Steffan Drotleff
– Räuberhauptmann und Betriebswirt
Michael L. Hübner
Wie stellt man sich einen
waschechten Räuber vor? Groß? Breitschultrig? Grimmig?
Bärbeißig? Den breitkrempigen Hut verwegen in die Stirne
gedrückt wenn er – in jeder Hand eine Waffe –
dem Kaufmannszug in den Weg tritt und mit donnernder Stimme Halt
gebietet? Waren sie so – die Schinderhannes, Stülpner-Karl,
der Bayerische Hiasl oder Habakuk Schmauch? Letzterer sah eher
nach einem spanischen Hidalgo aus – wenn man der Besetzungsliste
des Brandenburger event-theaters trauen darf. Beinahe schulterlanges
schwarzes Haar, kluge braune Augen, ein sehr akzentuiertes und
offenes Gesicht, umrahmt von einem angedeuteten Vollbart –
nun, dieser Habakuk Schmauch verdient seinen Lebenserhalt auch
nicht mit Raub und Totschlag: er ist ein Mime, ein Schauspieler
und das par excellence. Dabei ist er mal gerade 26 Jahre alt und
ein diplomierter Betriebswirt und überhaupt: er heißt
gar nicht Habakuk Schmauch, diesen spielte er nur, sein bürgerlicher
Name ist Steffan Drotleff.
Der gebürtige Brandenburger wuchs im Stadtteil Görden
auf, ging dort zur Schule und muss schon mit 11 Jahren ein aufgeweckter
Bursche gewesen sein, der sich ganz dezidiert Gedanken um seine
Zukunft machte. Das Zeug zum Abitur hatte er. Die Mutter beschwor
ihn zum Gymnasium zu gehen, aber der junge Drotleff war ein Non-Konformist.
Alle wollten aufs Gymnasium – also wählte er einen
anderen Weg. „Besser,“ so dachte er „ich steige
später in die Abiturstufe auf, als im Falle einer Überforderung
vor dem Abitur in eine nachgeordnete Bildungsstufe ab!“
Als ihm dann die Zeit für die Hochschulreife recht schien,
da erkämpfte er sich den Wechsel in ein Oberstufenzentrum.
In nur einer Vorbereitungswoche bimste er als zweite Fremdsprache
mit Mutters Hilfe Russisch bis zum Abwinken und – bestand
den Zulassungstest. Wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hatte,
dann biss er sich daran fest wie eine Bulldogge. Ganz egal wie
und für was er sich entschied – die Familie stand hinter
ihm. Von seinen Leuten schwärmt er, da leuchten die Augen.
Vom Vater erzählt er, wie der immer für die Familie
da ist und eigentlich nur für die Familie lebt. Wie ihn die
Mutter unterstützt, selbst wenn es nicht nach ihrem Kopf
geht. Es sieht so aus, als wären wunderbare Familien der
Nährboden für wunderbare Persönlichkeiten.
Nach dem Abitur stand auch für ihn die Frage: Was nun? Ein
wenig Bedenkzeit verschaffte ihm der Zivildienst in der Gärtnerei
der Landesklinik, eine Zeit, von der er noch heute schwärmt.
Letztendlich entschied er sich für das Studium der Betriebswirtschaftslehre
an der hiesigen Fachhochschule. Doch schon während der Oberschulzeit
kam er während eines Praktikums ans Brandenburger Theater.
Zu Abramowski, arbeitete beim Kulissenbau. Da hat er Feuer gefangen,
sagt er. Das nächstjährige Praktikum – selbstredend
wieder im Theater. Und dann so ein Zufall wie er mitunter die
Weichen fürs Leben stellt: In England verschüttet er
einen Kaffee, einem Mädchen auf den Arm, entschuldigt sich
tausendmal, kommt mit ihr ins Gespräch. Und siehe da, sie
ist aus Brandenburg an der Havel. Erzählt ihm vom Jugendtheater.
Was, Jugendtheater? Ist ihm noch nicht aufgefallen. Na, da müssen
wir doch mal…! Kaum zurück in der Havelstadt steht
er auch schon vor Gilbert Mirow. Mitmachen möchte er. „Ab
mit dir in den Fundus, “ ruft Mirow, „in fünf
Minuten beginnt die Probe.“ In diesem Moment stand für
Steffan Drotleff fest: Das ist es! Das wollte er machen. Noch
schnell das Studium beendet, nur rasch, rasch, damit er endlich
schauspielern kann, am besten Tag und Nacht. Fünf Diplomklausuren
riss er in zwei Wochen runter. Es wird einem schwindelig beim
Zuhören. Der innere Drang zur Bühne verlieh ihm scheinbar
Heldenkräfte. Die Diplomarbeit schrieb er naturgemäß
am und übers Theater, was denn sonst. Untersuchte die Qualität
der Dienstleistungen des Musentempels und der – schnitt
gar nicht mal so schlecht ab.
Zwischenzeitlich spielte Drotleff in so ziemlich jedem Bühnengängigen
Genre: Theaterstücke, Goethes „Faust“, Schiller,
Oper, Operette, Musical. Gesangsunterricht nahm er. Lernte gar
den Obertongesang und dazu noch die Techniken des Bühnenkampfes.
Eine Schauspielschule würde er gerne noch einmal besuchen.
„Bin wohl etwas zu alt“, resigniert der 26jährige.
Aber wenn Sie ihn vielleicht doch riefen, „nein“ sagen
würde er gewiss nicht. Mit Walter Plathe und sogar dem Doyen
der deutschen Schauspielkunst Johannes Heesters spielte er schon.
Das war bei den Elbelandfestspielen zu Wittenberge. Als Synchronsprecher
arbeitete er. Unter anderem mit Christiane Ziel, Mirows Nachfolgerin
beim Jugendtheater. Er moderierte Weihnachts- und Muttertagskonzerte,
war Regie- und Ausstattungsassistent, Projektmanager der Puppenbühne
und immer wieder – Darsteller. Ganz großes Theater,
Shakespeare, Romeo und Julia – der junge Drotleff spielte
den alten Capulet und trug entscheidend dazu bei, dass diese Aufführung
den Kulturbegeisterten Brandenburgern unvergessen bleibt. Auch
zum Fernsehen streckte er, wie gesagt, die Fühler aus: ZDF
und Arte hatten ihn bereits auf der Gehaltsliste. Mit Rosa von
Praunheim und Ekkehard Prophet arbeitete Drotleff zusammen. Am
meisten jedoch erfüllte ihn das Jahr, in welchem er am Brecht-Gymnasium
die Theater-AG leitete. „Zu erleben, wie in den Kindern
während eines solchen Kurses das Können und die Persönlichkeit
wachsen, das ist etwas Wunderbares!“ Die Aussage ist von
ungewöhnlicher Tiefe. Man würde sie eher bei einem gestandenen
Pädagogen vermuten. Stattdessen sitzt dort ein blutjunger
Mann mit einem herzlichen Lachen. Man staunt. So ein junger Mensch!
Aber drauf hat er’s. Die Schauspielerei liegt ihm im Blute.
Steffan Drotleff hat das Zeug zu einem Großen seiner Zunft.
Wir können nur hoffen, dass er der brandenburgischen Theaterlandschaft
die Treue hält.
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