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Napola
Ein deutscher Film über eine deutsche Vergangenheit

B. St. Fjøllfross
Ein Riese scheint zu erwachen. Ein Gigant, der darniederlag in beinahe jahrzehntelangem Schlaf - schwürigen Zwergen aus Amerika das Feld überlassend. Schwürig? Ja! So hätte Vater Telemann sich ausgedrückt. Diese Radaubrüder des Zelluloids, diese Actionhelden, deren ganz großes Trauma ihre eigenen Minderwertigkeitskomplexe sind - es ist zum. nein, reden wir nicht mehr darüber. Es lohnt nicht.
Aber ein Trauma, das haben auch wir Deutschen. Ein Trauma, das uns, die wir uns für unsere Geschichte verantwortlich fühlen, in Ewigkeit nicht verlassen wird: Die fürchterlichen Jahre der Naziherrschaft.
Und jetzt, nach mehr als einem halben Jahrhundert, beginnt der deutsche Film, sich reell und ohne verdammende oder schmeichelnde Wertigkeiten, sich diesen zwölf Jahren zu widmen, die uns aus der Gemeinschaft der Völker verstießen.
Nicht, daß es nicht schon früher Ansätze gegeben hätte, sich diesem Thema aufrichtig zu nähern: Ich erinnere an "Siebzehn Tage im Frühling" und an den "Werner Holt" der DEFA.
Jetzt aber, kurz nach dem "Untergang", der seine maßgebliche Prägung durch den epochalen Ifflandring-Träger Bruno Ganz erfuhr, legen die Deutschen nach: "Napola" - so heißt das jüngste Opus des Herrn Regisseur Gansel. Gemeint sind die nationalpolitischen Erziehungsanstalten des Dritten Reiches, Kaderschmieden für zukünftige hochrangige Funktionäre des Herrenmenschentums. Vierzig davon gab es auf dem Gebiet des Reiches. Hier wurden besonders begabte Hitlerjungens und solche, deren Väter schon zur Führungselite der Nazis zählten, darauf vorbereitet, der verbrecherischen Weltanschauung des Nationalsozialismus in allen Teilen des Reiches sowie in den zu erobernden Territorien mit eiskalter Brutalität Geltung zu verschaffen.
Für Landsleute, die in den westlichen Teilen Deutschlands nie etwas anderes als "Demokratie" kennenlernten, mag das ganze surreal anmuten. Sie werden kaum Beziehung zu dem Gezeigten aufzubauen in der Lage sein - es fehlt ihnen einfach an Erfahrungshintergrund. Diejenigen aber unter uns, die in der DDR groß wurden, die werden sich schon eher berührt fühlen - denn die Nähe zwischen den beiden Systemen, was ihre Art sich zu geben und zu entäußern anlangt, ist erschreckend. Wir kennen das alles, nicht wahr? Gut, nun gut, es hieß bei uns nicht HJ, sondern FDJ und GST, die Partei hieß nicht NSDAP, sondern SED, der Völkische Beobachter fand seine Entsprechung im Neuen Deutschland, die Gestapo nannte man Stasi, die Reihe ließ sich endlos weiter führen... Und alles, alles, jedes Fitzelchen gesellschaftstheoretischen Unterbaus war natürlich wissenschaftlich belegt und bewiesen, wer dem zu widersprechen trachtete, machte sich lächerlich, weil er "Naturgesetzen" widersprach. Die Ziele der beiden Gesellschaftssysteme unterschieden sich etwas zu lautstark voneinander, aber legte man eine Schablone über ihr Auftreten, so kam man an den auffälligen, bis zur Deckungsgleichheit reichenden Gemeinsamkeiten kaum vorbei. Ein alter Landser sagte mir einmal: Junge, weißt Du überhaupt, warum so viele in den Fuffzigern abgehauen sind? Weil sie begriffen hatten, daß es derselbe Scheißhaufen war. Nur die Fliegen, die da rumflogen, hatten über Nacht die Farbe gewechselt. Früher waren sie braun - auf einmal waren sie rot! Nun, das bezog sich wohl mehr auf die Menschen im Allgemeinen, statt auf die paar ewigen Wendehälse. Es bezog sich auf das System. Und das war in beiden Fällen unmenschlich.
Warum? Weil es dem Individuum generell die Existenzberechtigung absprach, es sei denn, es erklärte sich bereit, in der Gemeinschaft aufzugehen. Es hatte seine Interessen denen seines Volkes bedingungslos unterzuordnen. Die Interessen des Volkes aber wurden durch dessen angemaßte Führer formuliert. Für diese jedoch galt das alles nicht: Die Führer standen selbstredend über den Massen. Sie durften ungestraft anderen Gesetzen folgen - ihren eigenen nämlich. Wie ließ sich doch der fette Reichsluftmarschall Göring vernehmen: Wer Jude ist, bestimmen wir! Das sagt alles.
Hier wurde in aller Deutlichkeit das uralte Hegemonialprinzip der Menschheit brutal und ungeschminkt vorgetragen: Ich bin der große Zampano - und ihr alle seid nur die anonyme Masse, die meinen Befehlen zu gehorchen hat, ad majorem gloriam mei. Amen.
Zu solchen Kreaturen sollten nun diese Jugendlichen herangezüchtet werden - willenlose Vollstrecker des einen Führerwillens an exponierter Stelle, brutal, mitleidlos und hartherzig zu ihren Untergebenen, gnadenlos den Unterworfenen gegenüber. Kalte Kampfmaschinen, die ihr Privatleben, wenn sie es denn nach oben geschafft hatten, nach Herzenslust verhuren, versaufen, verfressen und nach Lust und Laune zum eigenen Vergnügen ein paar Untermenschen über den Haufen ballern - so wie die snobistischen englischen Gentlemen zu Zeiten der Kaiserin Victoria auf Safari und Trophäenjagd gingen; die einen jagten Tiere, die anderen Menschen.
Effektivität in der Verwaltung dieser Hölle auf Erden - das war die Aufgabe, auf die diese Ordensburgen hinarbeiteten.
Dabei wurden zutiefst menschliche Triebe genutzt, um formbare Jungens in diese Richtung zu lenken. Abenteuer, Mut, Geschicklichkeit, Gruppengefühl, Nibelungentreue - alles, was echte Burschen so richtig in Fahrt bringt. Hart wir Kruppstahl, zäh wie Leder, flink wie Windhunde.
Zum Film selbst: Ein Berliner Arbeiterjunge aus dem Wedding hat als Nachwuchsboxer auf sich aufmerksam gemacht. Ein feiner Kerl - will keinem was Böses, ist ein begnadeter Sportler und hätte eigentlich keine Chance, seinem Milieu zu entfliehen. Aber die Napola, diese Reichseliteschule, die würde ihm Möglichkeiten eröffnen, die einem Arbeiterjungen im Leben nicht zu Gebote stünden. Das ist seine Chance. Er, der von sich selbst etwas erwartet, der in seinem Leben weiter kommen will, diese Chance muß er nutzen! Friedrich heißt der Junge. Mit der Einstufung "1B" paßt er beinahe ideal ins Schema des nationalsozialistischen Rassenwahns. Und er bekommt seine Gelegenheit - die Zulassung zu einer der vierzig Superschulen.
Allenstein in Ostpreußen: Das Schloß, das vom Film vorgestellt wird, ist zwar nicht die echte Ordensburg des Deutschen Ordens in der vorgenannten Kreisstadt, dennoch aber eine sehr imposante Anlage. Hier, an diesem martialischen Ort ist die Nazikaderschmiede eingezogen - der Geist der alten Kampfmönche, die mit Feuer und Schwert den pruzzischen Lebensraum zum Deutschen Osten kolonisierten, soll in die Körper, aber vor allem in die Köpfe der Jungen fahren: Keine Gnade mit den Schwächeren, Vae Victim, hier regiert nur ein Wille - und das ist unserer!
Die Jungen werden in diesem alten Gemäuer soldatisch gedrillt, daß die Schwarte kracht. Sie werden zu Herrenmenschen geschmiedet. Vom Wirtschaftswunder aufgeweichte Seelen werden weinen. Nun, es geht auch für militärisch geschulte DDR-Zöglinge ungewöhnlich hart zu auf diesem Vorposten eines Kasernenhofs. Nur "Erichs Rote Teufel", die Fallschirmjägereinheit der DDR, wird sich ähnlicher Ausbildungsmethoden erinnern können. Menschliche Regungen wie Mitgefühl und Verständnis für den Schwächeren werden den Eleven unbarmherzig ausgetrieben. Wer versagt, ist unten durch. Man will dem Einzelnen nicht helfen mitzukommen, man will selektieren. Nur die Härtesten sind geeignet, größere Massen Menschenvieh zu dirigieren, bzw. nach Gusto auszumerzen.
Doch Menschen sind nicht so einfach in das von den Nazis mit großer Tücke mißbrauchte Darwinsche Modell der Evolutionstheorie einzufügen. Echte, nicht pathologisch verformte Menschen - manchmal auch solche, die zur Herrenrasse auserkoren sind - bleiben Rudelwesen, befähigt und ausgerichtet auf Gefühle wie Liebe, Mitgefühl und Solidarität mit Schwächeren - wahre Wölfe eben.
Doch das haben die Nazis nicht begriffen. Oder sie wollten es nicht begreifen. Nur die Härtesten sollten durchkommen - um den krakeelenden Anstreichern, den fettleibigen Morphinisten, verkrachten Dorfschullehrern und klumpfüßigen Hetzrednern ein möglichst angenehmes Dasein zu sichern.
Dafür stahlen die Lumpen in der Führungsclique Heranwachsenden schon von Kindesbeinen an die Jugend. Sie maßten sich an zu entscheiden, was als wertvoll zu gelten hatte und was nicht.
Diese Verbrecher zu durchschauen aber war wohl den wenigsten Jugendlichen gegeben. Die unerfahrene Jugend ist noch immer am leichtesten verführbar. Sie, die kaum etwas fundiert zu hinterfragen in der Lage ist, undifferenzierten Parolen zu folgen gewillt - leichtgläubig, verführbar - Menschenmaterial eben.
Und so begleiten wir diesen Jungen Friedrich auf einem Weg, der ihn letztendlich zu sich selbst zurückführt. Es ist den braunen Schurken nicht gelungen, diese grundehrliche Natur auf Dauer zu verformen oder auf Abwege zu führen. Die dem Burschen innewohnende Integrität behielt nach den erschütternden Vorfällen die Oberhand. Und hier zeigt sich die unbeugsame Geradlinigkeit eines deutschen Charakters, von dem die Nazis träumten. Sie brauchten ihn nicht zusammenzukneten - er war schon da! Nur, daß er sich vom Grundbösen abwandte, weg von den Strolchen in der braunen Uniform. Hin zur Menschlichkeit. Das war die schlimmste Niederlage für sie. Das ist die schlimmste Niederlage für jede heilsverkündende Diktatur. Die Menschen durchschauen das elende Gaukelwerk und kehren sich ab - weil es ihnen wichtiger ist, Mensch zu bleiben.
Möglich, daß ich nicht die stumpfe Masse beschreibe. Aber die paar, die sich aufraffen und verweigern, die paar bringen das Boot am Ende zum Kentern. Sie sind das Zünglein an der Waage. Zumindest möchte man das hoffen, solange man den Glauben an das Gute im Menschen nicht zur Gänze verloren hat. Ein winziger Knacks nur im Getriebe der so perfekt scheinenden Maschinerie des Bösen - aber er erweist sich schlußendlich als ausschlaggebend.
Ich konnte unter den Mimen keinen "bekannten" Namen im Abspann entdecken. Aber das spielt auch keine Rolle. Vielleicht war gerade dieser Umstand der Sache sogar noch förderlich. Denn die das spielten, waren weiß Gott großartige Schauspieler - durch die Bank weg. Die Regieführung war exzellent. Die Handlung, na ja, die war eventuell etwas dürftig - aber mehr war in dem Zeitrahmen sicher auch nicht unterzubringen. Der Aussage des Streifens hat es jedenfalls nicht geschadet.
Und die Macher haben eine weitere wichtige Botschaft vermittelt: der ernstzunehmende deutsche Film scheint erwacht zu sein aus seinem langen, langen Schlaf. Zumindest hier zeigt sich ein Silberstreifen über dem deutschen Horizont. Ein Anfang.
So betroffen der Film macht, dieser Neubeginn stimmt froh. Deutschland ist noch nicht in Dümmlichkeit ersoffen.



B 2. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2004