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Wie das Christentum über
Ostelbien kam…
Zur Eröffnung des neuen Christianisierungsmuseums
der restaurierten Burg Ziesar
K. K. Bajun
Tausend Jahre ist es her, da war
in den slawischen Gauen Ostelbiens der Teufel los. Das Blut floß
in Strömen, Menschen verloren Hab und Gut, Welten gingen unter, Welten
wurden neu erschaffen. Wie kam es zu solchen Umwälzungen?
Seit der Zeit der Völkerwanderung hatten westslawische Stämme
das Gebiet zwischen Elbe und Oder besiedelt, das zuvor von den abziehenden
Germanen verlassen worden war.
Diese Slawen waren größtenteils einfache Fischer, Handwerker
und Ackerbau treibende Frauen und Männer. Doch sie waren keineswegs
das friedliche Landvolk inmitten eines Idylls, als welche sie uns die
russische und damit ebenfalls slawische Besatzungsmacht nach dem Zweiten
Weltkriege zum ureigensten Lobe verkaufen wollte.
Ähnlich den Hunnen und den Wikingern gab es auch unter den Slawen
genug junge und ältere Männer, die das Waffenhandwerk betrieben
und blitzschnelle, gut geplante und oft genug grausame militärische
Expeditionen zu ihren Nachbarn unternahmen. Konnten sie dabei Sklaven
erbeuten, so wurden diese umgehend auf bedeutenden Handelsplätzen
wie zum Beispiel Jumne (Vineta) in Pommern verkauft. Feuer und Tod und
Verwüstung waren dabei ständige Begleiter solcher Überfälle.
Nun hatten die westlich der Elbe siedelnden germanischen Sachsen, die
seit Karl dem Großen bereits großflächig christianisiert
worden waren, von solchen Heimsuchungen die Schnauze gestrichen voll.
Das traf sich ganz gut mit den Intentionen der räuberischen und auf
Expansion des eigenen Herrschaftsbereiches ausgerichteten Großen
des Sachsenreiches. Diese hatten sich seit Chlodwig mit einer gewissen
Sekte aus dem Mittelmeerraum zusammengetan, die in ihrer Funktionalität
den modernen Scientologen nicht unähnlich war: Die Rede ist von den
Christen. Diese waren nach anfänglicher brutaler Verfolgung unter
dem oströmischen Kaiser Konstantin dem Großen zu einem Machtfaktor
aufgestiegen, der sich aus europäischen staatspolitischen Getrieben
nicht mehr wegdenken ließ. Diese Christen lieferten zu allem Gewünschten
den theologischen Unterbau und die entsprechende moralische Rechtfertigung.
Welchen Spagat zwischen dem Friedensgebot ihrer Religion und den tatsächlichen
Anforderungen eines auf Leben und Tod um Macht und Einfluß kämpfenden
Feudalklüngels sie dafür auch immer zu machen gezwungen waren
– sie bekamen das auf die Reihe!
Gemäß dem Missionsbefehl ihres unfreiwilligen Religionsstifters
Jesus trachteten die Kleriker und Theologen dieser Kirche danach, das
Pantheon der heidnischen Völker durch die Dreieinigkeit Gottvater,
Gottsohn und Heiliger Geist zu ersetzen. Wenn es auch unbestritten ist,
daß viele der damaligen Menschen diese Aufgabe mit wahrhaftigen
religiösen Gefühlen wahrnahmen, so treffen wir auch hier auf
eine Milchmädchenrechnung: Jeder Tempel hat Einkünfte. Zerstöre
ich den Tempel des Perun, oder den des Donar, Triglaf, Swantewit, oder
Zeus und setze an deren Stelle eine christliche Kirche, dann kassiere
ich natürlich deren frühere Einnahmen. Wer über die Kasse
das Sagen hat, ist nun mal Chef im Hause.
Also wurden waffentechnisch und logistisch überlegene sächsische
Heere in einen mitteleuropäischen Urwald und Sumpf in Marsch gesetzt
und über mehr als ein Vierteljahrtausend hub ein aberwitzig brutales
Ringen über die Vorherrschaft in den neuen sächsischen Gauen
an. Die wendischen Slawen, sozusagen die Indianer des europäischen
Mittelalters, hatten unter anderem auf Grund ihrer Zersplitterung, ihrer
technologischen Unterlegenheit und des vielfachen Verrats in den eigenen
Reihen auf Dauer keine Chance gegen die Invasoren.
Diese verstanden jedoch auch etwas von straffer Verwaltung und –
von Kolonisationspolitik. Vermittels des Einsatzes sogenannter Lokatoren,
wir würden heute Besiedlungsunternehmer sagen, wurde viel Volk aus
den „zivilisierten“ Teilen Nordwesteuropas angelockt und unter
der Zusage erheblicher Vergünstigungen in den neu erschlossenen Provinzen
angesiedelt. Die einstigen Herren des Landes gerieten in eine aussichtslose
Lage, sie wurden Knechte zweiter Klasse auf der enteigneten Scholle und
hatten fürderhin zu kuschen und zu schuften, wenn ihnen das nackte
Leben lieb war. Ihre Kultur, ihre Sprache und ihre Traditionen wurden
regelrecht vaporisiert.
Vereinzelte Aufstände, die sich gelegentlich über einen längeren
Zeitraum behaupten konnten, wurden letztendlich niedergeschlagen.
Das Interessante an der Ostkolonisation war unter anderem der Umstand,
daß man dieses gewaltige gesellschaftliche Projekt von Seiten des
etablierten römischen Klerus in die damals ganz aktuelle Kreuzzugsideologie
einpaßte. Sowohl rund um das Heilige Grab als auch im kalten und
finsteren Norden Mitteleuropas lauerten die Heiden – und sie galt
es unter Kontrolle zu bringen.
Muselmänner, Stedinger, Albigenser oder Slawen – Hauptsache
sie verleugneten den christlichen Glauben der römisch – katholischen
Kirche und deren Protagonisten! Dann waren alle Bedingungen für einen
Kreuzzug gegen das gottlose Volk gegeben. Dann waren sie fällig!
Greuelpropaganda, die hie und da sicher auf einen wahren Kern zurückgriff,
den sie alsbald in puren und geballten Horror verwandelte, trieb ihre
ersten stinkenden Blüten.
Jeder hielt den Gegenüber für den leibhaftigen Satan und behandelte
ihn entsprechend. Ein in der Ausstellung, der der Artikel gewidmet ist,
gezeigter Totenschädel spricht für die gesamte Epoche. Ein Schwert
hatte ihn gespalten – von der Schläfe bis quer über die
ganze Stirn. Wieder einmal hatte Kain seinen Bruder Abel erschlagen.
Als der Spuk vorüber war, da war das Land nicht mehr dasselbe. Die
Gaue der Zirzipanen, Ruganer, Heveller, Spreewanen, Liutizen, Sorben und
wie sie alle hießen, waren nunmehr Marken des Heiligen Römischen
Reiches deutscher Nation. Die Landschaft hatte sich gewandelt. Riesige
Waldgebiete waren gerodet worden, Sümpfe trockengelegt, Dorfstellen
schossen wie Pilze aus dem Boden, florierten, gingen unter – je
nach Fähigkeit der Lokatoren, der Angesiedelten und der Grundherren,
je nach Boden und Wasservorkommen, je nach Geschick.
Die Wenden wurden „assimiliert“. „Auch so kann man ein
Volk umbringen“, sagte schon der große Pruzze Heinrich Gerlach.
All diese dramatischen Ereignisse fanden auf diesem unserem märkischen
Boden statt. Es berührt uns noch heute in unserem Herzen. Unser Redakteur
Herr Hübner wurde beispielsweise im Zisterzienserkloster Unserer
Lieben Frau am See zu Lehnin in der Mark geboren, dessen erster Abt Sibold
von wütenden wendischen Fischern in den 1180er Jahren bei dem Dorfe
Nahmitz erschlagen wurde. „Lehnin“ – das ist wendisch
und bedeutet „Hirschkuh“, wie denn im Polnischen „Jelenia“,
oder im Russischen „Oljenh“ noch heute „Hirsch“
bedeutet.
So war dieses Wild eventuell so etwas wie ein Totemtier der ansässigen
slawischen Bevölkerung. Markgraf Otto I. faßte diese Hirschkuh
programmatisch an die Geweihenden – und mit ihr alle, die ihr anhingen,
als er erklärte: „… ich werde an dieser Stelle eine Burg
bauen zur Bekämpfung des höllischen Feindes und seiner wendischen
Bundesgenossen durch fromme Mönche…!“ Die Burg war dann
das besagte Kloster, das sich zu einer der bedeutendsten Abteien östlich
der Elbe entwickeln sollte. Die Zeche bezahlte größtenteils
die slawische Urbevölkerung.
Was blieb, waren die Toten und die Orts- und Flurnamen und die Erinnerung
an das Grauen, die jedoch mit den Generationen verblaßte.
Gegen das Verblassen dieser Erinnerungen haben nun die neuen Herren der
alten Bischofsburg Ziesar ein Zeichen gesetzt. Die angegriffene Substanz
des geschichtsträchtigen Gemäuers, das in Jahrzehnten der mißbräuchlichen
Nutzung arg strapaziert worden war, wurde in einer Weise saniert, daß
der interessierte Besucher aus dem Staunen nicht mehr raus kommt! Mit
grandiosem architektonischen, archäologischen und bautechnischen
Geschick wurden die alten Gemächer der Burganlage so gestaltet, daß
so gut wie alle Bauepochen dargestellt werden, ohne sich zu überlagern,
zu beißen oder anderweitig zu stören. Wo moderne Elemente eingefügt
wurden, geschah dies so dezent, daß das Gesamtensemble zu einer
wunderbaren Synthese zusammenfand.
In diese Anlage hinein wurde die Dauerausstellung zur Geschichte des märkischen
Christentums und der christlichen Kolonisierung plaziert. Das äußerst
ansprechende und gelungene Konzept verzichtet weitestgehend auf dröge
Vitrinen, angefüllt mit endlosen Artefakten und umschweifigen Erklärungen.
Was es zu berichten gibt, wird auf im Raum verteilten Kuben erzählt,
die gleichzeitig Sitzgelegenheiten für die Besucher bieten. Immer
wieder schweift der Blick von den Wänden, die Stümpfe alter
Gewölberippen und vor Jahrhunderten vermauerte Türen freigeben,
hin zu den übersichtlich verteilten Exponaten und wieder zurück
auf die freigelegten, wundervollen spätmittelalterlichen Wandbemalungen.
Man verzichtete weise darauf, die Reste zu ergänzen und die ursprüngliche
Farbgebung aufzufrischen. Die Rekonstruktion des mittelalterlichen Gesamteindruckes
vervollständigt sich in den Augen der Betrachter. Was uns hier begegnet
ist eine museale Performance allererster Güte.
Die Texte selbst sind sicherlich aus christlicher Perspektive verfaßt.
Dennoch spürt man mit jeder Zeile das Bemühen um ausgewogene
und objektive Darstellung der Ereignisse, die unsere Heimat bis auf den
heutigen Tag so nachhaltig prägen.
Ein wenig vermissen wir eine fundierte Erklärung, warum sich die
Brandenburger Bischöfe für eine Residenz entschieden, die von
ihrem Dom und eigentlichen Sitz gut dreißig Kilometer entfernt lag.
Sicher, es wird angeführt, daß die strategische Lage der Burg
Ziesar an der alten Heerstraße zwischen Magdeburg und Brandenburg
eine bedeutende Rolle gespielt hat. Wir nannten diese Heerstraße
in unseren vorigen Artikeln des Öfteren die A2 des Mittelalters.
Doch kann das allein ein ausreichender Grund sein? Starke Befestigungsanlagen,
ja – aber die Insellage des Doms zu Brandenburg war auch nicht zu
verachten. Was also trieb die geistlichen Herren wirklich fort aus der
Dreistadt Brandenburg, die ihre Bischofskirche beherbergte und ihrer Diözese
den Namen gab?
Auch hätten wir uns eine detailliertere Beschäftigung mit unserem
großen Bischof Stephan Bodecker (1421-1459), dem sechsunddreißigsten
Chef des Brandenburger Episkopates gewünscht, der zu einer Zeit,
lange vor den berühmten Humanisten der Spätrenaissance, schon
durchaus humanistische Ansätze verfocht, die obligatorische Schulbildung
für Kinder der unteren sozialen Schichten einzuführen suchte
und auch sonst ein geistlicher Hirte von Format war.
Dennoch – unter dem Strich bleibt uns nur, den Besuch dieser heimatkundlich
äußerst wertvollen Ausstellung jedem wärmstens ans Herz
zu legen, dem die Geschichte des Landes, in dem er lebt, nicht gänzlich
egal ist.
Wenn man aus dem Museum heraustritt, so sollte man nicht versäumen,
auch der Kapelle des Bischofs Dietrich von Stechow einen Besuch abzustatten.
Ein paar Schritte nur den Burghof hinunter gen Westen – und man
wird durch die beeindruckendsten gotischen Wandmalereien belohnt, verborgen
hinter einem schönen Gemäuer der norddeutschen Backsteingotik.
Ein Baum Jesses, eine wundervolle und weithin berühmte Mandorla-
Madonna und filigranes, gemaltes Maßwerk schmücken den zweietagigen
Kirchenraum. Verläßt man die Kapelle, so erhebt sich über
dem südöstlichen Winkel des Burghofes der erhaltene Bergfried
– ein wuchtiger Donjon, gekrönt von einer steinernen Bischofsmütze.
Ist man nicht zu müde, sollte man ihn erklimmen. Ein großartiges
Panorama bis hinunter in die ersten Höhenzüge des Fläming
entschädigt reichhaltig für die Mühe des Aufstiegs.
Fünf Euro kassieren die Besitzer der Burg für das Kultur- und
Bildungserlebnis in ihren Mauern. Für viele Familien ist das eine
Menge Geld, zugegeben. Dennoch, gemessen an dem großen Aufwand,
der um die Wiederherstellung der bedeutenden mittelalterlichen Anlage
getrieben wurde, erscheint uns dieser Obolus moderat und akzeptabel.
Deshalb möchte der Preußische Landbote ruhigen Gewissens seinen
Lesern einen Ausflug nach der Burg Ziesar empfehlen. Sie ist leicht zu
finden. Grüßt doch der große Burgturm schon von weitem
die vorbeiziehenden Automobile auf der nahen Autobahn 2 zwischen Brandenburg
und Magdeburg. Wie in alten Zeiten…
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