zurück
zur Stammseite "BÜCHER"
|
Der Eisenbahnkönig
Bethel Henry Strousberg
eine preußische Gründerkarriere
von Herrn Manfred Ohlsen
S. M. Druckepennig
„Die Börse wird jetzt
Staat und Gesellschaft einrichten, nach ihrer Facon und nach dem Motto
des Jahres 1872: Ein ehrlicher Mann ist ein Trottel, der arbeiten muß,
weil er zum Stehlen, ohne mit dem Gesetz in Konflikt zu geraten, zu dumm
ist.“
Berliner Börsenzeitung, Nr.84 vom 19.Februar 1875
Im Jahre 1987, die DDR
lavierte für geschulte Augen längst sichtbar am Rande des Staatsbanquerotts,
erschien im Ost-Berliner Verlag der Nation eine bemerkenswerte Biographie.
Der DDR-Historiker Manfred Ohlsen, zum damaligen Zeitpunkt stellvertretender
Generaldirektor der Staatlichen Museen Berlin, legte dem interessierten
Publikum eine Lebensbeschreibung des preußischen Eisenbahnkönigs
Dr. Bethel Henry Strousberg vor.
Der zeitliche Abstand zu dieser wahrhaft schillernden Figur der deutschen
Wirtschaftsgeschichte betrug gerade mal ein Jahrhundert.
Es ist dieser Umstand, der dem Buch eine besondere Note verleiht. Sachlich,
ausgezeichnet recherchiert und gleichzeitig fesselnd geschrieben, führt
uns die Lektüre in die kapitalistische Frühzeit Deutschlands
ein, die im Gründerrausch der Anfangssiebziger der neunzehnten Jahrhunderts
ihren Kulminationspunkt fand.
Wenn man nun dessen eingedenk ist, daß die Beschäftigung mit
der Geschichte immer wieder Fingerzeige auf die Gegenwart und ihre wahrscheinlichen
Tendenzen in Richtung Zukunft liefert, so findet sich zwischen den Zeilen
von Herrn Ohlsens Buch gleichsam ein recht zeitiger Abgesang auf die Nationalökonomie
der DDR.
Natürlich wird es offiziell so nicht gemeint gewesen sein. Anderenfalls
wäre es undenkbar gewesen, daß die Biographie die Zensur der
DDR unbeschadet überstanden hätte.
Dennoch! Der nüchterne, von allen üblichen Phrasen der marxistisch-leninistischen
Geschichtsschreibung wohltuend freigehaltene Text fällt auf. Vergleicht
man ihn mit der berühmt-berüchtigten Biographie Friedrichs des
Großen von Frau Ingrid Mittenzwei, die übrigens im selben Jahre
vom VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften editiert wurde, so erkennt
man einen deutlicher Schritt hin zur Emanzipation von entsprechenden sozialistischen
Vorgaben und Standards.
Nun gut, auch Herr Ohlsen kam nicht drum herum, Marx und Engels ein bis
zweimal zu zitieren bzw. ins Spiel zu bringen. Der parallelen Beleuchtung
der Situation der ausgebeuteten plebejischen, respektive der Mittelstandsklasse
mußte entsprechend Raum gegeben werden. Doch der Stellenwert solcher
Betrachtungen wurde weit nach hinten geschoben.
Hier begegnet uns eine Einführung in die internen Verquickungen des
Großkapitals.
Das eigentlich Revolutionäre an Herrn Ohlsens Buch ist mithin ein
völliger Paradigmenwechsel: Ging die sozialistische Geschichtswissenschaft
noch immer von dem Dogma aus, daß nur Volksmassen Geschichte machten,
so stutzt Herr Ohlsen diesen Standpunkt aufs Normalmaß zurück.
Bis auf revolutionäre Umstürze und Barrikadenkämpfe nämlich,
die die einzige Bestätigung der sozialistischen Theorie zu bringen
in der Lage sind, spielen die Volksmassen lediglich eine Statistenrolle
im Kampf der Giganten. Einzelne Persönlichkeiten prägen mit
Geist, Geld und Fortune ihre Epoche. Und diese Persönlichkeiten werden
in aller Regel auch von zutiefst persönlichen Motiven getrieben.
Nichts verläuft den Gesetzen des Marx’schen Regelwerkes entsprechend.
Das Chaos der Entscheidungen scheint dem großen Theoretiker des
Weltsozialismus und seinen Postulaten Hohn zu sprechen. Denn nicht klassenbewußte
Proletarier bestimmen den Lauf der Dinge, sondern eine ins monströse
ausgewachsene Kindergartendynamik zwischen einzelnen Magnaten der Wirtschaft.
Die Volksmassen und Kleinanleger versuchen bestenfalls, auf den fahrenden
Zug aufzuspringen und von den Aktionen der „Großen“
im Kleinen zu profitieren. Man kann sich das vorstellen, wie eine Schar
Putzerfische, die sich von Parasiten nähren, die den Walen anhaften.
Selten wurde ein solcher Schwarm dabei beobachtet, daß er es vermocht
hätte, einen großen Fisch zu „hetzen“. Diese simple
und doch alle Prozesse der Weltgeschichte determinierende Wahrheit durchklingen
zu lassen, können wir als ein Verdienst Herrn Ohlsens bezeichnen.
Wir erleben im Fortgang der Lektüre einen Protagonisten, der aus
mittelständischen Verhältnissen stammend, nichts unversucht
läßt, sich seinem privaten Ziel von Reichtum und Unabhängigkeit
zu nähern. Dr.Strousberg baute zielstrebig, mit großer Kreativität
und noch größerem Fleiß begabt, ein Wirtschaftsimperium
auf, das im damaligen Deutschland seines gleichen suchte. Der entscheidende
Schönheitsfehler dieser Entwicklung lag darin, daß alles neue
nur immer auf der Basis von Krediten, Krediten und nochmals Krediten entstand.
Schon hier wetterleuchtet uns die fatale Haltung der Apologeten der modernen
westdeutschen Wirtschaftsphilosophie.
„Reichtum ist: die Ersparnisse vieler in den Händen eines Einzelnen!“
Nach dieser Maxime nutzte Dr.Strousberg das sich gerade etablierende Aktienwesen,
mischte dieses mit Schuldverschreibungen, Wechseln und ähnlichen
Kapital-Transaktionen und schuf mit diesen vielfältig undurchsichtigen
Verflechtungen ein Gebilde, das zu einem großen Teil von –
wir würden heute sagen: virtuellem Kapital gedeckt wurde –
also überhaupt nicht! Aktien bekamen Nominalwerte, die sie selbst
am Tag ihrer Börseneinführung nicht erreichten. Betrogen waren
regelmäßig diejenigen, die in der Hoffnung auf das schnelle
und leichtverdiente Geld ihre reelle Habe bei den Emissionen der neu auf
den Markt geworfenen Anteilsscheine in wertloses Papier umwandelten.
Dieses unselige Gebaren nun begann sich zu Beginn der achtzehnhundertsiebziger
Jahre rasend schnell zu verbreiten. Es war die Ära, die wir heute
als Gründerzeit verklären. Doch viele, viele dieser Gründungen
waren lediglich Scheingründungen, nur zu dem Zweck betrieben, Kleinanleger
in Massen zu locken und zu neppen. Ungezählte bis dahin solide Firmen
fanden unter den Hammerschlägen dieser wirtschaftlichen „Innovation“
schnell ihr Ende. Einer der maßgeblichen Miterfinder dieses Systems
war besagter Dr.Strousberg.
Doch die Milchmädchenrechnung lautet ewig anders: Kredit ist gepumptes
Geld, muß mit Zinsen zurückgezahlt werden; Zins bedingt Zinseszins
usw. und all das – wenn es denn keine reale Wertentsprechung hat,
bedeutet immer, mit Optionen auf die Zukunft zu handeln. Die Zukunft aber
ist ungewiß – nicht wägbar! Roulette, Hazard, Black Jack
– etwas komplizierter verpackt, der Einsatz war das Schicksal von
Millionen Menschen.
Schließlich brach das „System Strousberg“ zusammen.
Gleich mehrmals, doch Strousberg selbst gab sich Mühe, sich immer
wieder zu rappeln. Als dann die Gründerzeit durch den legendären
Gründerkrach im Herbst 1873 abrupt beendet wurde, traf diese schwere
Krise auch diesen eminenten Motor der deutschen Wirtschaft. Strousberg
stürzte ins Bodenlose.
Der Fall des Bethel Henry Strousberg markiert den damals größten
Zusammenbruch der deutschen Wirtschaftsgeschichte.
Hätte er das Spiel „Monopoly©“ gekannt, er hätte
die Grundzüge des von ihm vertretenen Raubtierkapitalismus billig
studieren können, die da unter anderem lauten:
• Dauerhaftes Glück ist nur wenigen vergönnt.
• Ehe der Fette dünn ist, ist der Dünne verhungert.
• Einer Masse an Verpflichtungen und Verbindlichkeiten sollte immer
eine vielfach größere Masse an Substanz und Aktiva gegenüberstehen.
• Ungedeckte Wechsel auf die Zukunft auszustellen, bedeutet beinahe
immer, den Kopf in die Schlinge zu stecken. Denn erstens kommt es anders
und zweitens, als man denkt! (Brecht)
Warum, so mag sich der
ein oder andere unserer verehrten Leser fragen, wird ein solches Buch,
das ohnehin nur noch antiquarisch zu haben sein wird, erst jetzt, siebzehn
Jahre nach seinem Erscheinen besprochen? Nun, die Antwort ist simpel:
Ein gutes Buch sollte immer die Augen für die Gegenwart öffnen.
Gerade die heutige Zeit verlangt nach derart offenen Augen. Wieder künden
spektakuläre Wirtschaftsprozesse von sich schamlos bereichernden
Managern und einem gleichzeitigen, eklatanten Abbau von Arbeitsplätzen
in den betroffenen Unternehmen.
Längst tobt wieder eine schwere Krise über Deutschland. Und
all ihre Vorboten waren dieselben, wie einhundertundzwanzig Jahre früher.
Hatte nicht auch hier der Neue Markt gekracht und Millionen Kleinanlegern
den Ruin beschert? Gerät nicht täglich der DAX unter Druck und
beschert nur denen zuverlässig Gewinne, die auf Baisse setzen? Wieviele
Leute haben ihre Altersvorsorge drangegeben und gar Kredite aufgenommen
um Aktienpakete zu erwerben, die binnen kurzem nichts mehr wert waren?
Dieses Geld wurde der Wirtschaft direkt und indirekt entzogen. Die Binnennachfrage
als Indikator der Binnenwirtschaft fiel enorm. Das Staatssteueraufkommen
wurde gleich mit in die Tiefe gerissen. Das Fundament für die nächste
Inflation war gelegt. Alles funktionierte nach denselben Prinzipien wie
zu Strousbergs Zeit.
Es kann ja auch nicht anders sein. Denn die Regeln des Marktes, gekoppelt
mit der menschlichen Dummheit und Kurzsichtigkeit folgen einer sehr wohl
bekannten Mechanik.
Diese Erkenntnisse machen ein scheinbar marginales Buch wie diese Biographie,
die man gewöhnlich nur dem Interesse weniger Insider zubilligt, so
wichtig, verleihen ihm eine solche Bedeutung. Man sieht in einer phrasenbestückten
und verheuchelten Welt wie der Unsrigen, weitaus klarer, wenn man sie
durch ein solches Werk wie das von Herrn Ohlsen betrachtet.
Ob allerdings daraus Möglichkeiten zur Veränderung erwachsen,
das halten wir für sehr fraglich.
Manfred Ohlsen
Der Eisenbahnkönig Bethel Henry Strousberg –
eine preußische Gründerkarriere
Verlag der Nation
Berlin 1987
ISBN 3-373-00003-3
|