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Die neun Pforten
Ein Film von Herrn Regisseur Roman Polanski

K. K. Bajun
Ach, wäre Mozart doch nur älter geworden! Wieviele unsterbliche Werke hätte er der Menschheit noch zu schenken vermocht. Wieviel Genialität blieb durch seinen unzeitigen Tod für den Rest der Ewigkeit ungehört…
Solche Seufzer mögen in Mozarts Falle alle ganz hübsch und melodramatisch klingen – ernsthaft beantworten kann sie niemand mehr.
Den Meister Polanski aber und seine Werke, Sie erinnern sich unter anderem bestimmt an den legendären „Tanz der Vampire“ mit der kurz darauf hingemeuchelten Sharon Tate – diesen Filmemacher also können wir getrost aus dem Reich der Spekulation befreien.
Und wir müssen bedauernd feststellen: Die Luft scheint raus zu sein. Herrn Polanskis Kreativität versandet in seichten Klischeefilmen, wie sie einfallsloser und spannungsärmer nicht mehr sein könnten. Wie schade.
„Die neun Pforten“ dient dafür zum Exempel. 1999 gedreht, tischt uns der Film die folgende Gruselgeschichte auf: Ein amerikanischer Literaturexperte aus New York (von wo bitte sonst?) stellt sich dem fernsehschauenden Publikum zunächst einmal als skrupelloser Raffzahn und windiger Geschäftsmann vor, der zwar über ein umfangreiches Fachwissen verfügt, desgleichen über einen gefürchteten Ruf (einen guten Leumund hält er nach eigener Aussage für geradezu karrierefeindlich), der aber als ziemlich schnoddrige Erscheinung von Johnny Depp äußerst fehlbesetzt einherkommt.
Johnny Depp… was für ein exzellenter Mime. „Edward mit den Scherenhänden“, der Ichabod Crane aus „Sleepy Hollow“, was waren das für Paraderollen! Einem Könner auf den Leib geschrieben. Diese Figuren lebten, entfalteten sich, sprühten geradezu im Gegensatz zu seinem Buchdetektiv Dean Corsa aus „den neun Pforten“. Weder die Gestalt des windigen Geschäftemachers in Sachen alte Literatur kann sich einer solchen Vitalität rühmen, noch die Ausstrahlung derselben. Trocken und hölzern stolpert der Literaturdetektiv durch den Bildschirm. Ihm fehlt jegliche Seele. Das nicht fertigzubringende Kunststück am Ende des Filmes aber sollte sein, genau so eine unsterbliche Seele dem Teufel zu verkaufen. Das mußte einfach schief gehen! Denn der Höllenfürst will schließlich für geleistete Arbeit rechtens auch etwas Handfestes einstreichen, und sich nicht mit Windbeuteleien abspeisen lassen.
Doch weiter: Dieser Büchermann also, ständig auf der Suche nach gebundenen Raritäten aus der Frühzeit der Buchdruckerkunst, wird eines Tages von einem betuchten Sammler gebeten, die Echtheit eines Werkes zu prüfen, von dem es auf der Welt nur noch drei Exemplare geben soll. Der Rest der Auflage sei von der geistmordenden Inquisition 1669 zu Venedig samt Autor auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden. Genauer gesagt, nur einer der beiden Verfasser. Der Koautor nämlich, der dem Vernehmen nach auch Höchstselbst einige Holzschnitte zur Illustration des Werkes von eigener Hand beigesteuert hatte, konnte sich dem irdischen Gericht auf Grund seiner besonderen Kräfte und Fähigkeiten entziehen. Handelte es sich doch bei diesem Mitverfasser um den Erzengel Uriel persönlich, um den Abtrünnigen, den Teufel, den Satan, den Gottseibeiuns.
Nun enthält dieses Werk nichts weniger als eine Anleitung, wie man die neun Pforten der Hölle überwinden und gottgleich werden könne. Was das eine mit dem anderen zutun hat, läßt das Drehbuch offen. Amüsant an diesen besagten neun Pforten ist allein schon der Umstand, daß ein Ort, an den es nun wirklich niemanden zieht, scheinbar abgesicherter ist, als Fort Knox. Oder sollen die Insassen an einem Ausbruch gehindert werden? Dann wäre die Lektüre des fraglichen Buches auf der anderen Seite des Styx sicherlich angezeigter. Doch das nur nebenbei.
Unser mutmaßlich mit einer Schaffenskrise ringender Depp Johnny macht sich also auf nach Merry Old Europe und klappert die beiden anderen Buchbesitzer ab. Der eine ist ein Violine stümpernder alter Portugiese aus ehemals großem, nun aber verarmten Geschlecht, der seiner Melancholie des Verfalls durch das Gekrächze auf seinem verstimmten Instrument in den ausgeräumten Hallen seiner Villa Ausdruck verleiht. Die 850 Bände starken Überbleibsel seiner einst stolzen Bibliothek stehen nunmehr mangels Mobiliar auf dem Fußboden. Der verarmte Edelmann hütet dort auch seinen Millionenschatz – ebenjenes zweite Exemplar des Dämonicum, auf dessen Spur Herr Depp von seinem Auftraggeber mit dem bezeichnenden Namen Boris Balkan gehetzt wird. Meister Depp kommt, blättert, fertigt sich eine Tabelle an, die dem Standard „Geometrie der Dritten Klasse Grundschule“ entspricht, verläßt den Alten, worauf dieser dann um des inspizierten Werkes willen von unbekannten Meuchelmördern in seinem Gartenteich zur ewigen Ruhe gebettet wird.
Als nächstes steht eine Baroneß Kessler auf dem Reiseplan, welche standesgemäß im Rollstuhl sitzt und ein großzügiges Pariser Maison bewohnt. Es stellt sich heraus, die Gemeinde der Sammler kennt sich untereinander, und man ist sich nicht grün. Was Wunder, bei einer solchen Interessenkonvergenz!
Kurz und gut, während der Inspektion des dritten Exemplars bekommt Herr Depp von hinten eins auf die Nuß, und als er wieder erwacht, sieht er die mit ihrem seidenen Halsschal erwürgte Baroneß mit ihrem Elektrorollstuhl wieder und wieder gegen die Tapete ihrer Bibliothek anstürmen. Offensichtlich hat die Tote die Kontrolle über das Heil- und Hilfsmittel verloren. Doch ehe der entscheidende Durchbruch gelingt, wendet Herr Depp das außer Kontrolle geratene Gefährt, worauf dieses durch eine geschlossene Tür den Weg ins Nachbarzimmer nimmt, in welchem bereits ein lustiges Feuer lodert. Dieses Zimmer, welches allen Pariser Brandschutzbestimmungen zum Hohn in einen offenen Ofen umfunktioniert wurde, wird nun also mit der leblosen Baroneß beschickt, auf daß diese kostengünstig kremiert werden kann. Ja, ja, wer sich mit dem Teufel einläßt… Es tut einem Leid um das schöne Halstuch und die wertvollen Scharteken, die nunmehr ein Raub der Flammen werden. Die Aristokratin hingegen hätte als ausgewiesene Dämonologin wissen müssen, welch feuriges Ende der Teufel seinen Bräuten im Allgemeinen bereitet. Herr Polanski bestätigt diesen Fakt noch einmal eindrucksvoll. Also Mädels, Finger weg von gutaussehenden Burschen mit Hahnenfeder, Klumpfuß, Schwefelparfum, Ferrari, und einem Haufen Geld!
Gerade noch können wir unser Gähnen unterdrücken. Das ist auch gut so, denn wir wären Gefahr gelaufen, den Clou des filmischen Schinkens zu verpassen: Eine etwas nervige Studentin mit ausgesucht properer Figur entpuppt sich als schwebende Jungfrau mit übermenschlichen Kräften und einer formidablen Kampfkunst. Brunhilde, Königin von Island, Walküre und Wotanstochter? Bist Du’s?
Immer wieder profiliert sich die Jungfrau als Schutzengel des von bösen Kräften verfolgten und stetig in seiner Arbeit behinderten Buchexperten. Wo sie auftritt, da hat das Böse nichts zu lachen! Sollte sie am Ende gar eine aus der Schar St. Michaels sein? Eine von den Guten? Dagegen spricht das regelmäßig aufleuchtende, unnatürliche Grün in Ihren Pupillen, wenn das sexuell aktive Mägdelein in Fahrt gerät. Die Guten tragen traditionell Blau im Auge.
Auf in den Endkampf! Das Originalbuch wird von seiner angeblich rechtmäßigen Besitzerin geklaut und seinem eigentlichen Zweck zugeführt – der Abhaltung einer sogenannten Schwarzen Messe nämlich. Damen und Herren der feineren Gesellschaft treffen sich zu diesem Behufe in einem französischen Chateau, ziehen sich schwarze Seidenkutten über die nackte Haut, (huach!) – hängen sich einen Drudenfuß um den Hals und öden den Herrn der Finsternis mit ihrem Singsang an. Wenigstens verschafft uns die Hohepriesterin der Veranstaltung, ebenjene diebische Buchbesitzerin, beim Wechseln ihrer Garderobe ein kleines cineastisches Highlight. Man meint, die Venus von Milo wäre von Herrn Polanski ebenfalls für den Streifen rekrutiert worden. Was offen bleibt, ist die Beziehung des Mädchennamens der besagten Schwarzen Priesterin zu ihrer filmischen Mission: St.Martin. Wir erinnern uns jenes legendären Bischofs von Tours, der auch als Kirchenfürst Macht und Gewaltausübung ablehnte und sich damit in einen krassen Gegensatz zu seinen Berufs- und Amtskollegen brachte. Ja, das war der Mann, der, als er noch als Offizier in den Diensten der römischen Legionen stand, seinen Mantel mit einem frierenden Bettler teilte. Das hat er nun davon. Wenn er von seinem himmlischen Vater erfährt, was ihm seine Heiligsprechung eingebracht hat, wird er wohl genauso gottlos fluchen, wie die armen Gänse, die alljährlich zu seinem Feiertag geschlachtet werden.
Der Rest ist schnell erzählt. Der bibliophile Mr. Balkan, der sich nun als Mörder seiner unliebsamen Sammlergenossen offenbart, meuchelt vor versammelter Gemeinde die Vorbeterein. Die Gemeinde stiebt entsetzt von dannen. Irgendwie unlogisch, das Ganze. Denn, um das Böse anzubeten, sind sie doch gekommen… Nun ja.
Das Balkan Bobbele versucht sich in einer Burgruine nun selbst mit der Teufelsbeschwörung, übersieht aber ein winziges Detail und schließt sein unwürdiges Erden- wie auch Kinodasein mit einer sauberen Selbstverbrennung ab, bei welcher Gelegenheit er der kulturhistorischen Ruine aus der Kreuzfahrerzeit gleich mit den feurigen Garaus macht.
Nachdem alles so schön in flammende Kulisse getaucht ist, bringt sich die Engelsstudentin wieder mit ein. Nun wird klar, sie muß eine Tochter der Unterwelt sein. Damit das auch dem letzten Holzkopf unter den Zuschauern klar wird, bemüht Herr Polanski immer wieder das im ganzen Mittelalter verbreitete Bild der Großen Hure Babylon, die auf dem mehrköpfigen, apokalyptischen Tier mit den sieben Hörnerpaaren durch die Gegend reitet. Zuzüglich verraten Flammen und eine Sukkubus-Nummer im Freien die Attribute des Dämonischen. Die attraktive Höllenvertreterin erklärt dann auch dem Buchprüfer, wie die Neunte Pforte zur Unterwelt wirklich zu öffnen sei – und so kommt es, daß auch die Seele des geist- und gefühllosen Buchgauners den Weg in das Reich des Gestürzten Engels findet. Hurra!
Was soll er auch noch auf Erden. Sein Auftrag ist erfüllt, sein Auftraggeber mausetot, genau wie sein mutmaßlich einziger Freund, der antiquarische Buchhändler aus New York, der als erstes Mordopfer des Films herhalten mußte. Dieser wurde nach seiner Ermordung aufgehängt, wie der Gehenkte aus dem Tarot: Kopfüber und mit angewinkeltem Bein. Das war die Manier, in der sich Wotan neun Tage lang an der Weltenesche Yggdrasil befestigte, um sein göttliches Bewußtsein zu erweitern. Was es dem Buchhändler brachte, ist wohl eher mit einer radikalen Bewußtseinsbeschränkung zu beschreiben. Nun ja, auch das Unsrige war langsam im Schwinden begriffen.
Herr Johannes Gensfleisch zum Gutenberg rotiert derweil in seiner Mainzer Gruft und spuckt Gift und Galle auf den unseligen Tag, an dem er die Buchdruckerkunst für das Abendland entdeckte. Hätte er gewußt, welchen Schwachsinn man daraus eines Tages kreieren wird, er hätte das Loblied auf die Legasthenie angestimmt, statt bewegliche Lettern zu ersinnen.
Die einzige seriöse Filmbotschaft, die uns erwähnenswert erscheint, besteht darin, daß, wie bei der „Schwarzen Messe“ ersichtlich, das die Kinder Gottes bis auf wenige Ausnahmen ohne zu zögern zum Teufel überlaufen, wenn sie denn einen zeitlichen Gewinn wittern. Das eigene Hemd ist den Menschen näher als Gottes Hose. So sind sie halt. Da mag der HErr Sintfluten, Heuschrecken und Kometen schicken, noch und noch, seine Allmacht ändert nichts daran.
Aber wir denken, der Vater Israels hat es aufgegeben. Es ist ihm wurscht geworden, was seine entgleiste Schöpfung treibt.
Anders ist es nicht zu erklären, daß mit solchem hanebüchenen Mist Existenzen genährt und am Leben erhalten werden, während in der weiten Welt Tag um Tag Millionen Mitmenschen verhungern und verrecken.
Zwei sehenswerte Frauenhintern und ansonsten jede Menge Doofheit…Wir beginnen den Sinn der Zeile aus dem Vaterunser zu erahnen, die da fleht: „… und erlöse uns von dem Übel!“ Die Inquisition hat es versucht. Etwas zu rabiat für unseren Geschmack. Aber Irrenhäuser gab es nicht, was sollten sie denn tun? Und im Endeffekt gab ihnen Herrn Polanskis Alterswerk durchaus recht. Späte Rehabilitation für die institutionellen Mordbrenner des Mittelalters durch einen polnischstämmigen Regisseur der Neuzeit.
Das gibt’s wirklich in keinem Russenfilm…!

B 2. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2004