Präsidentenwahl im
Reich des Bären
K. K. Bajun
„In meinem Reich
herrscht Freiheit!“ brummte der Bär Wladimir Wladimirowitsch.
Die Uhr vom nahen Spasskij-Turm schlug den 02. März 2008
- (nach gregorianischem Ketzerkalender!) „In Rußland
kann jeder denken, sagen, tun und lassen was ich will. Und jeder
darf wählen wen ich will!“ Selbstgefällig strich
sich der Bär Wladimir Wladimirowitsch mit seinen Branten
über den gewaltigen Wanst, der sich wohlig wölbte,
denn immerhin hatte er gerade den Oligarchen Michail Borissowitsch
Chodorkowski verspeist und verdaute gemütlich bei einem
Glas Jukos-Wodka. Das Licht, das von den Türmen der neuntürmigen
Basilius-Kathedrale über die Mauern des Moskauer Kremls
herübergleißte, spiegelte sich auf dem Bärenbauch
und in seinen mächtigen Eckzähnen. Oder wurde das
Licht gar von den Plexiglasschilden der Moskauer Polizeitruppen
zurückgeworfen, die ihrerseits gerade dabei waren, ein
paar verlauste Demokraten und Demonstranten vom Roten Platze
zu fegen und in die Moskwa zurückzuwerfen?
Das aber ist dem Bären Wladimir Wladimirowitsch herzlich
wurscht, wie ihm überhaupt alles wurscht ist, was das russische
Volk so treibt. Solange es nicht aufmuckt. Und das tut es nicht.
Nicht die Russen jedenfalls. Das sind immer nur die anderen
– die Stänkerfritzen mit dem Turban auf – und
dem Koran im Kopf. Und es sind die Westeuropäer mit ihrem
tradierten christlichen Wertekanon, die noch immer nicht begriffen
haben, daß ihre vielen Westkirchen ein einziger Sündenpfuhl
des Ketzertums sind. Der Hort des wahren, des byzantinischen
Christentums schart sich um den Metropoliten von Moskau und
ganz Rußland sowohl, als auch um den ehemals tiefroten,
nun sich aber eifrig vor jedem Ikonostas verbeugenden Bären
Wladimir Wladimirowitsch.
Lästig waren sie schon immer, die Katholiken und Protestanten.
Aber reich. Da drückt man schon mal ein Auge zu. Ganz im
Gegensatz zu dem Tartarenpack und den Muselmännern der
zentralasiatischen Republiken. Die seit jüngstem wieder
ihre spitzen Minarette wie große Nadeln in den Pelz von
Mütterchen Rußland pieken und jeden Freitag ihren
Singsang vom Dschihad gegen die Kuffar, die Ungläubigen,
plärren. Aber die kriegt das Bärchen schon noch am
Schlafittel zu fassen! Er ist der Zar und das Muschkotenpack
soll gefälligst die Schnauze halten. Sollen sich ein Beispiel
nehmen an den Jakuten, die bereitwilligst die Schätze Sibiriens
an die Russen abtreten und noch dazu um eines Bettellohnes willen
für die Russen im Dienste ihrer eigenen Ausbeutung schuften.
Nun ja. Das alles mag den Westen befremden. An den Gestaden
von Mütterchen Wolga aber gelten andere Regeln.
Es war schon immer ein fataler Kardinalfehler des „christlichen“
Okzidents, das Dritte Rom, die Tochter von Byzanz an der Moskwa,
mit einer westeuropäischen Elle messen zu wollen. Das Riesenreich
hat eine andere Kultur des Umgangs entwickelt, es regelt das
Miteinander in seiner Gesellschaft auf eine Weise, der Europa
mit etwas mehr Toleranz begegnen sollte.
Daß die westlichen „Demokratien“ Rußland
ob seiner undemokratischen Wahl, die wahrhaftig nicht mehr als
eine ziemlich teure Farce war, schilt, ist lächerlich.
Zum ersten sind die westlichen Demokratien mitsamt ihrem Lobbyismus
und ihren Skandalen selbst Mogelpackungen par excellence. Und
das Einzige, was der Westen Rußland vorwerfen könnte,
ist, daß die Russen mal wieder die Prawda statt der im
Westen gebräuchlichen Seiden-Stoas hinter die Fenster klatscht
um das unwürdige Possenspiel in der Stube zu bemänteln
– das im Übrigen im gemeinsamen europäischen
Haus überall denselben Charakter hat. Der Westen bringt
sein Demokratie-Theater nur eben etwas sublimer auf die Bühne.
Zum Zweiten hat der Westen nicht den Schimmer einer Ahnung,
was es bedeutet, dieses gewaltige Imperium zusammenzuhalten.
Was glauben die Stammtischstrategen denn, was passiert, wenn
Moskau, so wie einst Rom, nicht mehr in der Lage sein sollte,
das Reich unter effizienter Kontrolle zu verwalten? Die irrsinnigen
Freiheit-für-Tschetschenien-Schwafler sind sich dessen
wohl nicht bewußt, was der Alten Welt blüht, wenn
sich diese Regionen verselbständigen und in der Mitte Asiens
gewaltige Machtvakuen ausbrechen. Hat Europa wirklich schon
die Nemesis von Liegnitz vergessen? Reichen 767 Jahre aus, um
erneut gegen die enorme Wucht zu erblinden, die ein hungerndes
Asien entfaltet, das von Leuten geführt wird, die noch
weniger mit dem europäischen Wertekanon am Hut haben als
Moskau?
Meine Herren, hört doch endlich auf das Bärchen zu
missionieren! Das ist ein so unsinniges Unterfangen. Rußland
ist nicht Serbien, ist kein europäischer Zwerg, der froh
sein kann, wenn ihm die „Zivilisation“ ein paar
Krumen von der Tischkante herabfallen läßt. Rußland
ist ein Gigant. Dieser Titan hat die Truppen der Goldenen Horde
überstanden, Napoleon und das Herrenmenschen-Reich des
Beutegermanen Adolf. Rußland hat bislang all seine Zaren
und all seine Bojaren und Oligarchen überstanden, selbst
der Georgier Stalin konnte es nicht in die Knie zwingen.
Diese unglaubliche Resistenz aber hat ihren Preis. Das zu verkennen
bringen wirklich nur die vollgefressenen Westeuropäer fertig,
denen die Dekadenz bereits aus jeder Pore schwitzt und denen
seit nunmehr über einem halben Jahrhundert das Manna vom
Himmel regnet. (Wir reden von dem Manna, das auf dem Rücken
der Neger, Indios und Kulis in aller Welt zusammengestohlen
wurde.) Nur diese Europäer können es fertig bringen
zu glauben, es gäbe überall auf der Welt alles umsonst.
Und überall komme man mit Kuschelpädagogik weiter.
Daß sie bislang noch keine fundamental anderen Erfahrungen
machen mußten, dafür garantiert nach Osten hin vor
allem einer: der Russische Bär!
Wir sollten uns nicht zu sehr in seiner Höhle breit machen
wollen mit unseren Ideen und Vorstellungen. Diese Chuzpe steht
uns einfach nicht zu! Es ist schon viel, daß Wladimir
Wladimirowitsch dem Westen zu Gefallen eine auf den Westen ausgerichtete
Revue namens Präsidentenwahl abzieht. Was soll der Quatsch?
Das ist dem Dritten Rom wesensfremd! Zaren werden nicht gewählt,
sie werden inthronisiert. Und sie müssen sich im Kreml
behaupten – Tag für Tag. Das müssen saft- und
kraftvolle Kerle sein – und Mann- wie Pferd verschleißende
Weiber. Nicht so blutarme, schwafelnde Gestalten wie sie Europa
in Richtung Abgrund taumeln lassen.
Als Walter „Die Zicke“ Ulbricht 1945 aus Moskau
heim ins Reich kehrte um dort den ersten und letzten Arbeiter-
und Bauernstaat auf deutschem Boden zu errichten, da meinte
er lakonisch: „Es muß demokratisch aussehen –
aber wir müssen alles fest in der Hand behalten!“
Und jetzt lesen Sie noch mal den Anfang des letzten Satzes!
Von wo kehrte Lottes Tischtennisspieler heim?
Richtig – aus Moskau! Woanders lernt man so was nicht.
Was in Rußland geschieht ist brüllend ungerecht.
1 Prozent der Bevölkerung teilt sich 90 Prozent des Bruttoinlandproduktes.
Aber Himmelherrgott! Willkommen im Tausendjährigen Rußland!
Ihr wollt das ändern? Ihr von außen wollt noch größer
sein als Iwan der Schreckliche, Peter der Große und Katharina?
Ihr? Dann lernt erst mal, daß Seemeilen an der Bordwand
eines Supertankers vorbeirauschen, ehe das Kurskorrekturkommando
des Kapitäns die Bugspitze auch nur um einen Faden dreht.
Das sollten die europäischen politischen Binnenschiffer
erst einmal verinnerlichen, ehe sie sich über Rußlands
Weg mokieren. Ein Sturm im westeuropäischen Wasserglas
ist nun wirklich überflüssig wie ein Kropf.
In diesem Zusammenhang: Um die Regierungspolitik Rotchinas ist
es seit einigen Jahren erstaunlich still geworden im Abendland.
Ob das mit Chinas boomender Wirtschaft zu tun hat? Aber nicht
doch – wir sind doch frei! Wir lassen unsere Meinung durch
nichts beschneiden, nicht mal durch die Option auf ein paar
gute Geschäfte, nicht wahr, oder die Aussicht, vom Gelben
Drachen zumindest am Leben gelassen zu werden.
Wir sind ja sooooo frei!