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Machiavelli
Die Schule der Macht
von Herrn Valeriu Marcu
K. K. Bajun
Irgendwo in einer größeren
Stadt in Deutschland: Die Stadtverordnetenversammlung tagt. Einziger Tagesordnungspunkt:
die vom Abgeordneten Jürgen Bauer vorgeschlagene Abwahl des Bürgermeisters,
der in dubiose Geschäfte mit einem Investor verwickelt gewesen sein
soll, die am Ende der Stadt zwar nur Kosten bescherten, dennoch aber mutmaßlich
die Privatschatulle des Bürgermeisters während der Verhandlungen
ganz gut füllten. Bauer hätte sich gern selber an den Kunkeleien
beteiligt, war aber dazumal außen vor geblieben. Nun sah er die
Möglichkeit, zwei Sachen mit einem Abwasch zu erledigen. Erstens
könnte er dem erfolgreicheren Bürgermeister die Quittung für
die damalige Rechnung präsentieren und zweitens – welch innerer
Vorbeimarsch – käme er als aussichtsreichster Kandidat ernsthaft
in Betracht, den vakant werdenden Sessel des Stadtoberhauptes neu besetzten.
Ein idealeres Sprungbrett in den Landtag ließe sich kaum denken.
Im Prinzip müßte alles glatt gehen – gestern abend noch
hatte er mit seinem ehemaligen Juniorpartner und jetzigem Fraktionsführer
Herbert Schnürschuh lang und breit über den geplanten Umsturz
geredet, dem Herbert die sich für ihn ergebenden Vorteile ausgemalt
und ihn anschließend instruiert, die Fraktionskollegen auf ihn einzuschwören.
Herbert hatte sich kooperativ erklärt, die Opposition würde
aus ureigenstem Interesse schon geschlossen mitziehen – also was
konnte noch passieren?
Jürgens große Stunde war gekommen. Die Anschuldigungen waren
auf dem Tisch. Jetzt stand Herbert auf, der Kronzeuge der damaligen Geschehnisse,
das Trumpf-As in Jürgens Ärmel, betrat das Rednerpult und donnerte
mit der Stimme eines Erzengels: „Liebe Abgeordnete! Ich weiß
nicht, was das ganze Theater hier eigentlich soll! Diese Vorwürfe
entbehren meiner Kenntnis nach jeder Grundlage. Woher der Kollege Bauer
seine Informationen hat, ist mir schleierhaft. Dennoch können wir
getrost davon ausgehen, daß dieses unseriöse Geschwafel jeder
Grundlage entbehrt. Die persönliche Integrität unseres verehrten
Herrn Bürgermeisters ist nach wie vor über jeden Zweifel erhaben.
Wer dafür ist, den Mißtrauensantrag des Kollegen Bauer zurückzuweisen,
der hebe jetzt bitte die Hand!“
Die Fraktion hob sie einhellig und mit entrüsteten Blicken in Jürgens
Richtung. Die Opposition zog kleinlaut nach. Sie war auf den zukünftigen
Bürgermeister bei der Frage der Energieversorgung der Stadt in jedem
Falle angewiesen und konnte es sich nicht leisten, ihren Animositäten
zugunsten eines in sich zusammengesunkenen Verlierers Ausdruck zu verleihen.
Jürgen saß totenbleich auf seinem Sessel. Er war erledigt.
Aus der Traum vom Landtagsmandat. Im Prinzip blieb ihm bloß noch,
in die Reihen der einfachen Parteisoldaten zurückzutreten. Was das
für seine Firma bedeuten mochte, das vermochte noch niemand abzuschätzen.
„Verfluchter Machiavellist!“ stammelte Jürgen wütend
in Herberts Richtung, der es krampfhaft vermied, auch nur einen Blick
zu Jürgen zu werfen.
Was hat er da gesagt? „Machiavellist“? Was ist das?
Jürgen ist ein nur mittelmäßig gebildeter Mann. Er könnte
uns kaum erklären, wer oder was Machiavelli war. Bestenfalls würden
wir von ihm hören, daß es sich wohl um irgend so einen „Spaghetti“
gehandelt hat, der predigte, daß um der Machterlangung oder -erhaltung
willen alles, jede Niedertracht, jeder Verrat, jede Lüge erlaubt
sei. Und die sich danach richten, das sind dann halt die Machiavellisten.
Also überlassen wir Jürgen seiner Entrüstung und Verzweiflung
und fragen Herrn Autor Marcu, wer denn nun besagter Machiavelli gewesen
sei. Der wird es sicherlich genauer beantworten können, hat er doch
eine Biographie über diesen bemerkenswerten Mann geschrieben, die
in einer Neuauflage vom Fischer Taschenbuch Verlag zu Frankfurt am Main
im Oktober 1999 herausgegeben wurde.
Doch leider wurde der sehr kluge und hoch gebildete Herr Marcu, ein angesehener
Schriftsteller und Journalist des Berlins der Zwanziger Jahre nur vierundvierzig
Jahre alt. Gestorben im Jahre 1942, konnte er leider das Dritte Reich,
das auch ihn ins Exil zwang, nur noch auf seinem Höhepunkt, nicht
aber mehr bei seinem Niedergang erleben. Seiner Klugheit und Weitsicht
jedoch blieb es vorbehalten, aus dem Charakter der wahnsinnigen Diktatoren
auf das weitere Geschick der Welt zu schließen – und er irrte
sich nicht!
Dazu aber, wenn man denn der seherischen Gabe ermangelt, ist profunde
Sachkenntnis vonnöten, präzise Recherche und fundiertes Denken.
Das war nun die Domäne Herrn Marcus.
Was wir in diesem vorzüglichen Büchlein über den Verfasser
des „Il Principe“ erfahren, läßt in uns den Eindruck
aufkommen, wir stünden über ein halbes Jahrtausend hinweg neben
diesem großen Staatstheoretiker der italienischen Renaissance, begleiteten
ihn durch die engen Gassen seiner Heimatstadt Florenz, in die Vorzimmer
der Macht, in die Hölle der vielen Kriege um die Macht, in seine
Kanzlei, in seine Gastwirtschaft, in sein Zuhause.
Überaus gebildete Menschen müssen nicht zwanghaft so schreiben,
daß sie am Ende keiner mehr versteht. Herr Marcu macht uns das vor.
Dennoch, ein gerüttelt Maß an solider Allgemeinbildung sollte
man schon mitbringen, um sich dem Thema hingeben zu können. Denn
der Autor war nicht willens, ein Kinderbuch vorzulegen.
Wenn man aber dieser Voraussetzung entspricht, dann ist die Lektüre
ein pures Vergnügen.
Nun wird sich mancher Leser des Landboten fragen, warum dieses Blatt sich
so fasziniert mit der Person Niccolo Machiavellis abgibt. Symbolisiert
doch des Landboten Wappen – die umgestürzte Krone – unser
sehr gespanntes und von tiefem Mißtrauen geprägtes Verhältnis
zur Macht, deren Hohelied Machiavelli in seinem „Principe“
ja bekanntlich singt.
Wir sind nicht weltfremd – und das war Machiavelli auch nicht. Wir
wissen, daß wir die Welt nicht zum Besseren werden ändern können
– und er wußte es auch. Daher entschied er sich für einen
gesunden Pragmatismus. Was er schrieb, war die Essenz der Wahrheit. Die
aber tut den meisten Zeitgenossen erbärmlich weh, denn nur unter
dem Schild und Schirm der Lüge und des Verrates vermag man im allgemeinen
Tagesgeschehen günstige Geschäfte zu machen. Hebt aber einer
den Teppich auf, unter dem sich das Gelichter tummelt, dann sind die Reaktionen
der Demaskierten meist wütender Natur. Sie wollen sich nicht in die
Karten schauen lassen und statt dessen für alle Welt den schönen
Schein wahren.
Genau in diese Suppe hat ihnen Machiavelli so unnachahmlich hineingespuckt
– und dafür behauptet sein „Principe“ auch einen
Ehrenplatz in der Bibliothek des Landboten. Wir hätten etwas darum
gegeben, hätten wir diese Persönlichkeit bewegen können,
für unser Blatt zu korrespondieren!
Also folgen wir diesem Kenner der Dynamiken der Macht! Das Italien des
15. Jahrhunderts ist nicht zu vergleichen mit dem heutigen Nationalstaat
gleichen Namens. Es ist ein wüster Flickenteppich aus Herzogtümern,
mehr oder minder souveränen Stadtstaaten, Gebieten, die von ausländischen
Interventionstruppen besetzt oder heimgesucht oder alles beides werden…
Und inmitten dieses Haifischbeckens sitzt die Oberkrake – der Heilige
Vater zu Rom.
Rom, Rom… wie stolz doch dieser Name noch immer klingt! Aber es
ist nur noch der Ort, die Stelle, der Platz, den das antike Rom einnahm.
Die römischen Tugenden, die dieses einst unbedeutende Dorf am Tiber
zu einer Weltmacht schmiedeten, sind dahin. Übrig blieb das fanatische
Monopoly um die Macht, das einige großkopferte Familien untereinander
ausfochten und das einem Moloch gleich Blut in Strömen soff. Blut
nicht nur der breiten Teile der Bevölkerung, Blut auch der Würdenträger,
der Erzbischöfe, Herzöge und Condottieri. Wo selbst Päpste
damit rechnen mußten, gefangengesetzt und gemeuchelt zu werden,
konnte sich nur behaupten, wer dieses Spiel am gewieftesten, am brutalsten
und am verlogensten zu spielen in der Lage war. Alexander VI., das Tier
mit den sieben Häuptern auf dem Stuhle Petri, war ein würdiger
Vertreter dieser Epoche. Sein Sohn Cesare Borgia aber war das Ultimum
an böser und verschlagener, an krimineller und politischer Energie.
Er konnte dir die Hand reichen, dir kostbare Geschenke machen, dich lachend
seiner innigsten Liebe und Freundschaft versichern und dich selbigen Abends
beim Gastmahl ermorden lassen. Kein Versprechen galt ihm auch nur das
Mindeste.
Mit solchen Männern hatte Machiavelli zu tun. Zu klein, ihnen gefährlich
zu werden, zu klug, um von ihnen ignoriert zu werden, bedienten sich die
Signori seiner oft und mit Vorliebe als Unterhändler und Kommissär.
Sein wacher politischer Instinkt, seine umfangreiche Vorbildung und sein
messerscharfer Verstand, gepaart mit seiner untrüglichen Beobachtungsgabe,
der nichts entging, lernte Machiavelli beizeiten sich auf dem mordsgefährlichen
Schwingmoor der Macht mit schlafwandlerischer Sicherheit zu bewegen.
Blöd war nur, daß unter den geschilderten Umständen die
Machtverhältnisse auch seiner Heimatstadt Florenz wechselten wie
das Aprilwetter. Nun stellte sich heraus, daß Machiavellis Position
doch nicht so ideal war, wie ursprünglich beabsichtigt. Sein Ruf
und Einfluß waren schon zu exponiert, als daß er noch unbesehen
als inventarisiertes, subalternes, mausgraues und somit beinahe unsichtbares
Faktotum hätte hindurchschlüpfen können, wie es vielen
seiner Beamtenkollegen vergönnt war, die ihre Ämter und Funktionen
unbeschadet aller politischen Wendungen stoisch beibehielten. Die unauffälligen
Verwalter des obligatorischen Verwaltungsapparates der Macht, die kleinen,
grauen, essentiellen Spezialisten auf dem Gebiet des Organisierens werden
von jedem Herrscher gebraucht und daher mit Vorliebe übernommen.
Nur die, die allzu eifrig Farbe bekannten, deren Engagement weit über
das Gewöhnliche hinausschoß, derer suchte man sich zu entledigen.
Das waren die unsicheren Kantonisten. Wir ehemaligen DDR-Bürger kennen
das zur Genüge. Die sogenannte „Wende“ führte und
dieses tragikomische Drama bis zum Erbrechen vor.
Andererseits war es Machiavelli auch noch nicht gelungen, in solch lichte
diplomatische Höhen vorzustoßen, die ihn unangreifbar, ja nachgerade
zum allseits geschätzten „ehrlichen Makler“ befördert
hätten. Der Absturz war bilderbuchmäßig. Er, der über
anderthalb Jahrzehnte sein Herzblut für die Affairen seiner Vaterstadt
gegeben hatte, bekam nun die Wucht der politischen Umwälzung in nicht
erahnter Schärfe zu spüren. Er hatte das zweifelhafte Privileg,
zu den namhaften Prügelknaben gerechnet zu werden. Verbannung, Berufsverbot,
politisches Abseits – es war ein Jammer.
In dieser Situation verfaßte der geschundene Mann eine der bis heute
bedeutendsten italienischen Komödien – „Mandragola“
– „die Alraunwurzel“. Das verschaffte ihm einigen Ruhm,
rief ihn zurück ins Gedächtnis der Leute, machte seinen Namen
wieder bekannter – aber das war dann auch schon alles.
Niemand kam und sagte: „Herr Machiavelli, wir hätten Sie gerne
als politischen Berater oder als Legationssekretär engagiert.“
Das Brot blieb aus.
Der Wetterhahn der Macht hatte sich am Arno mittlerweile wieder einmal
komplett um sich selbst gedreht. Nach Jahren des Exils, nach dem Gottesstaat
des Fraters Girolamo Savonarolas und dem Interregnum Soderinis waren die
Medici wieder zurückgekehrt. Doch ihr Oberhaupt war nicht mehr der
geniale Cosimo, nicht mehr der prächtige Lorenzo, es waren deren
Enkel Giuliano und Lorenzo der Jüngere, mit dessen Regentschaft das
Unheil der Familie und damit der mit ihr verbandelten Stadt begann.
Und Machiavelli saß nach wie vor wie ein Fisch auf dem Trockenen.
Unter diesem Gesichtspunkt und weil der Mensch ja leben muß, schrieb
er gleichsam als Empfehlung seiner selbst das Lorenzo dedizierte Büchlein
„Il Principe“. Der kleine Leitfaden zum effektiven Gebrauch
der Macht sollte den Verfasser als ausgewiesenen Kenner der Materie vorstellen,
als unentbehrlichen Steigbügelhalter, als Garant für die fürstliche
Prosperität.
Lorenzo bedankte sich mit zwei Flaschen Wein…! Wie gesagt –
er war halt nicht sein Großvater Cosimo.
Machiavelli, der in einer wieder einmal nachmediceischen Ära versuchte,
sich um seine Wiedereinstellung beim Rat der Stadt zu bemühen, scheiterte
fatal. Seine Feinde waren mittlerweile Legion. Er war zwischen allen Stühlen
durchgebrochen. Das fatale Ergebnis der Abstimmung über sein Gesuch
bekam er jedoch kaum noch mit. Zu krank war er schon. Er überlebte
die Absage nur um ganz kurze Zeit. Als bettelarmer Mann schloß er
für immer die Augen.
Sein Buch aber überlebte und wurde bei praktisch denkenden Männern
zu einem unvergleichlichen literarischen Schatz.
Friedrich der Große hatte es als jugendlicher Heißsporn in
seinem berühmten „Antimachiavell“ gnadenlos zerrissen.
Herr Marcu schildert uns beiläufig eine bissige Sottise Voltaires,
dieser hochintelligenten und wirklich köstlich spitzen Laus im Philosophenmantel:
Voltaire also meinte, Friedrich habe in seine Lieblingstorte gespuckt,
damit auch wirklich niemand anderes mehr davon naschen könne.
Darüber hätte sich Machiavelli bestimmt gefreut.
Wir empfehlen dieses hervorragende Büchlein Herrn Marcus. Es erweitert
auf unterhaltsamste Art den intellektuellen Horizont der an Bildung und
Wissen interessierten Zeitgenossen. Und es lehrt uns eine Menge über
uns selbst, unser wahres und ungeschminktes Wesen.
Es führt uns zum „Principe“ selbst, und es dient der
großen Forderung an die Menschheit: Gnothi seauton, Erkenne Dich
selbst!
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