Das
perfekte Dinner – die perfekte Blasphemie
B. St. Fjøllfross
„…unser täglich
Brot gib uns heute…“. „…und segne, was
du uns bescheret hast…“
So sprachen die Alten mit tiefer Dankbarkeit im Herzen, wenn
sie mit gefalteten Händen um den Tisch herum saßen,
vor sich die Schüssel mit dem kargen Essen auf dem Tisch.
Schwer mußten die meisten von ihnen für diese Mahlzeit
schuften, „im Schweiße ihres Angesichts“ wie
es in der Bibel heißt. Oft genug fehlte es am täglichen
Brot, oft genug ging es mit hungrigem Magen in die Nacht.
Das ist in Deutschland noch nicht gar so lange her. Nein, in
der schwarz-rot-goldenen Epoche der verhungernden Kleinkinder
und der versagenden Jugendämter ist es sogar die deutsche,
die nationale Gegenwart, von der wir reden.
In Afrika ist es Alltag. Da sitzen die kleinen und großen
Negerkinder unter der glühenden Sonne Eritreas, Äthiopiens,
des Sudan und vieler anderer Länder und sind vor schierem
Hunger zu schwach, sich die Fliegen aus den Augen zu wischen.
Hungerödeme wölben den Leib. Die schlaffen Brüste
der entkräfteten Mütter geben schon lange keinen Tropfen
Milch mehr her. Alles, was diese Frauen noch zu tun vermögen,
ist ihren Kindern beim Sterben zuzusehen. Wir sehen derweil
dem Fernsehsender VOX zu.
Dem ist es nämlich um „Das perfekte Dinner“
zu tun. Hier geht es um die bedeutenden Fragen des zivilisierten
Lebens in einer „Hochkultur“: Welcher Aperitif gereicht
wird, ob der Wein gut genug temperiert ist, die Mousse schaumig,
die Soße cremig… ich sitze im Geiste vor dem kleinen
Negerjungen und versuche ihm das zu erklären. Ich kann
es nicht. Es geht nicht. Nicht einmal der Gott, der –
um unseren Großvater Heinrich Heine zu zitieren –
dieses Lumpenpack erschaffen hat, das mit Seinen Gaben so gotteslästerlich
umgeht, könnte das. Ebensowenig der Missionar, der diesen
Gott verkünden soll und statt dessen verkünden muß,
daß ein lokaler Warlord die bescheidene Weizenlieferung
der UNO abgefangen und unter seinen Kindersoldaten verteilt
hat. Diese Verkündigung bedeutet unfehlbar das Todesurteil
für den kleinen Negerjungen in den Armen seiner Mutter.
Qualvoll wird er sterben und somit die neueste Sendung des „perfekten
Dinners“ auf VOX verpassen.
Da sitzen die gemästeten Gestalten und frönen ihrer
verbalen Diarrhoe, bepunkten gegenseitig die Gelage, die sie
einander ausrichteten. Um der Sache den Hut aufzusetzen, läßt
der Sender noch das perfekte Promi-Dinner anrichten, bei der
das Ganze von sogenannten Prominenten, oder solchen, die sich
partout auf Grund irgendwelcher Rollen in ebenso schmierigen
wie gehaltlosen Seifenopern für prominent halten, zelebriert
wird. Und während diese fragwürdigen Zeitgenossen
ihren geistigen Durchfall absondernd mit den Nahrungsmitteln
aasen, verreckt der kleine Neger in den Armen seiner Mutter
elend.
Zur selben Zeit richtet ein Neunjähriger aus den Favelas
Sao Paulos im Stadtteil Jardim Angela einen 45er Revolver auf
einen Passanten, der sich etwas zu nah an die Grenze des Slums
heran verirrt hatte. Er braucht das Geld, er ist bereit abzudrücken.
Weit muß die Mutter des Neunjährigen laufen für
eine Flasche sauberen Wassers, das Essen stammt oft aus den
Mülltonnen der reicheren Viertel. Zu Hause wimmern die
kleineren Geschwister, der große Bruder ist seit einigen
Monaten tot, von den Esquadraos da Morte, den Todesschwadronen,
als menschlicher Müll entsorgt und beseitigt; der zweite
ist nach einer Schießerei mit der Nachbarbande um ein
paar Gramm Kokain zum Krüppel geballert worden; die 12jährige
Schwester hurt für ein paar Pesos im Stadtteil Ipiranga,
nachdem sie von einem Rechtsanwalt aus Vila des Merces bei einer
seiner Partys nach dem Cocktail herumgereicht wurde. Entjungfert
ist sie kaum noch etwas wert. Vor dem Aids, welches sie töten
wird, scheuen auch die brasilianischen Dandys zurück. Also
schnell noch ein paar Bettelkinder zur Welt gebracht und Mutti
zur Oma, die Brüder zu Onkels gemacht. Wenn sie dann mit
14 Jahren aussieht wie 40 und aus dem zahnlosen Mund sowie zwischen
den Beinen stinken wird, dann wird es mit ihr herrlich am frühen
Morgen in der Gosse enden und ein früher Tod sie hoffentlich
mit milder Hand erlösen. Schade, wieder ein perfektes Dinner
verpaßt. Ende der Soap. Aber noch verdient sie, bläst
den verwöhnten männlichen Vertretern der Jeunesse
d’Oree die Seele aus dem Unterleib und läßt
sich deren Sperma ins Gesicht spritzen für ein paar lumpige
Pesos. Ist doch proteinhaltig, wird ihr von der betuchten weiblichen
Begleitung der übermütigen Jünglinge erklärt,
die sich im Übrigen zu schade für dergleichen sexuelle
Dienstleistung ist. Also auch für sie „Ein perfektes
Dinner“! Sie macht die jetzt schon staksiger werdenden
Beine breit, sooft sie einen Freier erhaschen kann und doch
reicht das Geld kaum für sie allein und lange wird sie
bei ihrer Lebenserwartung sowieso keines mehr anzuschaffen in
der Lage sein – also muß ihr neunjähriger Bruder
oben in den Favelas zusehen, wie die Familie über die Runden
kommt. Zu seinem letzten Geburtstag vor drei Monaten hat er
den Revolver von einem älteren Jungen übernommen,
der blutend auf der Straße lag, niedergesiebt vom Feuer
der Maschinenpistolen patrouillierender Polizisten. Derweil
wird in einer nordamerikanischen Kleinstadt von einer Fast-Food-Kette
ein Cheeseburger-Wettfressen ausgerichtet. Den Dickwänsten
trietscht die Mayonnaise aus dem Maul, die Augen quellen hervor
– ein mit Straßapplikationen geschmückter Ledergürtel
winkt als lohnendes Ziel.
Den animierenden Bunnies, die es leider nicht zum Cheerleader
gebracht hatten, kommt beim Hinsehen bald das Kotzen. Doch dienstbeflissen
lächeln sie, kreischen sie, schwenken ihre von den winzigen
Röcken kaum bedeckten Hintern und tragen die nächsten
Cheeseburger an die Orgienbar.
Nein, fürwahr, da geht es im zivilisierten Deutschland
doch weitaus fürnehmer zu. Der Michel serviert sich das
perfekte Dinner. Das hat doch was von Kultur, das verrät
gehobenen Lebensstil. Vor allem aber verrät es eine beispiellose
Dekadenz und Ignoranz.
Einst, so sagt man, ging die reiche Ostseestadt Vineta in den
Wellen des Meeres unter, nachdem der Herrgott das Strafgericht
über die Bewohner hereinbrechen ließ, weil die Bewohner
Vinetas "das tägliche Brot" an ihre Schweine
verfütterten und die Tiere aus goldenen Trögen fraßen.
Mag sein, daß diese Dinge unzutreffend formuliert sind,
aber anders konnten sich die Alten den Gipfelpunkt des unsinnigen
Umgangs mit dem Überfluß nicht ausmalen.
Der wahre Hintergrund ist wohl, daß die reiche Kaufmannssiedlung
Jumne mit ihrer zentralen Festung Jomsburg, die dem sagenhaften
Vineta wahrscheinlich Pate standen, die Begehrlichkeiten der
ärmeren Nachbarn auf sich zogen. Schwert und Hunger geben
eine gefährliche Kombination. Die wohl von Harald Blauzahn
und seinen Wikingern verwüstete Konkurrenz Haitabus verfiel
und wurde vom Meer verschlungen.
Doch was interessieren Michel die Ereignisse vor tausend Jahren?
Weisen sie doch lediglich in seine Zukunft: Die Kähne,
Schaluppen und Seelenverkäufer mit den desperaten Negern,
die tagtäglich über den rauhen Atlantik und das Mare
Nostrum paddeln um an die portugiesischen, spanischen und italienischen
Küsten anzulanden, und gegen die sich das vollgefressene
Europa festungsartig einzuigeln versucht, sprechen die gewaltige
und vernichtende Sprache der Hungernden. Noch kommen sie Tröpfchenweise.
Aber der Tag ist nicht ferne, da wird eine gewaltige Flut gegen
die Dämme des alten Kontinents anbranden, daß den
Machern dieser blasphemischen Freßsendungen das perfekte
Dinner im Halse stecken bleibt!
Dieser von blankem Hunger getriebene Sturm wird die Ereignisse
von Omaha Beach aus dem Jahre 1944 verblassen lassen. Und VOX,
solange dieser sich aller seriösen Kritik entziehende Sender
noch existiert, wird anderes zu berichten haben, als über
das gottlose Genörgel dekadenter Freßmaschinen. Die
Legionen von Fernsehköchen werden hinweggewischt werden
vom Antlitz der gepeinigten Erde.
Als Trost mag ihnen verbleiben, daß die Neger, da sie
ja auch nur Menschen sind, keine grundsätzlich anderen
Dummheiten begehen werden, sobald sie sich satt gegessen haben.
Nichts Beseligenderes gibt es für den neunjährigen
Revolverhelden aus Sao Paulo, als die tägliche Soap im
Unterschichten-Fernsehen, wenn es ihm denn gelang, die Mutter
und die Geschwister auch über diesen Tag zu bringen. Bald
wird sein jüngerer Bruder seinen Revolver und die schwere
Bürde des Familienoberhauptes erben müssen, denn die
Überlebens-Statistik läßt dem Neunjährigen
nicht mehr viel Zeit. Nur wenige werden in der Hölle der
Favelas volljährig.
Karneval und Soaps helfen etwas über den tristen Alltag.
Allein der Hunger regiert über diese armen Teufel –
und daran mögen die okzidentalen Parasiten denken, wenn
sie die Papptafel mit der Punktezahl heben, um ihren Freßpartner
zu bewerten.
Mene mene tekel u pharsin – du wurdest gemessen, gewogen
und zu leicht befunden. Das war die Schrift, die dem König
Nebukadnezar während einer seiner Orgien an der Wand erschienen
ist und sein gewaltsames Ende in der folgenden Nacht ankündigte.
Mene mene tekel u pharsin… Wenn der Vater des verhungernden
eritreischen Kindes einem weißen Touristen die Machete
unter die Nase hält, wenn der Neunjährige aus Sao
Paulo den für seine kleinen Hände viel zu schweren
Revolver auf die bebrillte Grundschullehrerin richtet, die jüngst
bei VOXens perfektem Dinner kichernd eingestand, daß sie
das Essen mit Stäbchen nicht beherrscht – dann werden
wir uns mit Vorwürfen gegen den Neger, den wütenden
Muselmann, das schwer bewaffnete Kind zurückhalten. Unser
Mitleid wird bei denen bleiben, die mit ihrem Leid die Freßgelage
des reichen Nordens bezahlen.
Wer die Achtung und den Respekt vor dem täglichen Brot
und vor dem hungernden Nächsten so mit Füßen
tritt, den soll der Teufel holen!
Wir verachten in diesem Kontext die bigotten 50-Cent-Patenschaften,
die angeblich das Überleben und die Ausbildung eines Dritte-Welt-Kindes
ermöglichen und dabei doch nur die finanzielle Gewissens-Beruhigungspille
der perfekten Dinnierer darstellen. Der reiche Norden der Weltkugel
verhöhnt auf Schritt und Tritt – ohne daß ihm
das in seinem abgehobenen Wahnsinn noch bewußt wird –
die von ihm ausgebeuteten Mitmenschen des Südens. Die Geschichte
der Menschheit aber versorgt uns mit ausreichend vielen Präzedenzen,
wie sich das Ganze weiter entwickeln wird. Das Weltbarometer
steht bereits auf Sturm. Es wird kein Huntington’scher
Clash of Civilisations, sondern ein Tsunami der Hungernden an
die Gestade der Dekadenz. Und alle technische und logistische
Überlegenheit wird dem Norden nichts mehr nutzen. Wie sich
der Norden nun in panischer Angst um seine eigene Haut mit dem
Klimawandel auseinandersetzt und den Schadstoffausstoß
einzugrenzen versucht, so sollte er sich baldmöglichst
mit gleicher Energie um den geopolitischen Wetterumschwung Gedanken
machen und zunächst den kulturellen Schadstoffausstoß
drastisch senken. Das perfekte Dinner wird anderenfalls sehr
bald ein Dinner for One sein – einsam, tragisch, lächerlich;
ein einziges, furchtbares und perfektes – Strafgericht.