Feuerwerk
J. –F. S.
Lemarcou
Ein scharfer, ohrenbetäubender
Knall zerreißt die kalte Winterluft. Der etwa dreijährige,
kleine Mann, der bis eben noch wacker sein gelb-rotes Fahrrad
über den Bürgersteig geschoben hatte, bleibt abrupt
stehen. Nach der obligatorischen Schrecksekunde sammeln sich die
Tränen in seinen Augen, gefolgt von herzzerreißendem
Geplärre. Die undefinierbare Promenadenmischung, die ihn
und seine Mutter begleitete, gefriert ebenfalls verängstigt
und buchstäblich wie vom Donner gerührt auf dem Pavement,
versucht verzweifelt, den kaum vorhandenen Schwanz zwischen die
Beine zu klemmen. Während die junge Frau sich intensiv um
ihren Kronprinzen bemüht, bleibt der Köter unbeachtet.
Trauriges Hundelos!
Doch was soll’s! Nur das Überleben zählt und überlebt
haben Kind und Hund. Es waren ja auch nicht Pulver und Blei, die
den Knall auslösten, sondern nur eine kleine pyrotechnische
Ladung, wie sie zu Millionen an Sylvester durch die Hände
ballersüchtiger Zeitgenossen geht.
Diese Ladung detonierte auf dem Hof einer kaufmännischen
Berufsschule. Wir schreiben den 2. Januar 2008. Das neue Jahr
ist bereits zweiunddreißig Stunden alt.
Bravo, schwachsinniger Idiot auf dem Schulhof! Ein kleines Kind
und eine noch kleinere Töle auf den Tod erschreckt! Großartige
Leistung!
Bravo Deutschland! Wie viele Kreaturen, denen der Herrgott die
tiefere Einsicht in die Notwendigkeit dieses alljährlichen
Irrsinnsrituals des Nackten Affen verweigert, waren denn diesmal
dem Nervenzusammenbruch nahe: Schweine – wilde wie domestizierte,
Katzen, Pferde, Kühe, Rehe, Kaninchen, Vögel, wilde
wie zahme...?
Macht doch nichts. Die Hauptsache ist ein schöner bunter
Funkenregen in Begleitung von infernalischem Zischen, Krachen,
Pfeifen, Jaulen – Prosit Neujahr!
Ein Reporter fragt in einem Laden in Mecklenburg-Vorpommern den
Käufer eines sauteuren Paketes voller Raketen und Böller
und anderem Feuerwerk nach dem Grund seines Einkaufs. Wollen wir
mal hören was der Sohn der Dame Stultitia zu vermelden hat:
„Wenn ich das ganze Jahr über knuffen gehe, dann möchte
ich auch einmal die Sau rauslassen. Das steht mir ja schließlich
zu“. Jawoll! Brav gesprochen, mein Sohn! Ein ganzes Jahr
lang hast du und deinesgleichen wacker malocht, habt ihr euch
ergeben von eurem Ausbeuter das Fell über die Ohren ziehen
lassen. Von dem Erlös schwenkt dieser nun sowohl seine Frau
als auch seine gestylten Luxus-Liebchen über den jahresendlichen
Strand von Montego Bay/Jamaika. Das Jahr über fährt
er einen gewaltigen Rover, seine Weiber decken ihren unersättlichen
Schuhbedarf auf der Düsseldorfer KÖ, du und deine Mitdeppen
bezahlt ihnen die Luxustreter und eurem Chef bezahlt ihr die in
den Luxus-Tretern steckenden Gaken, die euch nicht mal mit dem
von euch so heiß begehrten Hintern ansehen würden.
Euch bleibt nur das Hochglanzphoto der nackten Schönheit
auf der Innenseite eurer Spindtüre – und eure feuchten
Träume. Na klar, selbstverständlich, Junge: da hast
du natürlich auch einmal im Jahr das Recht, deine paar Groschen
auf den Kopp zu kloppen.
Ärgerlich sind natürlich die hohen Benzinpreise. Und
Butter ist auch teurer geworden. Scheiß Staat, nicht wahr!
Aber die vierhundert Euro für das Ballerpaket, die sind locker
drin. Wofür lebt man denn sonst!
Und den Singsang von den gleichzeitig verhungernden Negerkindern
im Sudan will Stultitias Jüngster schon gleich gar nicht
hören. Wozu auch? Die sind doch viel besser dran als er.
Die haben wenigstens das ganze Jahr über Feuerwerk. Zwar
knallt es da nicht so sehr am Himmel. Das liegt daran, daß
das Mündungsfeuer der Kalaschnikows mehr horizontal ausgerichtet
ist. Die bewaffneten und marodierenden Banden und Milizen sind
da etwas eigen. Aber das sind vernachlässigbare Details.
Und wenn der Negerknabe mit Glück und Gottes Hilfe das neunte
Lebensjahr erreicht haben sollte, dann bekommt er nach seiner
gewaltsamen Entführung aus seinem Kral und der Tötung
seiner Eltern und unbrauchbaren Geschwister auch eine Kalaschnikow
oder ein M16 oder einen Granatwerfer – und dann darf auch
er sich an dem ganzjährigen Feuerwerk beteiligen. Na, von
so einem Paradies kann doch unser Depp aus Mäc-Pom nur träumen.
Das hätte er auch gern. Das Geballer aus den Lautsprechern
der Playsi und das Pixel-Feuerwerk sind langsam aber sicher öde
und langweilig. Da muß mal ’was wenigstens halbwegs
Echtes ran!
Tröste dich, Hohlkopf, auch wenn Du blöderweise nie
einen echten Krieg erleben darfst, die vierhundert Euro, die du
gerade über den Ladentisch schiebst, die wird der schwerbewaffnete
Negerjüngling im Sudan seinen kurzen Lebtag nicht zu Gesicht
bekommen. Ach was soll’s! Zisch – und weg ist die
Rakete…
Was treibt die Menschen nur, ein willkürliches Datum eines
noch willkürlicheren Kalenders für eine solche gegen
jede Mitkreatur rücksichtslose und geldvernichtende Dummheit
zu mißbrauchen? Kein Yanomami, kein Australneger, kein Pygmäe,
kein die Tundra durchstreifender Sibirjake käme auf den idiotischen
Aberwitz dieses alljährlichen Krawalls, der am nächsten
Morgen verdreckte Straßen, verkaterte Menschen und verängstigte
Tiere zurück läßt.
Die Chinesen haben uns das Feuerwerk beschert. Sie wollten damit
einst böse Geister austreiben. Nun, im christlichen Abendland
haben sie dem Pandämonium Tür und Tor geöffnet.
Wir können es nicht ändern. Alle Jahre wieder...
Was uns aber schlußendlich interessieren würde: Wie
war das eigentlich Sylvester 1944/45? Das Pfeifen, Heulen, Krachen,
Bersten, Funkensprühen muß doch ganz ähnlich gewesen
sein, oder? Haben die Leute neben den Christbäumen der Luftabwehr
auch eigene kleine Feuerwerke gezündet oder hatten sie an
dem genug, was ihnen die alliierten Bomber gratis bescherten?
Es scheint wohl so etwas wie eine kollektive Erinnerung an traumatische
Ereignisse doch nicht so recht zu geben. Oder sie ist all zu rasch
von der Oberflächlichkeit, der Gedankenlosigkeit und der
unstillbaren Vergnügungssucht bedeckt wie von einer meterdicken
Schlammschicht.
Sei es drum: der Dreijährige schiebt indes sein Fahrrad weiter;
der Hund hat sich beruhigt und schnüffelt bereits wieder
am nächsten Baum nach den olfaktorischen Notizen seines Vorgängers
auf dieser Route und – die Mutter ist wohl dabei dem Sohn
den Sinn eines Feuerwerkes zu erklären, auf daß er
seinerseits in späteren Jahren unverständige Kinder
und dummes Viehzeug erschrecken kann. Das Rad des Lebens dreht
sich weiter. Wie schon gesagt - Prosit Neujahr!
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