinter dem NYSE-Ofen
hervor, weder in den Dreißigern und Vierzigern des letzten Jahrhunderts
und heute schon gleich gar nicht.
Wenn die gequälten Libyer den bösen Clown und Karnevals-Schweinehund
unter großen Opfern endlich beseitigt haben, dann ist es Zeit
für ein paar Lobreden für die tapferen Aufständischen,
betroffenes Gedenken an die Opfer, ein paar posthume Tritte gegen den
toten Diktatoren und ehemaligen Verhandlungspartner samt seiner gründlichen
Demaskierung – ach, wir kennen das alles noch sattsam von Ceau?escu
– und ein bisschen Selbstkritik macht sich dann auch noch ganz
gut. All das kommt uns tausendmal billiger, als steigende Ölkosten,
wenn das Theater in der Volksdschamahiriyya noch lange andauert. Wenn
wir also bei BP, ARAL, Shell und Esso wieder an der Zapfsäule stehen,
dann lasset uns beten: Für die Seelen der toten Libyer und eine
zukünftige freiheitliche Demokratie in Arabien? Bockmist! Dafür,
dass der Benzin-Literpreis unter € 1,50 bleibt! Inshallah und Amen!