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Durch
die Erde ein Riß
von Herrn Dr. Erich Loest
K. K. Bajun
Richtigstellung: In einem Anschreiben vom 14. August 2004 machte uns Herr
Dr. Loest freundlicherweise auf zwei inhaltliche Fehler aufmerksam, die
wir uns beeilten, sofort im Text zu korrigieren: Statt fünf Jahren,
wie im Urtext geschrieben, saß Herr Loest sieben Jahre als politischer
Häftling in Bautzen ein. Das von uns erwähnte Buch "Die
Westmark fällt" heißt korrekt "Die Westmark fällt
weiter". Wir bitten um Nachsicht. Fjö
Tausende Biographien
überschwemmen den deutschen Büchermarkt und wir denken mit Bedauern
an die vielen Bäume, die für oftmals großen Schund ihr
Leben lassen mußten.
Diese aber, der ich heute meine Aufmerksamkeit zuwende, diese ist aus
einem anderen Stoff. Die hat was! Die wurde nicht von einem Dutzendschreiberling
als Ghostwriter dahingekliert, dem Geschmack des Plebs entsprechend auf
dessen bierseligen Wanst gepinselt.
Dieses Buch hier ist echt. Es stammt aus der Feder eines der Großen
der deutschen Nachkriegsliteratur – des Sachsen Dr. Erich Loest.
Während dieser Artikel entsteht, habe ich sein Bild vor Augen –
dieses knochige, kantige, sperrige, ausdrucksstarke Gesicht – das
Gesicht eines Mannes mit Charakter. Dieses Gesicht alleine bürgte
uns schon für die Authentizität des Geschriebenen.
Das autobiographische Werk „Durch die Erde ein Riß“
bekam ich im Mai des Jahres 1991 von einem Manne geschenkt, der mir viel
war. Das Exemplar trägt die Widmung:
Meinem lieben Jungen zum 27. Geburtstag L. kann uns helfen, uns noch besser
zu verstehen
Dein Vater
Da warb eine Generation um das Verständnis der Nachfolgenden. Sie
warb um Verständnis für ihr Denken und Handeln nach dem Kriege,
in der mühseligen Phase des Aufbaus des kommunistischen deutschen
Teilstaates, aus dem 1949 die DDR hervorging. Als dann meine Generation
begann, politisch zu denken, war diese DDR schon beinahe am Ende. Der
Weltmarkt verlangte nach Devisen und war diese nur bereit, für hochwertige
Produkte zu bezahlen. Diesen gnadenlosen Wettlauf konnte die kleine und
rohstoffarme DDR auf Dauer nicht mehr bestehen und sie schied aus. Nur
weil sie ökonomisch ins Abseits geriet? Nein, es hatten sich im Laufe
ihres Bestehens tiefe gesellschaftliche Widersprüche aufgetan, schon
zu Zeiten, als sie noch ein Sinnbild sozialistischer Stabilität zu
sein schien. Und Widersprüche solcher Art, das ließen die Mächtigen
der DDR an allen Schulen des Landes lehren, führen nun mal zu gesellschaftlichen
Umstürzen und Neuorientierungen. Als sie diese Einsichten verkündeten,
da war es ihnen eigentlich um den Klassenfeind zu tun – doch solch
ewige Wahrheiten machen vor niemandem halt – auch nicht vor dem
Verkünder.
Wir Jungen spürten den Verfall, die zunehmenden, klaffenden Risse
zwischen den Lehren der Sozialisten und der Realität im Lande. Es
bildete sich eine stille Opposition, die weit über die Junge Gemeinde
hinausging. Selbst die verachteten Mitläufer versuchten heimlich
Distanz zu wahren zu den Hundertprozentigen. Letztere wurden gefürchtet,
verachtet, verscheißert, gemieden.
Und hier – in diesem Buche schreibt ein ehemaliger Hundertprozentiger!
Das Unwahrscheinliche wird wahr: Man hört zu. Man zeigt nicht von
vornherein einen Vogel, man macht nicht innerlich zu – man hört,
was der ehemalige Genosse Loest zu erzählen hat. Und man überdenkt
und hört und hört und überdenkt.
Ehrlich geht er mit sich um, der HJ-Unterführer und Werwolf Loest,
der SED-Genosse und sozialistische Funktionär Loest, der politische
Strafgefangene 23/59 – nichts hinterläßt einen beschönigten
Eindruck. Hier wird nicht gekaspert, keine dreckige Wäsche gewaschen,
keine billige Rache an den Peinigern und fanatischen Hohlköpfen von
damals genommen – und glauben Sie mir – ein Autor von Ruf
hätte da so seine Möglichkeiten.
Doch Herr Loest läßt sich selbst von einer solchen Gelegenheit
nicht korrumpieren. Ist es das, was ihn über jeden Zweifel erhaben
sein läßt?
Wir vernehmen die Stimme eines Mannes, der im Herzen immer ein Sozialist
geblieben ist. Oder sollte ich besser sagen – ein braver Mensch?
Einer, dem Macht suspekt war – was alleine schon ausreichend ist,
wertvolle von gefährlichen Zeitgenossen zu scheiden. Ein kluger Mensch,
bewaffnet mit einem brillanten Geist, der zum Erkennen befähigt ist.
Einer, dem Heuchelei ein Greuel ist – ein Heros, ein Übermensch?
Nein, sicher nicht. Denn er hat seine Fehler, sicherlich, wie andere auch.
Und er geht in seiner Autobiographie härter mit diesen eigenen Fehlern
um, als mit denen seiner Quälgeister. Das waren die Menschen, die
ihn zu einem Durchhaltekämpfer für die verbrecherische Sache
der Nazis heranzogen. Es waren die vom gleichen Holze, die ihn später
für sieben Jahre in Bautzen einlochten, weil er das Maul aufgemacht
hat und nicht heucheln wollte. Weil Sozialismus für ihn eine Sache
des Herzens war, eines Herzens, das unfähig zu Heuchelei und Kriecherei,
nicht schlagen wollte für Konformismus und Karrierismus.
Ja, es war schön, über andere gesetzt zu sein. Wenn man in Berlin
von älteren Hitlerjungen gegrüßt wurde ob der Führerschnur
an der eigenen Uniform. Wenn man später als Intellektueller Anerkennung
fand, das Vertrauen ausgesprochen bekam einen leitenden Posten in einem
Verband zu bekleiden, wenn man in einem Laden für „Nomenklatura“
einholen konnte, wofür die Arbeiter, die ja doch eigentlich die privilegierte
Klasse hätten sein sollen, sich die Beine in den Bauch standen, für
nichts und wieder nichts.
Aber es spricht für den Mann Loest, daß ihn darüber ein
flaues Gefühl, eine Art schlechtes Gewissen ankam. Denn wie lange
war das her, daß der fette Reichsluftmarschall Meier, geb. Göring
am Volkseintopf demonstrativ teilnahm, während er Stunden später
in Karinhall die Sau raus ließ? Und schon wären wir wieder
bei den innergesellschaftlichen Widersprüchen, an denen die DDR um
einiges eher zugrunde ging, als an ihrem ökonomischen Kollaps.
Das mit dem Intellektuellenladen erachten wir für Kinkerlitz. Daß
der Genosse Loest auch heimlich etwas Wein trank, während er Wasser
agitierte, als er, der Autor der Schrift „Die Westmark fällt
weiter“ im Westberlin der Vormauerzeit den Schwindelkurs mitmachte,
tauschte und schmuggelte – wollen wir ihn richten? Das lassen wir
besser bleiben – denn die das vermöge bezeigter „Integrität“
könnten, waren oft die Fanatiker, die den Sozialismus durch ihre
Engstirnigkeit und phrasenbestückte Prinzipienfestigkeit am meisten
in Gegensatz zu den Menschen brachten – die ihn später durch
ihre Vita rundheraus diskreditierten.
Anzurechnen ist dem Sozialisten und Funktionär Loest, daß er
um solche Episoden keinen Bogen schlägt. Auch das bringt Glaubwürdigkeit
ins Buch.
Eine Biographie. Kein seelenloses Geplapper eines Narziß, der glaubt,
alle Welt interessiere brennend die eigene – leider nicht als solche
empfundene Nichtigkeit. Schon am Stil erkennt man den Profi. Umgehen kann
er mit der Deutschen Sprache – Hut ab! Herr Loest fesselt, Herr
Loest führt mit leichter Hand den Leser durch vierhundertundelf Seiten,
und am Ende bedauert man, daß es keine vierhundertzwölfte Seite
mehr gibt. Was, vierhundert Seiten? Wer hätte das gedacht! Wirklich
vierhundert? Nee, komm Se! Das waren doch nicht mehr als hundert! Da habe
ich doch keine zwei Tage dran gelesen, da war ich schon durch… Ja,
liebe Leser, so geht es einem mit einem wirklich guten Buch.
„Durch die Erde ein Riß“ ist ein wirklich gutes Buch.
Wir „Landboten“ empfehlen es vor allem anderen allen Deutschen
mit Grips und aufrichtigem Interesse und wir lassen die oben erwähnte
Widmung ungekürzt über unserer Empfehlung stehen.
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