Hessenwahl 2008
– Neues aus dem Kindergarten
J.- F. S. Lemarcou
„Willst du eine
Hesse necke, wirf ihn ins Piranha-Becke!“ Dieser üble,
infantile und im übrigen saudumme Reim aus der Schublade
der Regionalfeindschaften und des archaischen Stammesgetrommel
läßt sich nun doch noch zu etwas gebrauchen. Dazu
muß er allerdings um eine Nuance abgewandelt werden: „Willst
du einen Hessen necken, wirf ihn in das Linke Becken!“
Hessen hat gewählt, die CDU ist fürchterlich abgewatscht
worden und hat nur noch 0,1 Prozent Vorsprung vor der SPD. Von
48,8% auf 36,8%. Das ist schon beinahe ein freier Fall. Die
gute alte Arbeitertante SPD hat sich von 29,1% auf 36,7% erholt.
Beide beanspruchen nun 42 Sitze im Hessischen Landtag. Das ist
ein sehr unglückliches Gleichgewicht, da es die Regierungsfähigkeit
des Landes in Frage stellt. Also müssen Koalitionspartner
zumindest für eine tragende Mehrheit sorgen. Wer also mit
wem...
Los geht das Gezeter und Gezänk. Auf Bundesebene melden
sich die Parteifürsten zu Wort. Herr Westerwelle schlägt
sich wie ein altnordischer Heros an die Männerbrust und
tönt das Lied von Charakter und Loyalität und Bündnispflicht
zu den christlichen Demokraten. Die Grünen wollen natürlich
nicht mit den Schwatten – aber niemand, wirklich niemand
will mit den Roten. Mit den ganz Roten, versteht sich!
Die vereinigte Linke ist ins Parlament eingezogen. Für
Hessen nicht mal ungewöhnlich. Schon seit den 1848er Tagen
war Hessen so ein kleiner teutonisch-demokratisch-revolutionärer
Siedekessel, der für Radikalinskis immer ein offenes Ohr
hatte. Es sind halt keine gewöhnlichen Wessis, die Hessen,
etwa so wie die Schunkel-Rheinländer, die Plattler-Bayern
oder die Häuslebauer-Schwaben. Auch das hanseatisch-Führneme,
Bornierte geht ihnen vollständig ab.
Das alles ringt uns Achtung vor diesem Germanenstamm ab. Was
aber nicht recht ins Bild passt, ist das, was der Napoleon von
der Saar sehr treffend einen politischen Kindergarten nannte.
Unreif und – infantil. Wir gebrauchten das Wort schon
in einem gleichwertigen Kontext.
Die Linken dergestalt zu isolieren ist töricht. Das sind
doch keine Nationalsozialisten!
Der wertkonservative
Landbote ist mitnichten ein Parteiorgan oder auch nur Sprachrohr
der Kommunisten. Da sei Gott davor! Den realen Kommunisten haben
wir ihre im herausposaunten Namen einer besseren Zukunft für
die Menschheit begangenen Gräuel keineswegs vergessen: Gulags,
chinesische Kulturrevolution, Pol Pot und Yeng Sari in Kambodscha
und der millionenfache Intellektuellenmord, NKWD und Gelbes Elend,
Minenfeld und Stacheldraht an der deutsch-deutschen Demarkationslinie,
die nordkoreanische Robotergesellschaft, die hungern muß,
damit der Geliebte Führer wie einst Mao mit kleinen Mädchen...
Nein, wir vergeben es ihnen nicht.
Aber als linksliberales Blatt dünkt es dem Landboten absolut
unverständlich, daß man die heutige Linke mit diesen
blutig-roten Despoten in einen Topf wirft.
Kinders, nun bleibt doch mal auf dem Teppich! Die Kommunisten
waren in den Sechzigern und Siebzigern in führenden Staaten
der westlichen Hemisphäre wie Frankreich und Italien an vielen
Regierungen beteiligt. Und? Haben sie die Demokratien gekippt,
die Täler der Loire, die Ebene des Po in Filialen Sibiriens
verwandelt?
Selbst wenn das Wunder geschähe und Die Linke würde
in Hessen mit einer satten Mehrheit die Regierungsgeschäfte
übernehmen – was wäre denn dann? Selbst eine bundesdeutsche
Regierungspartei Die Linke würde kein Revival der größten
DDR der ganzen Welt bedeuten. Die Linke würde die Bundesrepublik
Deutschland nicht wie einst die Nazipartei das Reich aus dem Völkerbund,
respektive aus der UNO heraus manövrieren, die Nato verlassen
und das Land isolieren. Jedenfalls nicht gewollt. Das könnte
sie gar nicht.
Sie würde die Unternehmer ärgern, von denen sie ganz
sicher nicht wie einst das Münchner Braune Haus mit Milliardenbeträgen
geschmiert werden würde. Sie würde aufhören, die
deutsche Freiheit am Hindukusch zu verteidigen. Und das wäre
vernünftig.
Und über ein paar politische Generationen hinweg wäre
dann Die Linke ebenso brav, angepaßt und etabliert wie seinerzeit
Die Grünen. Waren die nicht einst die Schmuddelbuben der
politischen Nation? Gingen sie nicht durch dieselbe Tretmühle,
bis sie irgendwann in den späten Achtzigern des letzten Jahrhunderts
im Kaschmirpulli und in Edeltretern herauskamen?
Liebe Frau Ypsilanti, es ist dem Preußischen Landboten nicht
bekannt, auf welche närrischen Befindlichkeiten ihrer Wahlkampffinanzierer
und ihres Stimmvolkes Sie Rücksicht zu nehmen haben. Das
Musterbild einer souveränen Ministerpräsidentin geben
Sie jedoch mit der Verlautbarung von solchen Torheiten nicht bekannt,
welche Sie jüngst artikulierten, als Sie sagten, Sie wollten
sich von denen Linken nicht einmal tolerieren lassen, geschweige
denn mit ihnen koalieren.
Das ist dummes populistisches Geschwätz. Das hat kein Niveau!
Das ist kein Deut besser als Herrn Kochs wahlgerechte Vorschläge
zur Verschärfung der Bekämpfung der Jugendkriminalität.
Und es ist zutiefst undemokratisch! Denn Die Linken haben die
Verfassung nicht in Frage gestellt. Daß sie den Kapitalismus
als verwerfliches und menschenfeindliches System bezeichnen ist
ihr gutes Recht. Ihre sich daraus ableitenden politischen Traum-
und Wahnideen ebenfalls. Solange man ihnen nicht die Möglichkeit
gibt, ihre verspinnerten Utopien mit Macht und Waffengewalt durchzupeitschen,
soll man zumindest ihren Anliegen ein offenes Ohr leihen. Denn
es ist doch im Grunde dasselbe, wie mit der katholischen Kirche.
Bricht man ihnen die Fangzähne aus, werden sie fromm und
besinnen sich auf die Ideen, mit denen sie einst zur Welterrettung
und -beglückung angetreten waren.
Was also fürchtet Frau Ypsilanti? Sind es die Tage, als Kommunisten
gemeinsam mit Nazis auf den Rednertribünen des Reiches standen
und gegen SPD und Demokratie geiferten? Als Kommunisten und Nazis
hernach gemeinsam in die Straßenbahn am Berliner Breitscheidplatz
einstiegen, um Arm in Arm das nächste SPD-Stammlokal zu besuchen
und alle angetroffenen SPD-Genossen zusammen zu schlagen?
Nach dem 30. Januar 1933 saßen dann die Linken aller Couleur
in den deutschen KZ. Offiziell waren es die Lehren aus dieser
Zeit, welche Otto Grotewohl mit sichtlich saurer Mine veranlaßten,
dem roten Erzfeind Pieck in der SBZ die Hand zur kommunistischen
Ökumene zu reichen. Inoffiziell aber sehr reell waren es
die Sowjet-Russen, die Regie führten...und welche die Menschewiken
aus der Frühzeit ihrer Oktoberrevolution von Herzen haßten!
Bemerkenswert war, daß in der durch Zwangsvereinigung entstandenen
SED die Genossen, die aus der SPD kamen, weiterhin zweitklassige,
argwöhnisch beäugte und mit mancherlei Repressalien
bedachte Menschewiken waren. Nur die vormaligen Kommunisten, sofern
sie das Moskauer Hotel Lux und die anderen parteiinternen Säuberungen
überlebt hatten, waren Edelsozialisten.
Dieses Schreckenszenario, was sich dann in Westberlin sogar wiederholte,
scheint noch immer die Alpträume der guten alten Arbeiterverräter-Tante
zu dominieren. Doch all das ist Bestandteil der Geschichte. Die
Zeiten haben sich vorerst gewandelt. Unter dem dunklen Stern der
unumschränkten Herrschaft des globalen Kapitals sind solche
Entwicklungen zunächst ausgeschlossen und es wird eine ganze
Zeit brauchen, ehe die Ausgebeuteten dieser Erde erneut zu einer
adäquaten Antwort gefunden haben werden.
Just in dieser Interimsepoche sollte man also mit den progressiven
und humanistisch gesinnten Kräften zusammenarbeiten, so gut
es geht. Die Linke gehört zweifelsohne dazu. Was Frau Ypsilanti
viel mehr fürchten sollte, sind CDU-Parteimitglieder, denen
nach einem Systemwechsel plötzlich ein SED-Mitgliedsausweis
aus der Tasche lugt, weil sie die christlichen Grundwerte schon
immer gesucht und nun in einer kommunistischen Partei, entschlackt
vom Ballast der Religion, gefunden haben. Die Neger in Afrika
lehrten den Landboten: „Der dich verrät, sitzt nahe
bei dir!“ Um das zu erkennen, Frau Ypsilanti sollte man
den Hals im hessischen Landtag nicht gar so starr hinüber
zur Fraktion der Linken wenden.
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