Gebrauchsanleitung
B. St. Fjøllfross
Es wäre schlichtweg
absurd dem Landboten eine wie auch immer geartete Nostalgie zu
unterstellen. Am wenigsten trauert man bei diesem preußischen
Blatte der verflossenen DDR nach, wenn man sie auch aus Gründen
historischer Sachlichkeit nicht ganz so schwarz betrachtet, wie
es der gegenwärtige Zeitgeist zu erfordern scheint.
Da hatte sich der Kollege Bajun einst, am 09. August 1989 eine
Waschmaschine von seinem Ehekredit gekauft. Eine damals ganz moderne
„Foron VA 861 electronic“. Ein dolles Gerät war
das. Und die Maschine besaß bereits eine elektronische Anzeige,
einen hervorragenden Programmumfang, eine kinderleichte Bedienung.
Die dazugehörige Bedienungsanleitung ziert heutigen Tages
die Bibliothek des Landboten. Das ist sie wert!
Im Gegensatz dazu wird das entsprechende Heftchen aus dem Hause
„constructa“ dort gewiß nie landen. Es sei denn,
der Landbote entschlösse sich ein Monstrositäten-Kabinett
einzurichten.
Am 17. Januar 2008, seine Foron hatte ihn nach 18 Jahren und vier
Monaten treuer Dienste verlassen, kam die neue Waschmaschine ins
Haus. Eine constructa 1200S, Erzeugnisnummer CWF 12 A 11 /05.
Markenware, wie es hieß.
Herr Bajun kann noch nicht viel zur Maschine selbst sagen. Bislang
gibt es da keine Beanstandungen. Den Komfort wie die alte DDR-Foron
bietet sie zwar nicht, dafür ist sie sparsamer, leiser, etwas
kleiner und handlicher. Für € 450,- noch kein Aquastop,
das ist bedauerlich. Aber was soll’s – es scheint
ansonsten ein ganz solides, einfaches Maschinchen zu sein. Hübsch
ist sie auch. Mehr braucht es gar nicht.
…was man jedoch von dem Begleitheft nicht sagen kann.
Lieblos dahingeludert macht das Heft schon auf den ersten Blick
einen schabbigen Eindruck. Die deutsche Rechtschreibung und Grammatik
sind den Verfassern völlig egal – über die orthographischen
Fehler würde jeder anständige Grundschullehrer schier
verzweifeln.
Vom Layout und der Gestaltung der Textblöcke wollen wir schweigen.
Das ist ein Trauerspiel. Die wenigen Skizzen sind ungenau und
in ihrer Beschriftung schlichtweg gefährlicher Unsinn. Auf
der Seite 7 wird die erklärende Ziffer 8 gleich doppelt vergeben:
einmal ganz richtig für die verstellbaren Füße
– ein zweites Mal für den Wasserzuleitungsschlauch.
Das Elektrokabel erhält in der Skizze die Nummer 9, wird
aber in der Erklärungsleiste als Wasserablaufschlauch deklariert.
Die dort mit der Zahl 10 verbundene Erklärung „Stecker“
findet sich auf der Skizze nirgends. Na ja man hat ja noch eigene
Augen.
Kriminell wird die Geschichte, wenn man sich das Heft, wie man
das bei so anspruchsvollen Geräten vor der Inbetriebnahme
geflissentlichst tun sollte, gründlich durchliest. Da ist
beispielsweise auf der Seite 4 beschrieben, wie die Transportsicherungen
zu entfernen sind. Abgesehen davon, daß sich die dazugehörige
Skizze auf einer anderen Seite befindet (Seite2), teils kryptische
Bilder enthält und die Buchstaben auf der Skizze wiederum
nicht mit den Erklärungen auf der Folgeseite korrelieren,
ist der erklärende Text ganz einfach insuffizient. Die unzutreffende
und unzureichende Information kann dazu führen, daß
die Maschine beim ersten Betrieb schon ernsthaften Schaden nimmt,
weil kein Mensch weiß, welche Teile zur vollständigen
Transportsicherung gehören und demzufolge der Maschine auf
welche Weise entnommen werden müssen.
Gut! Schrauben sind raus. Metallbügel auch – war’s
das jetzt? Da sind noch Plasteblenden… Was ist mit denen?
Die sind ein wenige sperrig, Rausziehen oder nicht. Und wenn –
wie?
Schauen wir mal auf der Internetseite von constructa! Da haben
wir’s: Bedienungsanleitung herunterladen. Na hoffentlich
taugt die was.
„Geben sie Ihre Erzeugnisnummer ein!“ Machen wir.
„ERROR Zu der angegebenen E-Nummer konnte keine Gebrauchsanweisung
gefunden werden. Eine Teileingabe der E-Nummer kann die Suche
erleichtern. Sollte die gewünschte Gebrauchsanweisung nicht
online vorhanden sein, kann diese auch in gedruckter Form bestellt
werden.“ Na, das ist doch mal was! Das zeichnet eine solide
deutsche Firma aus. Der Telephonservice von constructa reagiert
ähnlich hilflos wie die Internetseite: „constructa
1200 S? Was soll das sein?“
Das ist kein Hut! Das war die wirkliche, die echte, die unverfälschte
Antwort! Hurra, wir sind bei einer deutschen Markenfirma!
Nicht verzweifeln! Immerhin gibt es auf Seite 15 einen Abschnitt
„Kundendienst“. Der endet mit dem Satz: „Adresse
und Telefonnummer des für Sie nächsten Kundendienstes
können sie dem beiliegenden Service-Center-Verzeichnis entnehmen.“
Da liegt aber nichts bei. Und das Heft endet auch – nämlich
mit dieser Seite. Es folgen vier weiße, leere Seiten und
dann ist Feierabend.
Der böse Marktdruck macht, daß die deutschen Ehemals-Qualitäts-Firmen
ihre Produktionslinien mehr und mehr ins Ausland verlagern, dort
ihre Heftchen herstellen lassen und dann die unglaubliche Chuzpe
besitzen, an die deutschen Käufer heranzutreten. Dabei können
sie ganz entspannt sein – kein Grund zur Schamröte
– die deutschen Pisa-Überflieger haben mit Sicherheit
nicht mehr das Wissen um ihre Muttersprache, das vonnöten
wäre, diesen Wisch von einer Gebrauchsanweisung als das zu
entlarven, was er ist: als einen einzigen Skandal. Und da das
deutsche Volk von seinen einstigen Werten selbst nicht mehr allzuviel
hält, pfuscht ja jetzt wohl beinahe jeder mit einer gnadenlosen
Oberflächlichkeit herum, was das Zeug hält. Wozu eine
teure Ausnahme machen? Wozu in Rundherum-Qualität investieren,
wenn es außer einem guten Ruf keine kurzfristige Gewinnmaximierung
bringt? Liegt doch auf der Hand, was es Brennabor seinerzeit gebracht
hatte: Verreckt sind sie an ihrer Weltspitzen-Qualität! Wer
ein Brennabor-Fahrrad gekauft hatte, der besaß etwas für
die nächsten drei Generationen. Da bricht doch der Absatz
weg! Nein, solche Haltung paßt unmöglich zur Hopp-und-Weg-Generation.
Wir produzieren wie Sie auf der Straße reden: ohne Sinn
und Verstand, ohne Sorgfalt, ohne Verantwortungsbewußtsein!
Wie Sie mit unserem Produkt klarkommen ist uns doch scheißegal.
Wir wollen nur Ihr Bestes: Ihr Geld. Und das möglichst rasch.
Und tschüß!
Herr Bajun war lange Zeit im Berliner Rettungsdienst tätig
und vertraute mir an: „Diese erbärmlichen Pfuscher
sind die ersten, die sich aufregen, wenn ein ausländischer
Notarzt zu ihnen an die Unfallstelle kommt. Dem trauen sie nicht
die Qualität der gottgelobten deutschen Medizin zu. Mit welchem
Recht fordern diese Profiteure eigentlich Qualität ein, wenn
sie doch tagtäglich ihren Kunden unverfroren solchen Schund
unter die Nase reiben? Doch – Gottes Mühlen mahlen
mitunter langsam aber zuverlässig und gerecht! Wir brauchen
uns die Retourkutsche nicht einmal sonderlich herbeizuwünschen:
Früher oder später wird der Schluder-Hammer sie selbst
treffen! Wenn sie nämlich mit einer Darm-OP auf dem Tische
eines Chirurgen der Generation Husch-Husch-Husch liegen; wenn
der Anwalt, den sie sich als postoperative Krüppel beauftragt
haben den Chirurgen zu verklagen, sämtliche Termine versaubeutelt,
miserabel recherchiert, die Argumentation vor Gericht genauso
gründlich aufbaut, wie das von den Managern freigegebene
Begleitheft der Waschmaschine constructa 1200S. Alle folgen der
einen Devise: immer mehr und schnelleres Geld für immer schlechtere
Leistung, kompensiert durch immer lächerlicheres Blendwerk
und große, vollmundige, manchmal witzige, meistens jedoch
hohl tönende Werbeversprechen. Welches Ethos sollte Anwälte
und Ärzte auf Dauer daran hindern, sich dieser Devise nicht
auch zu bedienen?“
Das Erstellen einer Gebrauchsanleitung reflektiert auch immer
eine Geisteshaltung. Es gibt keinen Grund, warum diese Geisteshaltung
nicht zum ubiquitär gültigen, gesamtgesellschaftlichen
Charakterzug degenerieren sollte. Was bereits allerorten geschieht.
Und wenn sich dann die Gebrauchsanleitungs-Redakteure morgen über
die Hallodris in der Autowerkstatt aufregen, welche die Bremsen
schlecht zusammengebaut haben, über den Chirurgen, der sie
so häßlich und spätfolgenbehaftet zusammenflickte,
den Advokaten, der nur mit der Achsel zuckte, als sie auf ihren
Kosten sitzen blieben – dann klopfen wir ihnen auf die schief
genagelten und geschraubten Schultern und sagen lächelnd:
„Seht ihr – bei euch hat der ganze Pfusch begonnen,
bei euch ist er wieder angekommen. Na dann seht man zu, daß
euch die Krücken nicht wegbrechen! Und tschüß!“
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