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The Village
ein Film von Herrn M. Night Shyamalan
B. St. Fjøllfross
Der ausgezeichnete Regisseur Shyamalan
machte im letzten Jahre wieder von sich reden: The Village – Das
Dorf – so nannte er seinen Streifen, der vordergründig wohl
dem Gruselgenre zuzurechnen sein sollte.
Doch es wurde weitaus mehr daraus. So viel mehr, daß ich kraft meiner
Wassersuppe als Schriftleiter meinem verehrten Herrn Kollegen Bajun die
Feder aus der Hand nahm, um mich selbst des Themas anzunehmen.
Es wurde ein hervorragender Film. Eigentlich ein leiser, stiller, einer,
der die Gewalt zwischen den Menschen verachtet, und der dennoch nicht
umhinkommt, einzugestehen, daß dort, wo Menschen beieinander sind,
Gewalt zwangsläufig mit am Tisch sitzt.
Worum geht es? Wir befinden uns im Pennsylvanien des Jahres 1897. So jedenfalls
will es uns scheinen. Ein kleines Dorf, eine kleine Dorfgemeinschaft,
etwas fünf Dutzend Menschen haben sich inmitten eines großen
Waldes zu einem Leben zusammengefunden, welches in seiner Friedfertigkeit
an die Amish oder die Hutterer erinnert. Es sähe nach einer ungetrübten
Idylle aus, wenn, ja wenn nicht dieser Wald wäre, der das Dorf völlig
einschließt. Ihn auch nur zu betreten fürchten die Dorfbewohner
wie den Tod. Denn er wird von eigenartigen, monströsen Kreaturen
bewohnt, die keinen Aufenthalt in ihrem Territorium dulden. Die bevorzugte
Farbe dieser Ungeheuer ist rot. Rot zieht sie an. Gelb stößt
sie ab. Und so sichern sich die Dörfler gegen den Waldrain mit einem
eigenartigen Befestigungssystem ab, welches von Wachtürmen, gelben
Fahnen und nächtlichen Feuern markiert wird. Respektiert man diesen
Limes, so darf man darauf bauen, daß auch die Ungeheuer auf ihrer
Seite der Umrandung bleiben. Das ist auch durchaus erstrebenswert, denn
Zusammenstöße zwischen den Kreaturen und den Dörflern
brächten den Letzteren Tod und Verderben.
Zwangsläufig bildet die dörfliche Gemeinschaft von Covington
eine von der Welt abgeschiedene Enklave, die ganz auf sich selbst bezogen
und in einer Art seligen Autarkie miteinander verbunden ist. Keine störenden
Einflüsse von außen verwirren das Leben, das Paradies scheint
wiedergefunden.
Doch dann bricht das Unglück über die Leute hinein: Ein junges,
hübsches, liebes - aber sich seiner selbst durchaus bewußtes,
blindes Mädchen namens Ivy (Bryce Dallas Howard) und der zurückhaltende
Lucius (Joaquin Phoenix) entdecken ihre Gefühle füreinander
und beschließen zu heiraten. Der Einzige, den das empfindlich stört,
ist der Dorftrottel (exzellent gespielt von Adrien Brody). Eine kindliche
Zuneigung zu der schönen Ivy läßt ihn ihm eine unbezähmbare
Eifersucht aufkeimen, die in einer Messerattacke auf den darauf völlig
unvorbereiteten Lucius eskaliert. Der Sündenfall, wenngleich begangen
von einem geistig Retardierten, ist über das Dorf hereingebrochen.
Lucius überlebt schwerverletzt. Die Stiche im Bauch aber drohen eine
Entzündung zu verursachen, an der der Bursche doch noch sterben könnte.
Gebete helfen hier nicht mehr weiter.
Und jetzt beginnt sich der Schleier über Covington zu lüften.
Der Vater der blinden Ivy, der dem Ältestenrat angehört, gesteht
der Tochter, daß die Ältesten vor Jahren ein großes,
unbewohntes Gebiet in Pennsylvanien angekauft hatten, um sich dorthin
vor der ausufernden Gewalt in der modernen amerikanischen Gesellschaft
zurückzuziehen. Hier planten sie, die alle durch diesen alltäglichen
Terror mindestens einen ihrer Lieben grausam verloren hatten, für
sich und ihre Nachkommen ein Leben aufzubauen, das abgeschirmt von den
schädlichen Einflüssen des Geldes, der Gier, des Neides und
der Brutalität verlaufen sollte. Ein Experiment von philosophischen
Dimensionen, wie wir später noch sehen werden.
Die Monster wurden von den Ältesten erdacht, um die Nachwachsenden
davon abzuhalten, das Dorf zu verlassen. Sie, die am eigenen Leibe das
Trauma des Verlustes eines geliebten Menschen erfahren hatten, wußten
zu gut, daß sich die elementare Wucht eines solchen Erlebnisses
nicht auf Dauer würde vermitteln lassen. Die Neugier der nächsten
Generation schon läßt die Angst vor den Erzählungen der
Alten verblassen. Keine Macht der Welt also könnte verhindern, daß
die Jugend in exakt dem Verderben entgegen strebe, vor dem ihre Eltern
sie einst zu bewahren suchten.
Daher die aufwendige Inszenierung eines Dorfes Ausgangs des 19. Jahrhunderts,
dem noch keine Massenmedien zu Gebote standen, der Deal mit der Regierung,
selbst den Überflug über das als Wildreservat getarnte Gebiet
zu untersagen, das ganze Brimborium um den puffernden Wald, der sicherheitshalber
mit Monstern bevölkert wurde, um die vorwitzige Jugend am Durchqueren
zu hindern. (Nicht ganz schlüssig an dieser Stelle erschien mir,
woher die Dörfler das Brennholz als einzig verfügbarem Energieträger
nahmen, wenn doch der Wald Tabu war, und wie sie den Kindern das Vorhandensein
bzw. die Herkunft der metallischen Gerätschaften erklärten.
Eine Sechzig-Seelen-Gemeinde kann kein autarkes Leben führen –
es sei denn auf steinzeitlichem Niveau, aber auch und gerade dann wäre
ein weitaus größeres Territorium und vor allem der Wald als
Nahrungs- und Energielieferant unerläßlich. Doch diese kleinlichen
Spitzfindigkeiten würden von der Kernaussage des Films unnötig
ablenken.)
In einem Klima absoluter Gewaltlosigkeit also sollten die Nachkommen der
Aussteiger aufwachsen. Selbst harmlose Rangeleien wurden als Vorstufe
zur Aggression sofort und unnachsichtig sanktioniert.
An dieser Stelle läßt der Regisseur einen Blitz in das Konzept
der Friedlichen fahren, der wahrscheinlich von den wenigsten Zuschauern
wahrgenommen wurde. Die als wahrhaftiger Engel gezeichnete Ivy wirft im
Angesicht ihres verblutenden Bräutigams alle pazifistischen Prinzipien
über den Haufen und begibt sich zu dem Dorftrottel, der von der Gemeinschaft
bereits im sogenannten „Stillen Zimmer“ arretiert wurde, um
auf ihn einzuschlagen, was das Zeug hält. Die Betonung bei der Schilderung
dieser Szene liegt deutlich auf dem Weg, den die von innerem Schmerz um
ihren schwer verwundeten Liebsten gepeinigte Ivy zurücklegt. Nicht
einmal Affekt könnte also hier geltend gemacht werden. Ivy hat den
festen Vorsatz, den Trottel zu hauen, ihn für seine Tat mit der Ausübung
von Gewalt zu strafen. Sie, die Kluge, die Führernatur, dazu ausersehen,
die Geschicke der Dörfler dermaleinst maßgeblich zu beeinflussen,
sie begeht den zweiten, den nachgerade entscheidenden Sündenfall.
Es wird ihr im Film nicht angelastet – zu gut kann sich jeder Zuschauer
mit dem Mädchen und seinen Gefühlen identifizieren. Dennoch
– an diesem Punkt, als sie dem Deppen das erste Mal eine runter
haut, ist das elterliche Experiment definitiv gescheitert. Das Böse
in Gestalt der vergeltenden Gewalt hat einen Durchschlupf durch die ansonsten
dichte Reservatsmauer erhalten und ist mit fliegenden Fahnen über
dieses beschauliche Fleckchen Erde hereingebrochen.
Niemand wird deswegen ein anderer Mensch, die Dorfbewohner fallen nicht
sengend und mordend übereinander her, das Leben geht weiter –
aber die Unschuld hat beinahe unbemerkt ihren Platz räumen müssen
– vertrieben ausgerechnet von einem ansonsten gutmütigen Narren
und einem leibhaftigen Engel.
Herr Shyamalan konfrontiert uns unnachsichtig mit der Ambivalenz der menschlichen
Natur, der Macht der Gefühle, der interagierenden Dynamik, die zwischenmenschlichen
Beziehungen innewohnt, wo auch nur zwei Menschen aufeinandertreffen. Solche
ubiquitären Verhaltensmuster halten sich nicht an Grenzen und nicht
an utopische Konzepte.
Just diese filmische Konstruktion macht einen überragenden Teil der
Qualität der Erzählung aus, mit der Herr Shyamalan das Kinojahr
2004 bereicherte.
Das Weitere ist eine fein gezeichnete, durch kluges Weglassen überladener
Szenen große Romanze, die jeden Vorwurf der Verkitschtheit an sich
abperlen läßt. Das blinde Mädchen begibt sich in den drohend
aufragenden Zauberwald mit dem Ziel, ihn zu durchqueren, um in der nächsten
Stadt Antibiotika für den schwerverwundeten Lucius zu holen. Ihre
Liebe ist größer als ihre Angst, die den Zuschauer durchaus
bewegt, mitreißt, erschüttert. Es ist eine gekonnte Neuauflage
Grimm’scher Märchen mit umgekehrten Vorzeichen: Das arme Mädchen
beweist mit unerhörtem Heldenmut, wozu Liebe fähig ist, metamorphiert
vor unseren Augen zur Prinzessin, die mit ihrer Unerschrockenheit und
ihrem eisernen Willen, die eigene Angst zu besiegen, für ihre Prinzen
das Leben erwirbt. Urängste vor der Dunkelheit und Gefahr des Waldes
werden in uns wach, wenn wir die unsicheren Stolperschritte des Mädchens
durch das widrige Gehölz begleiten. Verachtung empfinden wir für
die beiden Burschen, die zu ihrer Begleitung auserkoren wurden und dann
eigener Angst erliegend, das blinde Mädchen verlassen, um sich selbst
in Sicherheit zu bringen. Wir kämpfen mit den Tränen, wenn sie
völlig mittellos eine Taschenuhr hergibt, um sich für die Antibiotika
erkenntlich zu zeigen. Eine Taschenuhr, die ihr der Vater mitgegeben hatte,
und die in all den Jahren keine Verwendung fand im Tagesablauf des Dorfes.
Doch das alles ist nur Beiwerk, so sehr uns die dynamische Dramatik des
Geschehens anrührt. Die zentrale Frage, die Herr Shyamalan aufwarf,
als er die allmächtige, die unvermeidliche Aggressivität des
Nackten Raubaffen „Mensch“ zur Disposition stellte, mußte
im Endeffekt verneint werden. Das an sich ist das tragischste Moment des
ganzen Streifens. Hier begegnen wir dem größten Horror –
denn diese Erkenntnis berührt ganz direkt unsere Perspektive als
Gattung.
Doch ganz ohne Trost will uns der amerikanische Meisterregisseur indischer
Anstammung nicht zurücklassen. Er stellt uns in diesem Paar Ivy/
Lucius, die quasi als Analogon zu den Ureltern Adam und Eva fungieren,
die Urkraft anheim, die der Menschheit vor Gottes Augen alleinig die Existenz
rechtfertigt: die bedingungslose Liebe!
Diese Liebe, die in sich die Kraft birgt, alles, selbst die eigenen Existenzängste
zu überwinden, die mit ihrer Hinwendung zum Nächsten die Antithese
der Selbstsucht, der Gier und der diesen fatalen Eigenschaft entstammenden
Brutalität postuliert, diese Liebe wird uns als ein Wegweiser ins
Herz gepflanzt.
Jeder, der von einem guten Film mehr erwartet, als daß er ihn berieselt,
wird diesem hervorragenden Werk amerikanischen Filmschaffens ein tiefes
Wohlempfinden zu danken haben. Der Streifen ist es wert, gesehen zu werden.
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