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Joachim Fernau
– ein ungewöhnlicher Geschichtslehrer

K. K. Bajun
Viel hat er geschrieben, der Herr Fernau, und vieles wurde sicherlich sehr kontrovers diskutiert. Doch zwei Fakten bleiben bestehen: Die Bücher Herrn Fernaus waren Bestseller allzumal und Herr Fernau brachte die von vielen als dröge empfundene Geschichte unters Volk – und das mit einem gummigepolstertem Vorschlaghammer.
Ich glaube, es ist dieser Punkt, der für viel Reibung sorgte: Liebgewonnene Geschichtsbilder, wie sie von schmeichelnden Chronisten, gerissenen Demagogen oder dem ausschmückenden Volksmund erdichtet wurden, brachen unter den ernüchternden Schlägen des Journalisten Fernau gleich im Dutzend in sich zusammen. Helden- und Heroentum kamen unter ihren Theatermasken als erbärmliche und spacke Gesellen hervorgekrochen – nicht allenthalben gravitätische Momente, sondern Alltagsbegebenheiten und Zufälle puzzelten den Weg zusammen, den die Historie nahm.
Wie war es denn bisher? Klein sollten wir uns fühlen, des barocken Bildes eines Feldherren ansichtig, wie er da mit vor Stolz und Erhabenheit schier zu platzen drohendem Brustkorb zwei Drittel des umrahmten Gemäldes beansprucht, herrisch den Feldherrenstab vorgereckt und auf den armseligen Gegner weisend, der schon im Zuge einer solchen edlen Geste verloren hat. Unten, im Tale wimmeln Heerhaufen von Ameisen, Freund wie Feind, gehorchend dem Winke des Überragenden. Die anderen wehren sich noch anstandshalber ein wenig. Doch die Stunde ihrer Schmach hat bereits geschlagen…
Die Texte in den offiziellen Geschichtsbüchern ergänzten das Gemälde vortrefflich. Hier sollte ein Mythos geschaffen werden, der die Einzigartigkeit der Nachgeborenen betont: Auf solchen Schultern steht ihr Kerls, nun zeigt, daß ihr so freudig als eure Heldenväter in den heiligen Krieg ums Vaterland zieht, als würdige Söhne und Töchter. Des Vaterlandes – ha, ha! Das Vaterland waren seit jeher die wenigen Mächtigen dieses Landes. Um deren Interessen ging es und um nichts anderes.
Und deswegen saust sie an dieser Stelle nieder, die Fernau’sche Dampframme – das Heldenepos zersplittert in Atome. Dem Feldherren rutscht die Schminke aus dem Gesicht – man sieht die Angstschweißperlen glitzern, was ist das da für ein großer, gelber Fleck im Schritt?
Der Gegner hatte sich verlaufen, hatte nur ein Hundertstel der von den feindlichen Chronisten angegebenen Mannschaftsstärke und überhaupt keine Lust, an diesem Tage zu kämpfen – das also war der große Sieg des Gewaltigen wirklich – Herr Fernau zeigt es auf.
Und alles, wirklich alles ist Politik. Politik, wie sie sich genauso auch in den Familien Meier, Schulze und Lehman, Smith, Manot, Fagonelli, Holmhansen und Leszynski abspielt. Dieselben Mechanismen, Triebfedern, Querelen, Ansprüche und Zurückweisungen, Kampf, Versöhnung, Koalition und Verrat – manchmal sind eben nur fünf Leute beteiligt und manchmal fünftausend, fünfzigtausend, fünf Millionen.
Zugegeben – über weite Strecken ist das Bild, das Herr Fernau entwirft, sehr oberflächlich gehalten – aber natürlich setzt er die Kenntnis von gewissen Eckdaten und Ereignissen unter einem mittelmäßig gebildeten Leser voraus und beschränkt sich auf Korrekturen in seinem Sinne.
Gleichwohl – diese Strategie könnte sich heute als Rohrkrepierer erweisen – denn die Kenntnisse schwinden bei der nachwachsenden Jugend dahin, wie der Schnee unter der Frühlingssonne.
Es ist Herrn Fernaus ehrenwertes Prinzip, Geschichte auch mal aus der Froschperspektive zu erzählen, die Geschichte der Masse mitzuerzählen und damit einen Mittelweg aufzuzeigen zwischen bürgerlich-schwülstiger Historik und kommunistisch-dogmatischer Träumerei. Während die von Herrn Fernau demontierte bourgeoise Geschichtsauffassung von der Auffassung dominiert wird, daß große Persönlichkeiten den Lauf der Dinge bestimmen, versuchten die proletarischen Gelehrten dem Volke einzureden, daß ausschließlich Volksmassen Geschichte machten. Beides ist Humbug, denn beides interagiert untrennbar miteinander und kann nicht sinnvoll separiert werden. Und so sieht dann ein schon etwas schlüssigeres Bild aus:
An die Spitze einer jeden epochalen Bewegung setzten sich seit jeher einige prominente Köpfe, getragen wurden sie von einer entsprechenden Schar von Anhängern und Sympathisanten, die sich einen konkreten Vorteil für ihr eigenes Dasein versprachen.
Auf genau eine solch nüchtern-sachliche Geschichtsbetrachtung verweist Herrn Fernaus Erzählkunst. Und das mit Humor, mit Faktenwissen, mit einer fesselnden Sprache. Lustig, einprägsam, zum Nachdenken anregend: Die Herzöge der deutschen Stämme trugen Herzog Heinrich die deutsche Königskrone an und beugten dann das Knie vor der geheiligten und mächtigen Majestät, bereit auf dessen Wink davonzustürzen und alle Befehle der neu gekürten Majestät auszuführen – und gälte es das eigene Leben! Das Reich war ihnen heilig, die Idee, der Glaube…Schulweisheit…Quatsch! Blödsinn! Es waren gerade mal zwei Stämme, die Herzog Heinrich wählten und selbst bei denen mußte er sich seine Autorität noch erwerben, erstreiten, erkämpfen. Eine Krone auf dem Kopf ist ein Stück Blech, was einen Haufen Ärger, graue Haare und einen ständigen Kampf mit immer wieder nachwachsenden Opponenten und Widersachern mit sich bringt. Der dich verrät sitzt neben dir, sagt ein altes afrikanisches Sprichwort. Das Zeremoniell hat’s umsonst!
Herr Fernau stutzt also Geschichte auf ein Normalmaß zurecht.
Die Frage erhebt sich natürlich, wie Klio, die Muse der Geschichtsschreibung, je auf korrekturbedürftige Abwege geraten konnte. Nun, das liegt zumeist an zwei Gruppen von Menschen:
Da wären die einen, die Geschichte erzählen, um einen bestimmten Effekt zu erreichen, siehe oben. Diese sind natürlich an Bildern interessiert, die das Auditorium fesseln. Alttag genügt einem solchen Anspruch nicht. Den haben die Leute zuhause. Also müssen außergewöhnliche Taten, Umstände, Sensationen als Eckpfeiler her. Damit läßt sich schon eher etwas anfangen. Am besten Ströme von Blut. Das hat den Nackten Affen seit jeher gefesselt, vorrausgesetzt – es war nicht sein eigenes. Und nicht zu vergessen: Die Historie war seit Anbeginn eine Kampfwissenschaft, die für die Gegenwart gefiltert und gesiebt, für die Zukunft gedeutet wurde und die den jeweils Herrschenden sowie den jeweils Beherrschten für deren spezielle Zwecke zu dienen hatte.
Und die anderen? Das waren die Zuhörer. Die, die sich von solchen Mythen und Märchen eine Aufwertung der eigenen rudimentären Persönlichkeit versprachen: Ich bin Sozialhilfeempfänger, aber meine Vorfahren waren die Herren Europas! Also bin ich ja doch wer! Und wenn ich von der Großtante ein paar Groschen erbe, dann kann ich mit vollem Recht beim Nachbarvolk die Beine auf den Tisch legen und mich von deren Weibern bedienen lassen. Und die Geschichte spricht dazu ein kräftiges AMEN!
QVI BONO?, fragten dazu die alten Römer. Die Antwort gaben wir schon. Es ist die Gruppe Eins. Die, die gerne das Nachbarvolk zu billigen Konditionen auch noch zur Mehrung des eigenen Reichtums verwandt hätten und, um es dazu zu zwingen, gerne den Pöbel des eigenen Landes in die militärische Pflicht nehmen.
Um aus diesem explosiven Ballon die giftigen Gase abzulassen, sind die Fernau’schen Werke genau das Rechte! Nix da mit „großer alter Zeit“. Die gab es wenn, dann immer nur für ein paar Hanseln – und für die war sie in den seltensten Fällen rosig im Sinne unserer Vorstellungen.
Es gibt wenig, über das wir mit Herrn Fernau geteilter Meinung sind. Das Bild, das er von unserem preußischen Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. entwirft, das fordert unseren wütenden Widerspruch. Aber das ist auch schon alles. Hie und dort hätten wir uns ein wenig mehr Tiefgang gewünscht. Doch Herr Fernau schrieb nicht ausschließlich für uns – er schrieb für die breite Masse. Und deren Geduld, was Lektüre betrifft, ist oft sehr beschränkt. Genau wie der Verstand, der das Ganze verarbeiten soll. Nur Konsalik, Pilcher, Simmel und Konsorten vermögen ihre Leser über Tausende Seiten zu bannen – weil sie keinerlei Forderungen an den Geist erheben. Und so beugen wir uns denn dem Unvermeidlichen und empfehlen unserer geschätzten Leserschaft mit großem Vergnügen die Werke Joachim Fernaus:


Deutschland, Deutschland über alles
Rosen für Apoll
Disteln für Hagen
Halleluja – Die Geschichte der U.S.A.
Cäsar läßt grüßen
Und sie schämeten sich nicht
Die Genies der Deutschen
usw.

B 2. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2004