Ein Nachrichtendienst
liest mit
zur Affäre Susanne Koelbl
Don M. Barbagrigia
So recht konnte sich
der Bundesnachrichtendienst der Kirschblüte 2008 nicht
erfreuen. Aus höchsten Regierungskreisen rüde abgerüffelt,
leckte er sich zunächst in Pullach die Wunden. Anlaß
der Schelte war die Überwachung der Korrespondenzen einer
Spiegel-Reporterin namens Susanne Koelbl. Auch der ZDF-Journalist
Tilgner soll im Brennpunkt des geheimdienstlichen Interesses
gestanden haben. Ernst Uhrlau, der Chef des Sicherheitsdienstes,
schwitzt. Warum eigentlich? Was zum Teufel ist der Grund dieser
ganzen Aufregung?
Wir wollen uns mal der Sache so nähern: Michel braucht
wieder einmal einen „Thrill“. Und Geheimdienste
geben immer eine ganz passable Kulisse zum wohligen Gruseln
ab – eben weil sie so schön geheim sind. Herrgott,
was müssen uns die Engländer einst beneidet haben.
Ihr Bram Stoker erfand den untoten und blutsaugenden Dracula
– wir hatten die Gestapo. Mary Shelley schuf Frankensteins
Monster – wir hatten das Ministerium für Staatsicherheit.
Die Engländer hatten Romane – wir hatten knallharte
und sehr reelle Bedrohung live.
Die Diktaturen schwanden dahin und mit ihnen ihre finsteren
Ausgeburten, die Spitzel- und Schnüffeldienste, die Anlaufstellen
für alle Denunzianten, die Dunkelmänner, derentwegen
man politische Witze flüsternd hinter vorgehaltener Hand
erzählte. Hinweg, hinfort…
Was uns blieb ist eine nette, handzahme Demokratie als Ausdrucksform
der Diktatur des Kapitals, dem es scheißegal ist, was
die Leute denken. Diese Demokratie als Ausdrucksform der Diktatur
des Kapitals interessiert nur Manpower, Profit und Marktpositionierung
– sonst gar nichts.
Was also sollen Geheimdienste tun? Der Bundesnachrichtendienst
(BND) ist ja nicht einmal vergleichbar dem Bundesamt für
Verfassungsschutz, welches die Innensicherung der netten Demokratie
als Ausdrucksform der Diktatur des Kapitals übernommen
hat. Der BND ist nur für die Sicherung der Bundesrepublik
Deutschland gegen Gefahren von außen zuständig. Soweit
so gut!
Dieser BND nun nimmt seine Aufgabe ernst und möchte unter
anderem verhindern helfen, daß durchgeknallte Muselmänner
in Deutschland Bahnhöfe sprengen oder Hochhäuser mit
gekaperten Verkehrsmaschinen abreißen.
Er braucht also Informationen und was liegt da näher, sich
im Umfeld der Leute zu bewegen, deren Job es ist, Tatsachen,
Berichte und Reportagen für das Journale lesende und fernsehende
Publikum zu ergattern. Solche Leute sind nun mal in aller Regel
Journalisten und Reporter. Die gelangen an ihre Informationen
unter Umständen viel einfacher als der BND, weil die Kontaktpersonen
aus der Terroristenszene ja schließlich eine Projektionsleinwand
benötigen. Die finsteren Gesellen haben nun mal das unstillbare
Bedürfnis, dem dekadenten Westen vor dessen anvisiertem
Untergange lang und breit und mit vielem Palaver zu erklären,
warum man ihn rabiat beseitigen müsse. Der Transmissionsriemen
solcher Erklärungen sind also die Reporter. Und auch diese
Menschen profitieren einiges von dem Handel: Immerhin können
sie ihren Chefredakteuren vorzeigbare Beiträge liefern,
Brisanz, Einzigkeit, Dramatik – die Auflagen steigen,
die journalistischen Gehälter steigen mit.
Und nun kommt der Bundesnachrichtendienst und will zum Wohle
aller ein wenig an dem Geschäft teilhaben. Das muß
man den Uhrlau-Leuten lassen: Es geht ihnen nicht darum, daß
der deutsche Michel eine spannende Zeitung zu bekommt, sondern
darum, daß er sie lesen kann. Lebendig, Unverletzt, von
keiner Bombe zerrissen.
Aber das interessiert den Pöbel nicht. Er wittert die Staatssicherheit,
die ihm auf Klo hinterherschleicht um ihn beim Blättern
in Schmuddelmagazinen über die Schulter zu schauen. Daher
der Lärm.
Und was denn Datenschutz? Nu is aber jut! Wer wird sich denn
über die Überwachung der Intimsphäre mokieren,
während er gleichzeitig an der Kasse von REAL seine Kundenkarte
über den Tresen gibt um drei Cent Rabatt zu erhalten! Eines
soll mal hier postuliert werden: REAL, ARAL und wie sie alle
heißen mögen, arbeiten längst viel effektiver
als der arme BND. Den Unternehmen trägt der dumme Michel
seine Seele sogar ins Haus – wie gesagt – um drei
lumpiger Cent Rabatt willen. Mehr noch, Michel nimmt am Hausarztmodell
teil. Prinzipiell gesehen könnte er sich mit der Liste
seiner Gebrechen um den Hals ebenso auf den Marktplatz seiner
Heimatklitsche stellen.
Aber: der BND bespitzelt Journalisten…!
Es folgen parlamentarische Untersuchungsausschüsse, wieder
endloses Gesülze, Schuldzuweisungen, Unschuldsbeteuerungen,
Bauernopfer und was alles zu solch einem Schlierentheater gehört.
Der gemaßregelte BND mußte sich im übertragenen
Sinne ins Stammbuch schreiben lassen, sie sollen sich nicht
noch einmal erwischen lassen. Wie dürfen wir das verstehen?
Soll der BND nunmehr die Überwachung interessanter Journalisten
einstellen, oder soll er seine eigenen Sicherheitslöcher
stopfen und sich nicht noch einmal die Blöße geben,
bei dilettantischem Murks erwischt zu werden?
Ja, es geht auf den Sommer zu und da muß unsere niedliche,
leider etwas zahnlose Demokratie als Ausdrucksform der Diktatur
des Kapitals mal wieder etwas Trommelwirbel veranstalten –
damit sie auch fernerhin wahrgenommen wird. Sie ist aber auch
eine wahre Sukzessorin ihrer guten alten Erbtante Weimarer Republik,
die zu ihrem Ende hin schon gelinde gesagt etwas wirr an Haupt
und Gliedern war.
Also schnell noch ein bißchen Theaterdonner vor der parlamentarischen
Sommerpause! Wir applaudieren irritiert und enden dazu passend
mit einem Zitat aus Shakespeares Sommernachtstraum: „Gut
gebrüllt, Löwe!“