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Wo brennt’s denn?
„Lustige Geschichten“
B.
St. Fjøllfross
Über dieses 63 Seiten starke, in Pappe gebundene Buch zu schreiben,
fällt mir unsagbar schwer.
Nicht allein, daß kaum einer unserer verehrten Leser wohl jemals
die Gelegenheit haben wird, es selbst in den Händen zu halten! Es
ist vor allem der Inhalt, der widerwärtige, abstoßende, fürchterliche
Inhalt, der mir die Auseinandersetzung mit diesem Erzeugnis der Schwarzen
Kunst so sauer werden läßt.
Sie werden fragen: „Was, bei einem Büchlein, das den Untertitel
„Lustige Geschichten“ führt? Wie das?“
Ja, darum geht es. Vergessen Sie Marquis de Sades unsterbliche Sauereien,
die sicher so manchen Schöngeist zum Kotzen brachten. Bei entsprechender
Abgebrühtheit konnte man sich darüber sogar noch in gewissem
Maße amüsieren.
Die vorliegenden „Lustigen Geschichten“ aber sind mitverantwortlich
am Tod Tausender deutscher Jungens, vielleicht vorher noch am Elend und
am Leid der Menschen, die der Zielgruppe des Machwerks hilflos ausgeliefert
waren.
Ich sehe schon ihr ungläubiges Staunen: „Wo brennt’s
denn?“ erschien 1939 als Heft 9 der nationalsozialistischen „Hilf
mit!“ – Schriftenreihe, die von der Reichsverwaltung des NS.-Lehrerbundes
und der Schülerzeitschrift „Hilf mit!“ herausgegeben
wurde.
Ein ehemaliger Jungpionier der DDR hüte sich zu sagen, „Frösi“
und Atze hätte es ja auch gegeben. „Hilf mit!“ hat eine
andere, eine brutale, eine boshafte, eine höllische Qualität,
die es so in keiner kommunistischen Jugendpropaganda je gab.
Das war der „Stürmer“ für die Jugend!
Dreizehn Geschichten sind in dem Buch versammelt, davon wurden zwei von
Frauen und eine von einem offensichtlich intellektuellen Adligen verfaßt.
Über die Hälfte des Inhalts steht unter starkem ideologischen
Einfluß und hat eine nationalsozialistische Ausrichtung.
Die traurige Spitze unter den giftigen Texten halten ausgerechnet die
von den Frauen Erna Lühmann und Olga Pöhlmann verfaßten
Sudeleien „Rachulle, der Held“ und „Der Lebensretter“.
Rachulle wird als strammer HJ-ler gezeichnet, als knallharter und hirnloser
Führer seiner Pimpfe, für den die schulische Beschäftigung
mit den Wissenschaften müßiger und unwichtiger Weiberschleck
ist
und der seine gesamte
Persönlichkeit über seine Muskulatur definiert. Sämtliche
Auseinandersetzungen werden mit Gewalt und nicht mit dem Geist geführt
– und darauf ist er stolz. Erst ein schmerzender Backenzahn droht
ihn in die Knie zu zwingen. Und hier begegnet uns die ganze saudumme und
eklige Manier der Nazis. Der künftige Übermensch Rachulle begibt
sich – weiß der Teufel wie es kommt – nicht zu einem
SS-Zahnarzt, sondern zu einem gemütlichen und freundlichen, etwas
beleibteren netten Herrn Dr. Sauer, um sich von ihm von seinem Übel
befreien zu lassen. Nettigkeit ist die Sache eines so gestörten Brachialcharakters
wie Rachulle nicht. Er fühlt sich durch sie gestört, ja nachgerade
bedroht. „Bitte, Danke“ – Fremdvokabular für den
HJ-ler! „Los, los!“, so kommandiert das vielleicht sechzehnjährige
Bürschlein einen approbierten Mediziner! Es dreht sich einem der
Magen um! Und so weiß er auf die freundliche Zusprache des Zahnmediziners
keine andere gedankliche Antwort, als „Nachher ermorde ich dich!“
Es ist diese dumpfe Breker’sche Heldengestalt, die einen anderen
Menschen nur anzublaffen versteht. Statt eines Dankes nach getaner Arbeit
schlägt das Vieh Rachulle die Hacken zusammen – bloß
weg von dem schleimigen Untermenschen, dem fetten Studiker, der ihn gerade
eben nicht nur von einem großen Leiden befreit sondern ungewollt
auch seine eigene Verletzlichkeit vor Augen geführt hatte. Mit derselben
Lern- und Lebenseinstellung, die von Frau Lühmann so hochgejubelt
wurde, hätte ein Zahnarzt vom Typus Rachulle den kariösen Backenzahn
höchstens mit einer 9mm Parabellum aus der Zahnleiste schießen
können.
Quintessenz der Story:
Als der Schmerz kaum noch auszuhalten war, hatte sich Rachulle an seiner
HJ-Führerschnur festgehalten. Die Uniform also hatte ihn davor bewahrt,
einzuknicken. Also faßte er den folgerichtigen Entschluß,
Soldat zu werden. Sollte Frau Lühmann nach Gottes unerfindlichem
Ratschluß den von ihresgleichen losgetretenen Weltkrieg überlebt
haben, so gestatten wir uns, ihr einen leicht geänderten Schlußsatz
vorzuschlagen: Statt „Rachulle ist Soldat geworden, und was für
ein Soldat!“, regen wir an: „Rachulle ist eine von Himmlers
sadistischen SS-Mordmaschinen im Protektorat und in der Ukraine geworden,
der im Range eines Scharführers wehrlose Männer, Frauen, Kinder
und Greise jüdischer Abstammung hinschlachtete, bis er in Nürnberg
am Galgen der Alliierten hing.“
Frau Pöhlmann legt noch einen drauf: Sie führt uns nach Schweinfurt
zur endenden Winterszeit. Der Main, der viele Wochen unter einer dicken
Eisdecke lag, beginnt sich seines Panzers zu entledigen. Ein zum Penner
verkommener ehemaliger Artist balanciert angetrunken auf dem Geländer
einer Mainbrücke, taumelt, stürzt in die eisigen Fluten. Eigentlich
nicht schade drum, meint Frau Pöhlmann – denn der Penner gehöre
zum Bodensatz des deutschen Volkskörpers. Nun trifft es sich, daß
wiederum ein arischer Übermensch, der arme Fischer Friedrich Hirt,
seines Weges daherkommt, in Gedanken schon bei seiner nationalsozialistischen
Idylle: trautes, kleines Heim –Karinhall war nur für Bonzen
wie Göring da – saubere Hausfrau, strammes Söhnchen. Da
er aber ein Held ist, überlegt er nicht lange, sondern springt in
den tosenden Strom, um unter Aufopferung seines wertvollen Lebens das
wertlose des Penners zu retten, was ihm auch gelingt.
Hohelied der Gewalt
Sie sehen mich so zweifelnd an! Na gut, ich zitiere wörtlich: „Leben
gegen Leben! Wertvolles gegen wertloses! –“
Zum Schluß haut er dem Trunkenbold noch eine runter und stapft ohne
ein weiteres Wort zu verlieren, heldisch davon. Wahrscheinlich lag auf
dem einzigen Tisch der Fischerhütte schon der Einberufungsbefehl
an die Ostfront. Das war auch ganz gut so – da brauchte er wenigstens
nicht mitanzusehen, wie seine Frau und sein strammes Söhnchen bei
den gnadenlosen Bombardements Schweinfurts elend verrecken mußten.
In einer weiteren Geschichte begleiten wir unter anderem Pimpfe auf eine
ihrer Erlebnisfahrten. Sie übernachten in einem Schloß, in
dem es spuken soll. Verursacher des Spukes ist - ein betrügerischer
Jude, der einst einen treuen, deutsch-arischen Grafen schnöde übers
Ohr gehauen hat. Alle deutschen Grafen sind treu und rechtschaffen, alle
Juden fiese Betrüger.
Irgendwann einmal passiert der Kaufmannszug des Juden wieder einmal die
gräfliche Burg, in der die Pimpfe einige hundert Jahre später
nächtigen sollten, der rechtschaffene Graf mutiert zum Raubritter,
bestiehlt den Juden – was nur gerecht ist, nicht wahr, – und
spricht mit donnernder Stimme: „Du hast mich betrogen, aber an deinem
Leben liegt mir nichts. Ich werde dich härter strafen, denn ich weiß,
daß es für euch Juden keine härtere Strafe gibt als die,
euch euer Geld wegzunehmen.“ Sprach’s, tat’s und verschwand.
Der Jud konnte ohne seinen Zaster nicht, machte der Kohle hinterher aufs
Schloß und stürzte dabei von der Burgmauer in die Tiefe. Zumindest
der Abtransport vom Gleis 17 des Bahnhofs Berlin-Grunewald in die Vernichtungslager
von Auschwitz, Treblinka, Sobibor und Majdanek blieb ihm erspart. Dafür
aber mußte sein unruhiger Geist fortan in dem alten Gemäuer
spukend umgehen, um wimmernd nach seinem Gelde zu suchen. Kurioserweise
beschrieb die Autorin das Motiv des soeben Beraubten mit: „Er wollte
stehlen.“
Aber diese kleine Ungereimtheit wird ihr sicher nicht aufgefallen sein.
Nachdem der Kastellan des Schlosses die Pimpfe mit der Gespenstergeschichte
versorgt hatte, drangen aus einem der Schloßtürme wirklich
schlurfende und scharrende Geräusche an die Ohren der Jungen. Ein
neu in das Fähnlein gekommener Jungmann will sich profilieren und
stürzt unerschrocken los, um dem Spuk auf den Grund zu gehen. Der
Fähnleinführer will den Neuen nicht ganz allein lassen und eilt
ihm nach. Aber nicht ohne einem der Pimpfe das – nota bene! –
Kommando zu übergeben. Denn ohne lückenlose Kommandostruktur
können deutsche Jungens nun mal nicht schlafen gehen. Die beiden
kühnen Erkunder finden ein paar Kastanien, die der stürmische
Wind über den Fußboden des Turmes rollt und lachen. Das hören
die Zurückgebliebenen, ohne den Hintergrund des Gelächters zu
kennen. Lakonischer Kommentar: „Jetzt lacht dieser dreckige Jude
auch noch... wahrscheinlich hat er seine Dukaten gefunden!“
Verstehen Sie jetzt, warum ich dieses Schundwerk an die Seite des „Stürmers“
stellte?
Sie werden vielleicht sagen: „Soll doch diese Schwarte in dem muffigen
und stinkenden Kellerloch der deutschen Geschichte bleiben und vergammeln!
Da bestenfalls noch ein Dutzend Bücher dieses Titels im deutschen
Reiche existieren, geht wohl kaum eine nennenswerte Gefahr für die
heutige Generation aus. Sollte der Fjøllfross da nicht vielmehr
„Mein Kampf“ oder Rosenbergs berüchtigten „Mythos
des Zwanzigsten Jahrhunderts“ zerreißen?“
Letzteres haben andere schon oft und weitaus besser getan, als ich das
je könnte.
Zu „Wo brennt’s denn?“ aber habe ich ein besonderes
Verhältnis. Ein persönliches, quasi!
Als Kind fiel es in meine Hände und ich las es mit den Augen und
dem Verstand eines der Jungen, für die es ursprünglich geschrieben
wurde. Ich weiß aus erster Hand, wie es wirkt. Ich hatte das Gift
auf der Zunge – und es hat Jahre gebraucht, bis ich wieder davon
frei kam – wertvolle Jahre gegen ein wertloses Buch.
Verstehen Sie! Für die meisten Kinder, die die Schule und ihre Pflichten
zum Lernen damals wie heute als lästige Bürde empfanden, ist
es eine Genugtuung, wenn eine Frau Lühmann ein Hohelied auf die Entbehrlichkeit
der Bildung singt und wenn sie der rohen Gewalt eine Apologetik verschafft.
Nicht die Streber werden unter dreizehnjährigen Jungen geachtet –
sondern die Starken, die Schläger, die Tonangeber! Das erkannten
die Nazistrolche – und das machten sie sich zunutze. Sie taten das
mit so dämonischem Geschick, daß die Virulenz ihrer verbrecherischen
und menschenverachtenden Ideen über den Tod des Dritten Reiches hinaus
kein Jota an seiner Gefährlichkeit einbüßte.
Hier tritt uns die menschliche Dummheit in Gestalt eines brüllenden
Satans entgegen. Für Pubertierende mit Weltbeherrschungsphantasien
kann es keinen Leim geben, an dem er leichter und fester haften bliebe.
Wer meine Erfahrung zu teilen in der Lage ist, der hat mit dieser besprochenen
Schrift einen Zugang in die Psychologie der Werwölfe. Und daher ist
diese Schrift wichtig. Sie gehört in einen Tresor, sie gehört
in einen Giftschrank – aber sie muß aufbewahrt werden –
um jeden Preis!
Der ganze stumpfe Unverstand, den ein paar schlaue und gewiefte Nazibonzen
über den Rest des deutschen Volkes wie eine Decke zu breiten trachteten,
damit dieses in ihrem Namen zu einem blutrünstigen und brutalen Vollstrecker
an den zu unterjochenden Völkern Europas und der Welt werde, nicht
gewahr des Umstandes, daß es selbst längst zum Opfer dieser
Canaille bestimmt war, hechelt uns in jeder Zeile dieses verderblichsten
Vertreters der Kinderliteratur entgegen, das jemals in Druck ging.
Abschließend sei die Geschichte zitiert, in der ein junger HJ-ler
einem Pimpf, den er seinen Freund Emil nennt, die defätistische Vorliebe
für einen Groschenheft-Detektiv namens Tom Kling auszutreiben sucht.
Es muß wohl für einen Leser durchschnittlicher Intelligenz
nicht extra darauf hingewiesen werden, daß Tom Kling ein angelsächsischer
Name ist. Werden hier die Haßtiraden der Goebbelsschnauze gegen
Churchills Insulaner schon vorweggenommen? Wackeln die Fundamente der
Dresdner Frauenkirche schon ob der zu erwartenden Antwort?
Wie dem auch sei. Emil hat leuchtende Augen, wenn er von den halsbrecherischen
Abenteuern Tom Klings auf Gangsterjagd liest. Dem ideologisch gefestigten,
älteren HJ-ler und Jungnazi paßt das gar nicht. Also nimmt
er den Pimpf bei der Hand und verspricht ihm, dem Meisterdetektiv einen
Besuch abstatten. Baffes Erstaunen in Emils Gesicht!
Sie suchen ein Haus auf, in dem ein „Verlag für Neue Literatur“
firmiert. Ebenfalls ein netter, gemütlicher Herr stellt sich als
der Autor der Tom- Kling- Hefte vor. Erste große Enttäuschung!
Der HJ-ler zieht eine Browning- (! -kerndeutsches Gerät, was?!) Pistole,
hält sie dem völlig überraschten Autor unter die Nase und
fordert Geld. Der zu Tode erschrockene Schriftsteller, der mit der Situation
nichts anzufangen weiß und die vor ihm stehenden, unberechenbaren
Jugendlichen nicht einzuschätzen vermag, beginnt vorsichtig zu verhandeln
– verhält sich also grundsätzlich anders, als sein Groschenromanheld.
Nächste Enttäuschung! Der Pimpf ist geheilt.
Vor den Augen eines Kindes...
Um den guten Schein zu
wahren und der unerträglichen Rüpelei die Spitze zu brechen,
stellt sich der Browning als Feuerzeug in Gestalt einer Pistole heraus.
Die Jungens ziehen ohne Geld ab – es ging ja auch nur um die moralische
Belehrung. Abschließend wird noch die deutsche Abenteuerliteratur
in Form von Winnetou und Old Shatterhand empfohlen. Vor allen Dingen!
Wir wissen wohl alle, wie live Karl May seine Abenteuer erlebt hatte,
wieviel Phantasie und Betrug einer ehemals verkrachten Existenz hinter
diesen Werken steckt.
Nein, hier ist keine Moral zu gewinnen, hier ist Barbarei und Dummheit
am Drücker.
Es bleibt die Forderung, dieses Buch zu faksimilieren und als Anschauungsunterrichtsmittel
in den Schulen zur Verfügung zu stellen. Seht her – so richtet
man die Seele eines Volkes systematisch zu Grunde, um einigen größenwahnsinnigen,
heuchlerischen und verlogenen Bonzen ein angenehmes Leben zu verschaffen.
Bezahlt hat das deutsche Volk. Es hat gebüßt mit Millionen
Toten und Krüppeln an Leib und Seele, mit seinen zerbombten Behausungen
und Kulturschätzen, mit der Verachtung durch die Völker der
Welt.
Eine der Wurzeln liegt in gedruckter Form vor uns – in Gestalt von
„Lustigen Geschichten“.
Sie sind gewiß nicht zum Totlachen – dennoch: gestorben sind
Viele!
Alle Illustrationen stammen
aus dem besprochenen Buch. Der Verfasser
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