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K. K. Bajun
Die Stadt Brandenburg an der Havel
scheint erwachen zu wollen. Gesegnet mit einer bezaubernden, man möchte
sagen, einmalig schönen Lage, durchzogen von der sich vielfach teilenden
Havel, umgeben von Wiesen und Wäldern, fehlte dieser Perle unter
den märkischen Städten nichts als die entsprechende Zuwendung
ihrer Bürger. Die aber fehlte lange und gründlich. Was ein natürlicher
Tourismusmagnet hätte sein können, verkam zu einer großflächig
tristen und dem Verfall zugewandten Kleinstadt, deren Obrigkeit zwar jahrzehntelang
die Schönheit von Stadt und Landschaft im Munde führte –
und wie man diesen glücklichen Umstand zum Wohl der Brandenburger
nutzen müsse – ansonsten jedoch wenig auf die Beine bekam.
Kleinstädtischer Filz, Restriktionen von oben, Ideenlosigkeit, mangelnder
Mut zum Risiko – es war zum Heulen: Brandenburg sackte immer tiefer
ab, die Autobahn zog mit Recht an ihr vorbei und selbst die Havel überlegte,
wie sie einen Bogen um die Chur -und Hauptstadt mäandern könne,
die ihre Vorzüge so schnöde verwarf.
Doch nun beginnt sich – Gott sei’s gepfiffen und getrommelt
– das Blatt zu wenden: Einige Brandenburger (und darunter einige
der Stadt erst später Zugezogene) beginnen in Eigeninitiative, kleine
Attraktionen an den offiziellen Bemühungen vorbei zu etablieren,
die dem Ruf der gequälten Schönheit peu a peu ein neues, erfreulicheres
Antlitz geben werden. Wer immer in Zukunft die Stadt um der reizvollen
Umgebung willen zu besuchen trachtet, wird eine erstaunliche Erweiterung
des musealen Angebotes wahrnehmen, das über die Räumlichkeiten
des ehemaligen Stadtmuseums weit hinausreicht.
Einer dieser Pioniere ist der gebürtige Nauener Dirk Weinreich. Ein
Drahteselenthusiast von Kindesbeinen an, hat er sein Hobby zum Beruf gemacht:
Wessen Veloziped krankt, der mag es getrost Herrn Weinreichs Kunst anvertrauen
– gerade in der Brandenburger Umgebung, die für Radtouren wie
geschaffen scheint, ist diese Tätigkeit von hohem Wert. Sind doch
viele Radwege der Stadt und des Umlandes in einem Zustand, der eher nach
Ballonreifen und Federgabeln brüllt und die Radler an die Rallye
Paris-Dakar gemahnt.
Aber wer von uns weiß eigentlich noch, wie Ballonreifen aussehen?
Hatte Urgroßmutters Excelsior nicht welche unter der Karbidlampe?
Diese Frage könnte Herr Weinreich beantworten: Ein paar Häuser
neben seiner beruflichen Wirkungsstätte, in der Kurstraße 71
der Brandenburger Neustadt, befindet sich das von seinen drei Mitstreitern
Frank Buchholz, Christian Pallentin und Jens Weinreich und ihm ins Leben
gerufene kleine Hinterhofmuseum „Olle und Dolle Räder“.
Zwei Räume vorerst noch, nicht groß – aber oho! Wir „Landboten“
waren da und wir schauten und guckten und „ah“ und „oh“
und „sieh mal, da!“ und die Zeit verrann in Windeseile, ohne
daß uns das Gefühl ankam, wir hätten alles gesehen.
Da steckt viel Liebe in der Exposition, Sammlergeist und Kenntnis. Da
begegnen uns ein echtes Hochrad zum Anfassen, ein Diamant-Rennrad der
Siebziger – unser Chef hatte feuchte Augen, hing doch sein Jugendtraum
über seiner Nase – ein Kinderrennrad, ein Bahnrennrad, die
Originalmaschine des Rennfahrers Rudi Kirchhof, ein altes Wehrmachtsrad
mit Anhänger, wunderschöne alte Räder aus der ersten Hälfte
des letzten Jahrhunderts mit blank polierten Karbidlampen, ein amerikanischer
Drahtesel extravaganter Formgebung mit elektrischer Hupe, viele Accessoires
rund ums Velo, Siegerpokale und Trikots, Originalrechnungen der Brandenburger
Fahrradfabriken (denn Brandenburg war einmal eine weltweit führende
Hochburg der Drahteselproduktion) - ein... ach was, schauen Sie doch selbst!
Ich werde doch nicht alles verraten.
Haben Sie sich mal gefragt, wieviel Uroma für ihren ganzen Stolz
auf zwei Rädern einst bezahlt hat? Wie lange hat sie dafür ihre
paar Groschen in den Sparstrumpf stecken müssen? Und wie muß
sie gestrahlt haben, als ihr der Fahrradhändler das blitzblanke Schmuckstück
vor den Laden schob und in die Hand drückte! Können wir verwöhnten
Konsumenten das heute überhaupt noch ermessen? Der Junge braucht
ein neues (!) Fahrrad. Ruckzuck ruft die Oma beim Versandhaus an, ja,
das rot-schwarze auf Seite 1066 rechts oben,... übermorgen mittag?
Ist gut, bin ich zuhause!“
Nein, in dieser kleinen Museumswelt schlägt uns ein anderer Atem
entgegen. Hier lernt man wieder Ehrfurcht vor dem treuen Begleiter Fahrrad
empfinden, hier beginnt man zu verstehen, wie schön es sein kann,
Pedale tretend an einer Tankstelle vorbeizugleiten, und für die preislichen
Unverschämtheiten der Ölmultis nur ein müdes Lächeln
aufzubringen; wie schön es sein kann, betulich mit 18km/h am Ufer
eines Flusses oder durch einen Wald zu zuckeln. Man sieht etwas, man riecht
die frische Luft – Staus? Schnee von gestern! Lassen Sie sich anstecken:
Die Ausstellung der vier Drahtesel-Begeisterten ist der Transmissionsriemen
zu diesem schönen Lebensgefühl.
Geschickt sind die Exponate angeordnet. Der Blick ermüdet nicht –
und wer das Glück hat, vom Hausherrn persönlich geführt
zu werden, bekommt noch viele lohnenswerte Details mit auf den Weg. Die
kleinen Anekdoten rund um die verschiedenen Stahlrösser, deren jedes
eine eigene Geschichte – man möchte behaupten – eine
eigene Seele hat, an die zu erinnern sich lohnt.
Bei all der Liebe und Hingabe, die die vier ihrem kleinen Museum widmen,
das sogar schon Besucher aus Übersee begrüßen durfte,
wird es nicht ausbleiben, daß es irgendwann seine Räumlichkeiten
erweitern wird. Denn einer wie dieser, mit 36 Jahren junge Museumsdirektor,
kann nicht aufhören.
Und wir? Wir können dankbar sein für solche Menschen in unserer
Mitte, die uns uneigennützig und unermüdlich und mit der ihnen
eigenen Begeisterung Kulturschätze erhalten und zugänglich machen.
Daher wünschen wir dem Seniorenheim für „olle und dolle“
Räder allen erdenklichen Erfolg für die Zukunft und stetig steigende
Besucherzahlen.
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