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Die Passion der Beatrice
Ein Film von Bertrand Tavernier
Szene aus "Die Passion der Beatrice" mit Julie Delpy und Bernard-Pierre
Donnadieu
Jules-Francois Savinien
Lemarcou
Frankreich in der Zweiten Hälfte
des 14. Jahrhunderts – der Hundertjährige Krieg verheert das
Land, die Ritterschaft versammelt sich um das Lilienbanner, um gegen die
englischen Invasoren anzutreten und doch wieder und wieder von den feindlichen
Expeditionskorps vernichtend geschlagen zu werden. Das Mittelalter neigt
sich seinem Ende zu, die aufkommende Bürgerschaft gewinnt an Einfluß
und beginnt die Herrschaft des Geldes durchzusetzen, während die
Ritter als traditionelle Vertreter des landbesitzenden Wehrstandes ihrer
Bedeutung Stück um Stück verlustig gehen. Die Situation der
französischen Ritter verschlechterte sich dramatisch, als sie sich
auf den Schlachtfeldern von Crecy, Poitiers und Agincourt versagten. Sie
hatten sich definitiv unfähig erwiesen, ihrer eigentlichen Aufgabe,
Land und Leute zu schützen, gerecht zu werden.
Nach einem dieser Gefechte gerät der Ritter Francois de Cortemar
(Bernard-Pierre Donnadieu), in englische Gefangenschaft, aus der er nach
vier Jahren von seiner Tochter Beatrice (Julie Delpy) freigekauft wurde.
Das beträchtliche Lösegeld konnte nur durch die Veräußerung
großer Ländereien und des gesamten Interieurs der heimatlichen
Burg bereitgestellt werden. Es gab kaum Bares auf Rittersitzen. Die Pest
hatte Europa zu dieser Zeit sowieso schon entvölkert, es gab nur
noch wenige Menschen, die die brachliegenden Äcker zu bewirtschaften
in der Lage waren. Es kam nichts rein. Geld? Das hatten nur noch ganz
wenige.
Nichtsdestotrotz ersehnte die inzwischen zu einer selbständigen und
bildschönen jungen Dame herangewachsene Beatrice die Rückkehr
des Vaters und ihres geliebten Bruders Arnaud, der den Vater in die Schlacht
begleitet hatte. Und so trennte sie sich von dem Besitz des Vaters, um
beiden den Weg in die Heimat zu ermöglichen.
Doch als die beiden Männer die heimatliche Burg endlich wieder betreten,
brechen für die junge Frau grauenhafte Zeiten an: Der Vater ist nicht
mehr derselbe. Durch das Erlebte in seinem Wesen verändert, hart
und zynisch, brutal und selbstquälerisch, errichtet er auf der Burg
ein Regiment des Schreckens. Zunächst einmal bekommt Arnaud die Tyrannei
des Vaters grausam zu spüren. Ein weicher Charakter hat er auf dem
Schlachtfeld bitter versagt, sich gar in die Hosen gemacht und ist sodann
ohne Gegenwehr gefangengenommen worden.
Verbittert über
die demütigende Niederlage, in der selbst der König von Frankreich
sein Heil in der Flucht gesucht hat, läßt der rauhbeinige Vater
nun alle Wut und Enttäuschung an Arnaud aus. Doch auch die anderen
Bewohner der Burg, einschließlich des Ritters Mutter, beginnen ihr
unberechenbares Familienoberhaupt zu fürchten. Dieser projiziert
indeß die Verachtung für das eigene Versagen auf seine gesamte
Umgebung und behandelt seine Untertanen wie den letzten Dreck. So fällt
er über seine Mägde ganz nach Belieben her, reißt gar
der eigenen Mutter den Schmuck vom Hals, überreicht ihn seiner Maitresse,
um die Mutter zu demütigen, beginnt sich mit einigen Spießgesellen
als gemeiner Raubritter, Brandschatzer und Plünderer zu betätigen.
Francois de Cortemar
verrät den Codex des Rittertums schon in dem Augenblick, in dem er
über die geraubten Frauen herfällt. Hatte er doch anläßlich
seines Ritterschlages unter anderem die Ehre der Frauen zu schützen
geschworen. Es klingt in unseren Ohren wir brutalster Hohn, wenn er sich
bei einem jungen Mädchen, daß um eine Vergewaltigung gerade
so herumgekommen ist, mit den Worten entschuldigt: „Verzeiht, Daß
wir Euch nicht gehuldigt haben!“ Das dolle aber ist – das
ist kein Hohn! Das ist kein Zynismus! Der Ritter meint das wirklich und
wahrhaftig so, wie er es sagt. Für uns Nachgeborene unbegreiflich.
Vor siebenhundert Jahren aber hätten unsere Ressentiments als verschroben
gegolten.
Doch mehr und mehr wird er seines Selbstbetruges gewahr: Der Signeur de
Cortemar ist kein tumber Idiot, sondern ganz im Gegenteil ein Mann mit
klugem Kopf, vielen Gedanken und einem großen Sehnen, und so stürzt
er in der Absicht, sein als sinnlos und leer empfundenes Dasein zu beenden,
während eines Plünderungszuges in eine der brennenden Katen,
aus der er von einem Kumpan erst im letzten Moment gerettet werden kann.
Nun nimmt der Irrsinn seinen Lauf.
Sein begehrender Blick richtet sich mehr und mehr auf seine Tochter, die
er schließlich in einem inzestuösen Akt von unsäglicher
Brutalität vergewaltigt und ihrer Jungfernschaft beraubt, die zur
damaligen Zeit zum wertvollsten Kapital einer jungen Dame zählte.
Mehr noch, er begehrt sie zu heiraten. Der Wahnsinn ist in ihm ausgebrochen.
Alles steuert auf eine entsetzliche Tragödie zu.
Im Jahre 1987, noch vor Umberto Ecos berühmten „Namen der Rosen“
drehte Bertrand Tavernier den Film „Die Passion der Beatrice“.
Die Erstausstrahlung fand jedoch erst zwei Jahre später statt.
Monsieur Tavernier zeichnet ein Bild dieser Epoche und der Menschen, wie
es in seiner bis ins Mark erschütternden Authentizität nicht
zu überbieten ist. Vor unseren Augen entsteht der wahrhaftige Antipode
zu den elenden Mittelalterschinken Hollywoods. Keine geschwollene Phrasen
daherlabernden Modepüppchen mit aufgestylten Frisuren begegnen uns,
keine porentiefreinen Burgen mit glanzvollen Kemenaten, keine edlen Ritter
in schimmernden Rüstungen - hier wird gezeigt, wie es wirklich aussah.
Die Burg war ein räudiger, saukalter und zugiger Steinklotz mit Kamin
und ein paar lausigen Werkstätten und Gemüsebeeten auf dem Hof,
zwischen denen sich Hühner und Schweine und Hunde herumtrieben. Die
verlogene Wart- und Rothenburg ob der Tauber-Romantik, der die närrischen
amerikanischen Touristen nur zu gerne verfallen, ist ein Hirngespinst.
Betten waren weitestgehend unbekannt, die Fenster waren hohl und nur durch
Holzläden zu verschließen. Die Leute, ausgenommen die Herrschaft,
hatten wenig mehr als Lumpen auf dem Leib, faulige und stinkende Zahnstumpen
staken schon jungen Menschen im Maul, Tod und Krankheit begegnete man
mit einem gewissen Fatalismus.
Unsere Gefühlsduselei war unseren Altvorderen fremd – aber
auch sie empfanden Schmerz und Demütigung, empfanden Sehnsucht nach
Glück.
Diesen Gefühlen spürt Monsieur Tavernier mit großartigem
psychologischem Geschick nach. Hier gibt es keine in weiß gewandeten
Guten, die ein schmachtendes, gerade der Kosmetik entsprungenes Burgfräulein
aus den Klauen der an ihrer schwarzen Haar- und Mantelfarbe deutlich kenntlichen
Bösen befreien. Kein rasselndes, quälend langes Degenduell am
Ende, welches vom Guten mit knapper Not und einigen Blessuren gewonnen
wird, damit wir Zuschauer es ihm auch ja von Herzen gönnen, wenn
er seiner Angebeteten vor dem Abspann noch liebevoll die Zunge in den
Hals steckt.
Der aus englischer Gefangenschaft heimgekehrte Burgherr wird nicht durchweg
als geistlose Gewaltmaschine gezeichnet. Das macht einen Teil der Qualität
des Filmes aus. Ein wenig verleiht Herr Donnadieu dieser durch und durch
tragischen Gestalt den Charakter Nosferatus aus dem bildgewaltigen Epos
von Herrn Herzog.
Das tiefe Gefühl, von Gott und der Liebe verlassen zu sein und seine
Welt im unumkehrbaren Untergang zu erleben, bringt diesen Mann zur Verzweiflung
und treibt ihn zu seinen Untaten. Gutes und Böses teilen sich dieselbe
Seele, deren Leid aus der Gottesferne entspringt. Geprägt von einem
Kindheitstrauma, er erwischte seine junge Mutter mit einem Galan im Ehebett
seines Vaters, kaum daß dieser in den Krieg gezogen war, entwickelte
der vaterlos aufwachsende Francois einen unbändigen Haß auf
seine Mutter. Diese erwiderte die Abscheu ihres Sohnes lebhaft, nachdem
sie halbnackt mitansehen mußte, wie ihr Liebhaber von ihrem gerade
mal zehnjährigen Sproß hingedolcht wurde.
Dennoch, immer wieder scheint Francois de Cortemar einem Idealbild zu
folgen, das mit der selben Stete vor seinen Augen zertrümmert wird.
Die tugendhafte Mutter verwandelt sich in seiner Gegenwart in eine billige
Hure, die hehren Prinzipien der Ritterschaft werden in seinem Beisein
über den Haufen geworfen, es gibt auf dem Schlachtfeld keinen ehrlichen
Kampf mehr Mann gegen Mann. Statt dessen erfolgt ein Hinschlachten der
ungeordnet anreitenden Ritterschaft durch Heckenschützen, Lumpen
und Strauchdiebe, wie er die walisischen Langbogenschützen bezeichnet.
Die alte, von ritterlichem
Ehrgefühl bestimmte Massenrauferei weicht einer kühlen, nach
strategischen Erwägungen ausgerichteten Taktik. In der Heimat verfügen
die verachteten Bürger, die Krämerseelen und die Juden plötzlich
über Macht, Ansehen und Reichtum, während er, der Adlige, zu
einem marginalen Dasein verdammt wird, das ihm kaum mehr beläßt,
als was er auf dem Leibe trägt. Er hat viel gewagt und viel verloren.
Es gibt keine Versicherung, die für die Entschädigung eines
eingebüßten Sieges aufkäme. Er, der Ritter Francois de
Cortemar steht auf der Verliererseite und muß sich nun seinerseits
mit Lumpengesindel und Bandenkroppzeug umgeben, um seinen Lebensunterhalt
mit ehr- und ruhmlosem Raubrittertum sicherzustellen.
Nach dem zusammengeschrumpften Besitz schwindet nun auch sein Selbstwertgefühl
wie Schnee in der Sonne.
Viele seiner unvorstellbaren Grausamkeiten in Wort und Tat müssen
wir Heutigen jedoch relativieren, indem wir sie in den Kontext der Zeit
zu stellen haben. Frauen wurden als minderwertig betrachtet, ein weibliches
Neugeborenes, das seine Mutter soeben im Schnee getötet hatte, blieb
unbestattet liegen – schließlich haben Mädchen keine
Seele! Die Kindsmörderin wurde kurzerhand als Fickmaschine einkassiert
– Menschenwürde, Unantastbarkeit und Unverletzlichkeit der
Person, das sind Begriffe, mit denen selbst fortschrittliche Geister zu
dieser Zeit wenig hätten anfangen können.
Dennoch schimmert immer wieder aus dem seinerseits gequälten Ritter
Francois de Cortemar, der den Untergang seiner Epoche nicht verkraftet,
die Sehnsucht nach dem Segen Gottes, dessen Existenz er doch ablehnt.
Immer wieder sucht er die reine Liebe und pervertiert diese Suche gleichzeitig
mit jedem Wort, mit jeder einzelnen Bewegung.
Die Gegenspielerin zu diesem menschlichen Ungeheuer ist seine Tochter
Beatrice. Wenn es das Filmdebüt der damals 18jährigen Julie
Delpy war, so erleben wir einen überwältigenden Einstieg eines
großen Talentes in diese Branche.
Der Landbote ist bekannt dafür, daß er Schauspielern zunächst
einmal mit einem gehörigen Mißtrauen begegnet, ob sie denn
nicht nur Tagediebe, Gaukler und Komödianten seien. Manche aber zeigen
sich von der ersten Sekunde ihres Auftretens über diesen Verdacht
weit erhaben. Frau Delpy gehört zweifelsohne zu dieser erlesenen
Runde. Die schauspielerische Leistung dieser jungen Dame, die noch dazu
eine der schönsten Blumen Frankreichs ist, nötigt uns großen
Respekt ab, sie ist schlichtweg grandios. Und es nimmt über die Maßen
wunder, daß ein Film, der von seinen exzellent besetzten Hauptdarstellern
so wunderbar in Szene gesetzt wurde, nur einen einzigen Preis erhielt
– den nämlich für die beste Kostümierung.
Wir begleiten nun also das Burgfräulein auf ihrem Leidensweg, den
sie unverschuldet beschreiten muß. Es erfordert Nerven, das kann
ich Ihnen sagen! Man kann sich hundertmal einreden, daß das ja alles
nur Fiktion sei, ein ganzes Kamera- und Regieteam um den Set versammelt
ist, und all die fürchterliche Gewalt nicht wirklich stattfindet.
Nein, es schaudert einen bis in die Knochen. Das Mädchen kämpft
um ihren Vater, bis dieser über sie herfällt und jede Hoffnung
im Keim erstickt.
Obwohl durchaus
abgehärtet von den rauhen Sitten ihrer Zeit, droht sie an dem Erlebten
zu zerbrechen. Sie leidet nicht nur um sich allein, sondern auch um den
geliebten Bruder, den der völlig entmenschte Vater eines schlimmen
Tages in Frauenkleider steckt, ihn aus der Burg treibt, um kurze Zeit
später Jagd auf ihn zu machen. Sie lesen richtig! Arnaud ist das
Wild und die feudale Jagdgesellschaft hetzt ihn, einen Menschen, durch
die Höhenzüge des Languedoc. Sie bringen in regelrecht zur Strecke.
Die Haare stehen einem zu Berge. Der Mann, der sich um seine Lebensfreude
geprellt sieht, zerstört systematisch die Lebenslust der Menschen
seines Umfelds.
Beatrice jedoch will sich nicht geschlagen geben, sie resigniert nicht,
sie kämpft – nicht mit Pathos oder heroischer Mine, sie ist
keine Marianne, sie wehrt sich dennoch mit ganzem Herzen und großem
Mut verbissen gegen das Monster, welches einst ihr geliebter Vater war.
Rund um diese Tragödie, der so viel, leider nur schwach überzeichnete
Normalität innewohnt, inmitten dieses Dramas, welches die wahre Natur
des Menschen unbarmherzig mit scharf geführten, nahezu chirurgischen
Schnitten bloßlegt, wird das Auge der Kamera mit ruhiger Hand durch
die mediterrane Landschaft der Aude geführt, über die Kalkfelsen,
durch die jämmerliche Kuhbläke am Fuße der Burg, deren
winzige Hütten sich um das Kirchlein scharen, wie eine verängstigte
Herde von Lämmern um den Schäfer.
Während ich dies schreibe, sehe ich mich um. Ich sitze in einem Zimmer,
das nicht sonderlich groß ist, aber dennoch gut und gerne zwei dieser
Hütten beherbergen könnte. Ich sitze allein hier, während
eine ganze Großfamilie in solchen Unterkünften hauste. Nun
ja, tagsüber waren sie bei der Arbeit von Kindesbeinen an und kamen
erst nach Sonnenuntergang wieder heim. Sie besaßen nichts, was Platz
erfordert hätte, vier Wände und ein Dach gegen die Unbilden
der Witterung. Das war alles. Der Dorfanger - ein einziger Schlamm. Denken
sie mal daran, wenn Sie nächstens wieder einmal durch ein märkisches
Dorf fahren.
Geputzte Häuser,
gepflegte Vorgärten, gepflasterte und beleuchtete Straßen,
ein Fahrradweg, ein Kätzchen sitzt in der Sonne und leckt zufrieden
sein Pfötchen… Hier sah es genauso aus. Rufen Sie das Bild
in Ihr Gedächtnis, wenn Sie eine imposante gotische Kathedrale bestaunen,
und man ihnen erzählt, daß Frankreich zu dieser Zeit führend
in Europa war. Und denken Sie daran, wenn bei einem Spaziergang durch
die Wälder des Fläming vor Ihnen unvermittelt eine steinerne
Wand aus groben Feldklamotten auftauchen sollte, die sich als Westgiebel
einer Kirchenruine entpuppt, letztes Zeugnis eines untergegangenen Dorfes
dieser Zeit, das in etwa so ausgesehen haben mag, wie es uns von Monsieur
Tavernier vorgeführt wurde. Und versuchen Sie sich dabei zu vergegenwärtigen,
daß so Ihre Urahnen lebten, Ihre Leute, von denen Sie abstammen,
denen Sie ihr Leben verdanken!
Es wäre vielleicht inflationär zu sagen, Monsieur Taverniers
Film mache betroffen. Es ist auch nicht so, daß die unvermeidliche
Hexenverbrennung, die unausrottbar zu unserem Verständnis vom Mittelalter
gehört und als unvermeidliches Attribut in keinem Film über
diese Epoche fehlen darf, den besonderen Schauder ausmacht, der einen
beim Ansehen dieses Meisterwerkes beschleicht. Diese Hinrichtung, die
ihrer Art nach eher eine bäuerliche Lynchjustiz gewesen zu sein scheint,
wiewohl die Anwesenheit eines Priester das Gegenteil bezeugen soll, findet
auf dem Dorfanger statt, direkt neben einer Klause, in die sich eine tieffromme
Eremitin zurückgezogen hatte, um der Welt zu entsagen.
Wir mutmaßen, daß es Monsieur Tavernier mit der Darstellung
dieser Szene hauptsächlich darum ging, deutlich zu machen, wie nah
beieinander im Mittelalter tiefste, ja kindlich bis kindische Frömmigkeit
und hemmungslose Grausamkeit zu finden waren. Kein My lag oftmals zwischen
diesen beiden Polen menschlicher Empfindungen.
Dieser Film ist wichtig. Er ist sehr, sehr wichtig.
Warum? Weil ohne eine präzise und ungetrübte Kenntnis der Vergangenheit
keine reale Einschätzung der Gegenwart und keine stimmige Prognose
für die Zukunft möglich ist.
Zum Teufel mit diesem neurotischen Müll aus Hollywood, mit dem sich
die Amerikaner ihre seelischen Deformationen vom Hals filmen wollen!
Es wäre angezeigter, Filme wie „Die Passion der Beatrice“
zu protegieren und der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen,
statt endlos den saudämlichen Krieg der Sterne, Raumschiff Enterprise,
American Werwolf und ähnlichen Schund herunterzuleiern.
Die „Passion der Beatrice“ mag uns als irrealer Albtraum erscheinen.
Bei Gott, nein! Das ist ein Ausschnitt unserer Geschichte. Und trotz des
Schreckens, der in das Drehbuch hineingeschrieben wurde, wagen wir zu
behaupten: Das war noch verhältnismäßig harmlos.
Lassen Sie mal jemanden die Greuel des Dreißigjährigen Krieges
realitätsnah verfilmen, lassen Sie mal irgendeinen mutigen Regisseur
den „abenteuerlichen Simplicissimus Teutsch“ des Herrn Christoffel
von Grimmelshausen auf die Leinwand bringen und ich verspreche ihnen,
die Perversen, die sich noch eben am „Texas Chainsaw Massacre“
delektierten, werden sich nach wenigen Minuten um den Kotzkübel balgen
und im Dunkeln anfangen mit den Zähnen zu klappern.
Der Film ist so enorm wichtig, weil er dem genauen Betrachter zeigt, daß
das wir sind, die da agieren. Wir! Verstehen Sie? Sechsunddreißig
Generationen reichen nicht aus, um des Menschen Wesen zu ändern.
Sie glauben mir nicht? Sie denken, unsere Hochzivilisation, in der man
die Würde des Menschen in die Verfassung eingeschrieben hat, in der
man den Zugang von Frauen zu Machtpositionen zu quotieren beginnt, wäre
immun gegen solche archaische Gewalt? Haben Sie den Zweiten Weltkrieg
vergessen? Zu lange her? Wie weit liegt denn der Balkankrieg um das Erbe
Jugoslawiens zurück? Oder, sagt Ihnen der Name Lyndie England noch
etwas?
Der Leidensweg der Beatrice de Cortemar gründet sich auf die Gewalt,
die von kaputten und zerrissenen menschlichen Existenzen ausgeht. Keineswegs
nur stumpfe Gewalt, sondern Gewalt, hervorgebracht von Menschen, die den
Kampf gegen sich verloren haben, den Kampf gegen das, was sie als gut
und erstrebenswert einst in ihrem Herzen bargen.
Dieser Umstand ist es, der uns solche Filme zum Anlaß nehmen sollte,
über uns nachzudenken, wie nah gut und böse in uns beieinander
liegen, wie stark, wie gefestigt wir wirklich sind und, am Ende –
wie verletzlich.
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