Orgien
der Gewalt in Deutschland
Don M. Barbagrigia
Ach, wie lehnt es sich so
selbstgefällig in den Redaktionssessel, mit leicht gespitztem
Munde flötend: „Haben wir es nicht schon immer gesagt?
Haben wir nicht seit nunmehr einem halben Jahrzehnt gebetsmühlenartig
auf den selbstverschuldeten Terror hingewiesen, der unser Land
überziehen wird? Haben wir nicht Lösungsvorschläge
zur Diskussion gestellt? Wurden sie auch nur ansatzweise aufgegriffen?“
Nun ist es so weit. Die Meldungen aus Berlin überschlagen
sich. Mord und Totschlag im Umfeld der öffentlichen Verkehrsmittel.
Lebensgefährlich verletzte Opfer, niedergestreckt von halt-
und gewissenlosen Schwerstkriminellen. Wir werden mit einem Problem
konfrontiert, welches im wahrsten Sinne des Wortes die Nationale
Sicherheit bedroht. Ja richtig. Nicht die Sicherheit von ein paar
Geheimnis- und selbsternannten Leistungsträgern, die glauben
das Reich müsse verderben, wenn man ihre zwielichtigen Machenschaften
bloßstellt. Kein auswärtiger Feind schüttelt die
Faust gen Rhein und Oder. Der Wurm höhlt den morschen deutschen
Eichenstamm von innen: Es ist die frustrierte, sinnentleerte und
völlig überflüssige "generation fun",
welche die Hölle in ihren seelenlosen Hüllen nach außen
exportiert und sich zu einer Landplage mausert.
Nein, uns ist nicht nach diesem traurigen Triumphe zumute. Uns
ist zum Kotzen! In der Reichshauptstadt eskaliert die Gewalt in
einem seit Kriegsende kaum mehr bekannten Ausmaße. Es ist
ein Horrortrip. Was brauchen wir noch Hollywood? Da werden Busfahrer
zusammengedolcht, couragierte Zeitgenossen, die bedrängten
Frauen zur Hilfe eilen, lebensgefährlich zusammengeschlagen.
Über das U-Bahn Video redete man noch in der Republik, warf
Grundsatzfragen auf – aber jetzt? ARD – wo sind deine
Brennpunkte? Frau Kanzlerin, wo ist Ihre Stellungnahme zur Lage
der Nation?
Oder ist man in Regierungskreisen der Annahme, daß das alles
nicht so dramatisch ist? Wähnt man den Rechtstaat auf einem
kontrollierten Rückzug, wie es in den Wehrmachtsberichten
immer so blumig hieß, wenn wilde Flucht gemeint war? Wohin
wollen wir in Deutschland fliehen? Auf den Grund des Ozeans exzessiver
Gewalt, in die Favelas, nach L. A. South Central, in die Bronx,
in die Pariser Vorstädte?
Ist es das, was wir unseren nachfolgenden Generationen zu hinterlassen
wünschen: brennende Automobile, eingeschlagene Fensterscheiben,
schwerverletzte Opfer, wimmernde Kinder und – Angst? Allgegenwärtige
Angst? Wollen wir ihnen ein Gemeinwesen vererben, in dem starke,
junge, ungebildete aber dafür schwerbewaffnete Männer
das alleinige Faustrecht wahrnehmen und alles umnieten, was sich
ihnen in den Weg stellt? In dem das Durchschnittsalter auf 25
Jahre sinkt, wie es letztmalig in der Steinzeit der Fall war?
In dem unter all den zig Tausenden unbekannten und in Vergessenheit
geratenen Wörtern der deutschen Sprache die vergessensten
„Moral“, „Ethos“ und „Erbarmen“
heißen? Wo Mitgefühl zu einer unverzeihlichen und lebensbedrohlichen
Schwäche degradiert wird? Das Eiserne Zeitalter der alten
Griechen?
Ist der Deutsche Michel tatsächlich schon so dekadent, fett,
faul und träge, verweichlicht und verblödet, daß
er nicht mehr in der Lage ist, mit solch gesellschaftsbedrohenden
Individuen fertig zu werden, sich ihrer – wenn es sein muß
– gründlich zu entledigen?
In dem russischen Märchen von Kusma dem Faulpelz heißt
es, Kusma wäre selbst in seinem brennenden Hause so lange
im Bette liegen geblieben, bis die Flammen an seinen Füßen
leckten. Als er dann seinen trägen Leib in Sicherheit bringen
wollte, war es zu spät. Er kam im Feuer um. Gibt es im deutschen
Märchenschatz auch eine so lehrreiche Geschichte?
Wie weltfremd und träge muß die deutsche Administration
sein, daß sie im Angesicht solch horribler Geschehnisse
noch immer nicht realisiert, daß es brennt im deutschen
Hause, lichterloh brennt!?
Das Heilige Römische Reich Teutscher Nation überlebte
einst den Dreißigjährigen Krieg. Es überstand
diese Nemesis zu einer Zeit, als Moral und Werte, Leben und Gesundheit
ebensowenig galten wie heutigen Tages bei denen verrohten und
entmenschten Kriminellen, die in Berlin gerade für Schlagzeilen
sorgen. Das schwerst verwundete Reich überstand die Schrecken
von 30 Jahren Terror pur, weil es noch immer auf einem felsenfesten
Grundfundament tradierter Werte ruhte. Darauf ließ sich,
wenn auch mühsam, wieder neu aufbauen.
Doch wo will man jetzt ansetzen? Das einstige Fundament ist im
20. Jahrhundert zu Staub zerbröselt und wurde von den 68ern
in alle Winde verpustet. Jetzt nutzt keine Kosmetik mehr! Jetzt
gehört auf einen groben Klotz ein grober Keil. Ein Narr ist,
wer entartete Zellen zu besprechen sucht. Diese Kriminellen sind
Krebszellen im Organismus der Gesellschaft. Sie müssen unbarmherzig
entfernt werden, während gleichzeitig alles ins Werk gesetzt
wird, den in der Spaßgesellschaft verloren gegangenen Unterbau
wieder zu errichten.
Dieser Prozeß wird sowieso ablaufen – wir haben nur
die Wahl, ihn selbst zu steuern oder ihn aus der Hand zu geben.
Wenn andere den Job erledigen, Muselmänner beispielsweise
oder nachfolgende Generationen, die aus der Hölle ihres Daseins
zum x-ten Male in der Geschichte der Menschheit den Schluß
ziehen, daß eine Gesellschaft für ein lebenswertes
Leben zwingend eines moralischen Korsetts bedarf, dann wird die
Welt hinterher eine andere sein, als wir sie kannten und als wir
sie an unsere Enkel übergeben wollten.
Das ist der Preis für unsere Indolenz, unsere Unfähigkeit,
unser Versagen. Aber nun gut. Das ist des Jammerns nicht wert.
Jedes Mal, wenn wir aus den Fenstern der Redaktion hinausblicken,
dann drängt sich die Frage auf, wie viele signifikante Umwälzungen
diese Erde schon getragen hat. Sie selbst blieb sich dabei immer
treu. Die Menschen in ihrer Dummheit übrigens auch. Es scheint
der unabänderliche Lauf der Dinge zu sein.
Die BVG, die Verkehrsbetriebe Berlins indes sinnen auf Abhilfe:
Sie wollen 1.000 Langzeitarbeitslose einstellen, die Präsenz
zeigen und den Opfern zügig die Telephonnummern von Polizei,
BVG und vlt. auch der Telephonseelsorge ansagen können. Bravo!
Das ist mal ein genialer Einfall! Was für ein lustiges buntes
Pflästerchen auf die täglich sich vergrößernde,
stinkende, eiternde und schwärende Wunde im Fleische unseres
Gemeinwesens! So packt man Probleme an! Warum hat man die BVG
nicht zu Rate gezogen als Elbe und Oder über ihre Ufer traten?
Da hätten die Langzeitzeitarbeitslosen brav Streichholzdämme
basteln können.
Das ist schon nicht einmal mehr tragikomisch – das ist nur
noch tragisch. Es ist nur erstaunlich, daß die Weisheit
der Alten, die da sagten, man ernte was man säe, in diesem
Falle nur bedingt zutrifft. Die späte Bundesrepublik hatte
in den Schockjahren nach der Hitlerdiktatur Softeis in ihren Nachwuchs
investiert – heraus kamen Drachenzähne. Das sollte
zu denken geben!
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