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Wohin mit dem Bösen?
Zum Fall Josef Fritzl

Don M. Barbagrigia
Der Anwalt des österreichischen Monsters Josef Fritzl will seinen Mandanten als „Menschen“ begriffen sehen und eben nicht als Bestie.
Hoffentlich sieht er den Kerl, der ihm nachts auf der Wiener Goss’n dieser Ansinnens wegen den Nadelstreifenanzug etwas ausklopft, ebenfalls als Menschen in all seiner Menschlichkeit – und eben nicht als Bestie.
Fritzl ist kein Mensch. Er hat sich allen Menschseins begeben und entäußert.
Daß aber Anwalt Mayer ihn in ein Irrenhaus geben will, muß in Preußen verstanden werden, wenn auch der nach Rache dürstende Mob in aller Welt gequält aufjault. Hatte doch einst selbst der Große König angeordnet, daß die gegen einen Schäfer, der seinen Sohn im religiösen Wahn erschlagen hatte, verhängte Todesstrafe aufzuheben sei. Statt dessen wurde eine dauerhafte Einweisung in eine solche Irrenanstalt mit den Worten verfügt: „Galgen und Rad bessern solche Narren nicht. Man soll ihn in ein Irrenhaus geben und dort vernünftig und menschlich behandeln.“
Sicher steht hinter dem honorigen Anliegen, das der Aufklärung den Weg zu weisen scheint, auch das nüchterne Kalkül, daß es allemal besser ist einen potentiellen „Heiligen“ in einem Irrenhause zu demontieren, statt ihm den Märtyrerstatus zu verleihen. Man betet im Allgemeinen Leute an, die um ihres Glaubens willen starben und nicht solche, die hernach in Zwangsjacken stecken. Mit Geisteskranken will keiner etwas zu tun haben. Wir würden also mit dieser Lösung d’accord gehen. Einen Haken aber hat die Sache: Fritzl handelte weder aus religiösen Motiven, noch müssen wir befürchten, daß er von einer gefährlich breiten Masse zur Ikone erhoben wird. Krank oder nicht krank – es gibt Grenzen der Behandlungswürdigkeit. Krank im Kopf waren auch Himmler, Göring oder Saddam Hussein. Wenn die Auswirkungen einer Geisteskrankheit eine solche Bedrohung an Leib und Leben für die Mitmenschen darstellt, dann sollte die Frage einer Therapierbarkeit keine Rolle mehr spielen. Dann ist natürlich und selbstverständlich die blinde Dame mit dem Schwert gefordert, die Gesellschaft zu schützen. Leider scheint nun auch Frau Justitia in die Jahre gekommen zu sein. Sie wird anscheinend immer unbeweglicher.
Schade ist nämlich, daß die westlichen Rechtssysteme, die so vehement auf ihre Fähigkeit und ihr Bestreben zu individueller Schuldzuweisung pochen, so dümmlich steif und unflexibel geworden sind. Ob wir damit andeuten wollen, daß wir etwa gegebenenfalls Fritzls Liquidierung befürworteten? Gott bewahre! Das Gegenteil! Ganz das Gegenteil!
Gebt dem Strolch, was er seinen Opfern Jahrzehnte lang vorenthielt: Gebt ihm die Freiheit! Die absolute Freiheit!
Laßt ihn laufen! Kündigt seine Freilassung in allen Medien an und werft ihn mitten auf dem Marktplatz von Amstetten aus der Grünen Minna! Dann drehe sich die Polizei um und ziehe sich zurück. Klammert er sich verzweifelt an die uniformierten Hosenbeine der Polizisten, sollen sie ihn abschütteln und liegenlassen. Alles andere findet sich – dessen darf man getrost sein.
Das Mittelalter kannte ganz gute Rechtsverfahren, die in diesem Falle durchaus anwendbar wären: Tut den Lumpen in Acht und Bann und erklärt ihn für vogelfrei. Er hat keinen Namen mehr, ist nicht mehr Teil der menschlichen Gemeinschaft. Werde aus ihm was da wolle. Keiner darf ihn mehr beköstigen, keiner behausen – er verfalle denn derselben Acht! Dutroux möge der gleiche Spruch zuteil werden. Was sollen die kostenintensiven Unterbringungen, mit denen uns diese gestörten Krebszellen der menschlichen Gemeinschaft zeit ihrer Existenz auf der Tasche liegen? Warum leisten wir uns diesen Luxus? Fort mit ihnen! Das beste an Patrick Süskinds Saga von Grenouille, dem Zeck, war das Ende…
Das schlimmste aber ist nicht, daß dieser Dreck jetzt auf Kosten der ehrbaren Menschen am Leben erhalten wird. Schlimmer ist die sich gewaltsam aufdrängende Frage, welche dieses Zerrbild jeden menschlichen Ethos’ in uns aufwirft: Wenn wir nicht durch starke Kräfte gebändigt und im Zaume gehalten werden, zu wieviel Monstrosität sind dann wir fähig? Jeder einzelne von uns!
Was ist im Dreißigjährigen Kriege geschehen? Wer war die mordende und raubende, schändende und brennende Soldateska? Kamen die Einsatztruppen von Gestapo, Wehrmacht und SS etwa vom Mars? Wie sind die Exzesse des jugoslawischen Bürgerkrieges rational zu erklären, in denen Nachbarn Nachbarn schlachteten, wo sie doch Jahrzehnte friedlich nebeneinander wohnten. Hutus, Tutsis, spanische Konquistadoren, Folterknechte der Inquisition, kambodschanische Killerkommandos, Lynndie England – die Reihe ist endlos.
Wenn wir die Macht hätten zu tun, was Fritzl tat – was fingen wir mit dieser Macht an??? Wie integer sind wir selbst?
Jeder aufrechte Mann, jede ehrbare Frau stelle sich diese Frage morgens und abends vor dem Spiegel. Und keine voreiligen, von Narzißmus oder Feigheit geprägten Antworten, bitte! Kein pathetisches Sich-selbst-an-die-Brust-schlagen! Man gehe in sich bis in die tiefste, geheimste Kammer seines Herzens! Man erforsche in sich das Undenkbare! Wie selbstherrlich, egozentrisch und rechthaberisch urteilen wir über den Nächsten, der nicht unserer Meinung ist und welche Mittel würden wir akzeptieren um unserer Sicht Geltung zu verschaffen?
Vielleicht sind Fritzl oder Dutroux nur einen Tic abnormer als die durchschnittliche Masse. Wenn wir das verinnerlichen, wenn wir uns vor der Inneren Bestie in uns selbst noch mehr in Acht nehmen als vor diesen Monstern, dann haben die Dialektiker recht – dann hat selbst der Horror von Amstetten noch eine positive Seite!

11. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2008