Tantchen
wird alt
– zum sich ankündigenden Wortbruch der hessischen SPD
J.-F. S. Lemarcou
Der große Däne
– nein, nicht Hamlet oder König Christian X. –
diesmal reden wir von Ove Sprogøe, prägte in einem
seiner legendären Olsenbande-Filme das herrliche Wort „senil-konfus“.
Just daran müssen wir denken, wenn wir uns mit der guten
alten Arbeitertante SPD befassen. 133 Jahre sind ein stolzes
Alter. Da kann Tantchen getrost schon tuttelig werden, auch
wenn sie ständig etwas von Verjüngen, Agilität
und Dynamik brabbelt. Das ist so die Standardmarotte älterer
Damen, die sich dick mit Antiaging-Cremes bekleistern, in der
irrwitzigen Hoffnung, damit den schleichenden Zelltod aufhalten
zu können.
Für die Umgebung generiert das unwürdige Schauspiel
zu einer Burleske: Da hätschelt Urgroßtantchen dem
Neffen Michel über den Scheitel und verspricht: „Wenn
du wiederkommst, Jungchen, dann gibt dir die Erbtante eine Tafel
Schokolade!“ Doppelt peinlich – die Situation: Zum
ersten realisiert Tantchen nicht, daß die Zeiten lange
vorbei sind, in denen man dem Rangen mit einer Tafel Schokolade
noch eine Freude machen konnte und daß sich Klein-Michel
nichts sehnlicher wünscht als NIKE-Sportschuhe und einen
MP3-Player und zum Zweiten hat sie ihr Versprechen längst
vergessen, wenn Michel dann tatsächlich wieder auf der
Matte steht. Da hilft auch keine pfundweise aufgetragene Nivea-Creme.
Nun kann man mit dieser Posse sicherlich einige brauchbare Szenen
für das Ohnsorg-Theater herausarbeiten – für
die politische Bühne taugt dieser Stoff herzlich wenig.
Dort ist er sogar sehr gefährlich. Denn hier bewegen wir
uns auf den Brettern, die, wo schon nicht die Welt, so doch
aber die Existenz von vielen Menschen bedeuten.
Just auf dieser Bühne tönte die sich als Wahlkampfsiegerin
der hessischen Landtagswahlen 2008 begreifende Andrea Ypsilanti
(SPD) vollmundig, mit der Partei Die Linke werde es keine wie
auch immer geartete Zusammenarbeit geben. Boshaft verkündete
Die Linke darauf umgehend, sie wolle Frau Ypsilanti ihre Stimmen
für die Wahl zur Ministerpräsidentin geben, was Frau
Ypsilanti denn auch umgehend brüsk zurück wies. Von
denen wolle sie sich nicht wählen lassen. Denen wolle sie
nichts zu danken haben, denen wolle sie ums Verrecken nicht
verpflichtet sein. Gut gebrüllt, Löwe!
Diese boshaften Kommunisten aber haben uns einiges unschätzbar
wertvolles gelehrt. Unter anderem brachten sie uns bei, daß
das alleinige Kriterium der Wahrheit die Praxis sei.
Und wie schaut’s aus in der Praxis? In Praxi wird das
Eis unter Frau Ypsilantis Füßen von Tag zu Tag dünner.
Der Schatten der unglücklichen Heide Simonis wabert an
der Wand entlang. Dazu kommt, daß der eigentliche Wahlsieger
rein rechnerisch immer noch der böse Onkel Roland ist,
der mit immerhin 3.000 gültigen Stimmen mehr auf der schwarzen
Habenseite die Nase vorn hat, mit dem aber keiner so recht zusammen
gehen will. Da steht sie nun, die fesche Andrea, und weiß
nicht mehr wie’s weiter geht. Odysseus zwischen Scylla
und Charybdis!
Vorsorglich gibt ihr Ohm Beck aus Berlin grünes Licht für
einen der legendärsten Wortbrüche in der Parteiengeschichte
der Nachwende-Bundesrepublik. Ach, was für ein übler
Ausdruck: Wortbruch!
Aber er nennt das Kind beim Namen! Es ist schon töricht
genug, sich so weit aus dem Fenster zu hängen, wie Frau
Ypsilanti das im Vorfeld tat. Das ermangelt jeder klugen Demut,
jeder politischen Weitsichtigkeit, jeden politischen Formates.
Schon diese mehr als schwache Kür sollte Frau Ypsilanti
in Hinblick auf ihre ambitionierten Pläne disqualifizieren.
Jetzt aber auch noch so verzweifelt wortbrüchig zu werden
– da müßte Michel noch senil-konfuser sein
als seine Arbeiterverräter-Tante SPD, die sich seit Ebert
mehr und mehr und mehr die Sache der bürgerlichen Mitte
zu eigen gemacht hat, die keine kämpferischen und klar
abgegrenzten Positionen mehr vertritt, die von den Begriffen
Links und Rechts, Oben und Unten und dem ganzen Wortschatz der
Klassenideologie nichts mehr wissen will und der es nur noch
darum geht, für den großen dummen Michel noch ein
paar Bonbons (Werther’s Echte?) und eine Tafel Schokolade
zu ertrotzen. Die NIKEs sind denn ja auch denen vorbehalten,
die mit ihren Geldköfferchen in der Hand den weiten Weg
nach Liechtenstein zu bewältigen haben.
Wer sich um des Machtgewinns schon im Vorfeld so erbärmlich
demontiert und sich jeden Anscheins von Seriosität beraubt,
den sollte man in den schönen, abgesteppten Ledersessel
vor den Kamin verfrachten – aber nie und nimmer mehr hinter
das Steuer der Familienkutsche lassen.
Wenn Hesse-Michel das nicht begreifen sollte, wird er während
der gesamten nächsten Legislaturperiode beten müssen,
daß er eine gute Vollkasko besitzt. Und auch die gibt
es bekanntlich nicht zum Nulltarif. Die Hessen sind nicht zu
beneiden.
Doch mögen sie sich immerhin geehrt fühlen: Sie sind
die Pioniere eines möglicherweise auf uns zurollenden bundesweiten
Szenarios. Die Linke besteht nämlich nicht mehr, wie sie
jüngst diffamiert wurde, aus roten Faschisten, sondern
mehrheitlich aus durchaus intelligenten Köpfen, deren Ansichten
allerdings über weite Strecken etwas weltfremd anmuten.
Sie entsprechen also eher der katholischen Kirche in Norddeutschland,
nachdem man ihr die Zähne der Macht gezogen hat. Sie mit
den radikalen Rechten vergleichen zu wollen, verbietet sich
schon für leidlich intellektuell begabte Zeitgenossen von
selbst und eignet sich bestenfalls für den permanent unterbelichteten
Stammtisch. Sie aus der politischen Entscheidungsfindung auf
Dauer ausgrenzen zu wollen, verrät eine verstaubte, realitätsferne
und eben – senil-konfuse Gesinnung. Na denn, Arbeitertante,
Gute Besserung und bis zum nächsten Mal!