Hans Joachim Borzym
– das Brandenburger Ruder-As
Michael L. Hübner
Brandenburg – Stadt
am Wasser! Immer wieder zog es junge Brandenburger auf die Havel
und ihre Seen. Paddeln, Rudern und Segeln zählten und zählen
dabei zu den beliebtesten Wassersportarten. So konnte es nicht
ausbleiben, dass die Stadt Talente hervorbrachte, die sich bis
auf die olympischen Siegertreppchen hocharbeiteten. Die Ruderweltmeisterschaft
U23 sei ein willkommener Anlass, einem dieser Ausnahmesportler
einen Beitrag zu widmen.
Im Januar 1948 wurde Hans-Joachim Borzym in der Havelstadt geboren.
Der Krieg war keine drei Jahre vorbei, die Neustadt noch immer
zu großen Teilen ein kinderfeindliches Trümmerfeld,
als die Mutter des kleinen Hans-Joachim befand, ihr Sohn solle
einer sinnvollen Freizeitbeschäftigung nachgehen: Wie wär‘s
mit Rudern! Das Wasser war nicht halb so gefährlich wie
eine zerbombte Ruine. Gesagt, getan – Hans-Joachim meldete
sich bei den Leuten vom BSRK Aufbau in der Krakauer Straße.
Zunächst gab man ihm ein Boot und ließ ihn paddeln.
Das Rudern aber begann ihm bald besser zu gefallen. Harry Gahren,
der legendäre Trainer von „Einheit“ war es
dann, der den jungen Nachwuchsruderer entdeckte. „Willste
nich bei uns mitrudern?“ fragte Gahren. Hans-Joachim wollte
und sein unaufhaltsamer Weg zu den Gipfeln des Sportes begann.
Zunächst beeindruckte er bei den DDR-Kinder- und Jugendspartakiaden:
1964 – Nachwuchsbester im Einer in Magdeburg; 1965 –
Zweiter bei den Jugendmeisterschaften, ebenfalls im Einer; ein
Jahr später Spartakiadesieger im Zweier. Das war 1966.
Hans Joachim Borzym hatte gemäß der Familientradition
den Bäckerberuf ausgelernt. Seine Leidenschaft aber galt
weniger dem Brötchenbacken, sondern nach wie vor –
dem Rudern. In den nächsten Jahren durchpflügte er
mit seinen Booten für den SV Dynamo die Potsdamer Havelgewässer.
Mehr und mehr bekam der Name Borzym internationales Gewicht.
Um in die DDR-Auswahl aufgenommen zu werden, mußte man
zu den 18 landesbesten Ruderern zählen. Der Name Borzym
fand sich stets bei diesen anderthalb Dutzend fixen Wassermännern.
Also sollte er folgerichtig den deutschen Arbeiter- und Bauernstaat
bei den Olympischen Spielen in München 1972 im Zweier vertreten.
Sein Partner aber nahm die frommen Parolen der ostdeutschen
Machthaber von Völkerverständigung und Völkerfreundschaft
allzugenau und wurde vorsorglich wegen „unerlaubten Westkontakten“
quasi über Nacht aus dem Olympiakader entfernt. Borzym,
der nun ohne Partner dastand, sah seine Olympiahoffnungen dahinschwinden.
Man wollte auf ihn jedoch nicht verzichten und so bekam er seine
Chance im Achter. Nun gut, die Neuseeländer rasten allen
davon: Gold mit einer dreiviertel Länge Vorsprung in 6:08,94.
Aber die US-Amerikaner – auf einer mutmaßlich von
Windschatten begünstigten Bahn – die schnappten mit
6:11,61dem ostdeutschen Achter das Silber vor der Nase weg.
Borzyms Boot rauschte nur 16 cm hinter den Amerikanern mit 6:11:67
über die Ziellinie. Sechs Hundertstel! Sportlerpech…
Doch so wie die Brüder Landvoigt im selben Boot und später
Jörg Friedrich 1980 in Moskau holte Hans-Joachim Borzym
eine olympische Medaille heim nach Brandenburg an der Havel.
Noch vier Jahre blieb der Olympionike Borzym aktiver Sportler.
Dann begann er seine zweite Karriere als Ruder-Trainer im Herbst
1976. Chef-Methodiker wurde er, befaßte sich mit der Meßbootanalyse,
der Planung und Durchführung des Trainings. Nichts aber
bedeutete dem Trainer Borzym mehr als die „Arbeit am Mann“,
das Training mit den Sportlern.
Wie auch bei vielen anderen Sportarten waren die DDR-Ruderer
international hochgeachtet und als Angstgegner respektiert,
nicht zuletzt dank solch profilierter Trainer wie Hans-Joachim
Borzym.
1990 war es dann vorläufig aus mit Borzyms Traumberuf.
Das wiedervereinigte Deutschland definierte sich in erster Linie
über die harte D-Mark und erst nachgeordnet über den
olympischen Medaillenspiegel.
Seit 1991 betreibt der ehemalige Weltklasseruderer gemeinsam
mit seiner Frau, einer Kanu-Silbermedaillengewinnerin ebenfalls
bei den Olympischen Spielen von München, das Geschäft
„Sport-Bo“ in der Brandenburger Neustadt.
Ja, er hatte zwischenzeitlich durchaus wieder Möglichkeiten
und Angebote als Trainer zu arbeiten. England wollte ihn für
die Jugendverbandsarbeit haben. Doch die Familie hatte für
Borzym Vorrang. Ein Kamerad von ihm ging statt seiner –
den hat die englische Königin mittlerweile zum Ritter geschlagen.
Aber einmal, da konnte er nicht Nein sagen. Das war 2006. Das
Reich der Mitte rief und Borzym trainierte ein Jahr lang die
Provinzauswahl der chinesischen Provinz Shandong. Provinz…?
Ja, ja –nee, nee! Diese Provinz ist von der Fläche
her knapp halb so groß wie Deutschland und besitzt etwa
10 Millionen Einwohner mehr! Und Regattastrecken stampfen die
Chinesen in kürzester Frist aus dem nackten Boden, 3 km
lang, 500 m breit, 4 m tief, umgeben diese mit einem Rundweg,
setzen einen mit Bussen befahrbaren Regattatrum ans Ufer und
überspannen den anderthalb Quadratkilometer großen
See mit einer 2 km langen Brücke. Mal eben so. Nein, das
ist kein olympischer Austragungsort. Das wurde „nur“
für die Ruder-Landesmeisterschaften und die Naherholung
gebaut… Die Trainingsmöglichkeiten für Borzyms
Team waren entsprechend. Mit seinen chinesischen Jungs konnte
er denn auch im Jahre 2006 die chinesische Landesmeisterschaft
gegen eine Konkurrenz von 14 Achtern(!) gewinnen. Seine Augen
leuchten, als er die Bilder zeigt. Das ist eine andere Dimension.
Hier geht es anders lang als in der Heimat, wo man allen Ernstes
meinte, man könne an die olympischen Erfolge gesamtdeutsch
anknüpfen, wenn man sich nur der ostdeutschen Sportler
bemächtigte. Die Trainer und ihre ausgefeilten Methoden
glaubte man in den Ruhestand schicken zu können. Ob die
Rechnung aufging, wird sich am nächsten olympischen Medaillenspiegel
ablesen lassen.
Borzym, der in diesem Jahr seinen 60. Geburtstag gefeiert hatte,
engagiert sich derweil noch im Havelregattaverein. Im Großen
und Ganzen aber tritt er jetzt etwas kürzer. Ab und an
fährt er mit seinem Fahrrad noch die 30 km von seinem Wohnort
Werder hinüber nach Brandenburg. „Anderthalb Stunden“,
lächelt er stolz. Sportler bleibt eben Sportler!