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Das
Fischkonzert
von Herrn Halldor Laxness
Behalte einen klaren
Verstand und ein reines Herz! Mißtraue dem Schnaps und großen
Worten!
K. K. Bajun
Der letzte Artikel des Jahres 2004
soll es werden. Und dieses zweite Jahr des Landboten soll von einem besonderen
Buch beschlossen werden – und von einem besonderen Autor. Ihm, dem
würdigen Nachfolger der großen isländischen Barden, dem
Mann, der in seinen Werken die unerhörte Wucht altnordischer Sagas
erneut zum klingen brachte – und das mit leiser und angenehmer Stimme
– Halldor Laxness, der Nobelpreisträger vom nördlichen
Polarkreis.
Es gibt solche und solche Nobelpreisträger. Solche, deren Werke wir
nicht verstehen und somit zu beurteilen uns nicht erkühnen dürfen.
Solche, die um ihres kämpferischen Mutes willen geadelt wurden und
solche, die wirklich Großes schufen und sich damit einen Platz im
literarischen Gedächtnis der Menschheit errangen. Günther Grass
ist so einer, und vielleicht auch der später von den Nazis leider
so verblendete Knut Hamsun.
Doch dieser hier, der Sohn Snorri Sturlsons und Arne Saknussems, der Sohn
der rauhen Insel im Nordatlantik, dieser hier ist besonders! Der Nobelpreis
ziert ihn nicht – der Nobelpreis für Literatur erhält
seinen Glanz durch Halldor Laxness.
„Das Fischkonzert“, neben der „Islandglocke“ und
„Am Gletscher“ wohl sein bekanntestes Buch, gehört zu
den ganz großen Werken der Menschlichkeit. Martin Anderson Nexö
schuf mit seinem „Pelle der Eroberer“ ähnliches, verlor
aber im zweiten Teil dieses Opus an Atem und versandete.
Nicht so „Das Fischkonzert“. Gerade der Schlußakkord,
so sanft und zart angeschlagen, dröhnt wie die letzte verhallende
Note der großen Toccata und Fuga in d-moll des Meisters durch eine
norddeutsche Hallenkirche. Hier greift ein Schreibender nach der menschlichen
Seele. Und wessen Seele darauf keine Antwort weiß, die mag sich
zu den Verlorenen zählen, die dahingaukeln und schaukeln im Ozean
der Ewigkeit.
Eine Sprache wendet ihre Worte an uns, die sich wie warmer Regen über
eine Wüste ergießen und in wenigen Stunden die zauberhafteste
Blütenpracht zum leuchten, strahlen, funkeln bringen.
Ja, dieses Buch hat seinen Platz eingenommen im Pantheon der ganz großen
Werke der Menschheit. Gilgamesch, Ilias, Odyssee, Tristan und Isolde,
Die Nibelungen oder die Artussage, der Faust und viele Werke, die unter
dem Namen Shakespeares publiziert wurden, schmücken als Vertreter
der abendländischen Hochliteratur diese unsichtbaren Hallen. Doch
weiter hinten, im Allerheiligsten, gleich neben dem „Parzival“
des Herrn Wolfram von Eschenbach und dem schelmisch zwinkernden „Ahasver“
des Herrn Stefan Heym, da leuchtet dieser Stern, der so ganz anders von
den Beziehungen der Menschen untereinander, von der Liebe und dem Leben
singt.
Drei Menschen auf der sturmumtosten Insel Island im Nordatlantik sind
die Hauptprotagonisten: der Erzähler Alfgrimur Hansson, seine Großmutter
und der Großvater.
Sie sind einander nicht verwandt – auf diesen besonderen Punkt achte
man mit ehrfürchtigem Staunen – und dennoch ist das Band ihrer
Liebe so präsent, so gewaltig, daß die alten Nordland-Sagas,
wie die von den Völsungen beispielsweise, die von Sippentreue künden
und solcher, welche auf Schwüren und Eiden besteht, verblassen wie
die Frühsonne im Morgendunst. Leise und zart bringt Herr Laxness
diese gewaltigen Trossen zum Klingen, ein Hohn auf die finsteren, ihre
Dumpfheit in die gequälte Welt hinaus grölenden Heroen des Arno
Breker, welcher mit seinen braunen Spießgesellen den Norden vor
den Augen der Welt diskreditierte.
Der alte Björn vom Brekkukot, einem kleinen, einer untergegangenen
Epoche zugehörigen zweigiebligen Grassodenhof vor den Toren Reykjaviks,
lebt mit einer Frau zusammen, die der Erzähler nie anders denn seine
Großmutter nennen wird. Kein Sakrament einer Ehe stört diese
jahrzehntelange Beziehung zweier einfacher alter Leute, die das Christentum
im Herzen, nicht auf der Zunge führen. Und obwohl sie sich beide
einem wortlosen, pragmatisch zu nennenden Christentum verschrieben haben,
bar jeden Rituals, leuchten uns aus diesen beiden Figuren die alten Götter
hervor, die Urmutter und das liebevolle Antlitz des Schöpfers dieser
Welt.
So ärmlich ihr Hof auch immer erscheint, so ist er doch der Anlaufpunkt
für viele Menschen, die auf der Durchreise sind. Menschen, die durchaus
längere Zeit verweilen. Geld? Niemand fragt danach. Sie werden beherbergt,
so lange sie eben eines Daches über dem Kopf bedürfen. Und so
kommt der kleine Alfgrimur nach Brekkukot. Eine junge, hochschwangere
Frau auf dem Weg nach Amerika gebar ihn dort, während sie auf die
Passage wartete. Sie gab ihm den Namen Alfur, die Großmutter setzte
den Namen Grimur hinzu, die Frau fuhr ab – der Junge blieb. Wie
selbstverständlich. Die Großeltern nahmen sich seiner an. Sie
zogen dieses völlig fremde Kind auf, als sei es ihr eigenes, und
es gab nicht einmal den Ansatz einer Frage nach der Bedeutung der Verwandtschaft
des Blutes.
Mußte der Herr Seinen Sohn Jesus Christus ans Kreuz geben, damit
diese beiden Menschen Sein Werk in ihrem Tun und Treiben rechtfertigten?
Sicher nicht. Diese beiden waren so wie sie waren. Sie waren zwei Leuchttürme,
zwei eherne Felsen inmitten des weltumspannenden, giftig brüllenden
Ozeans der menschlichen Dummheit, der Gier, der Habsucht, des Geizes,
des Neides und des engstirnigen Vorurteils.
Um diesen Dreistern herum sind die anderen Figuren gruppiert: der alte
Hafenmeister, der die Toilette am Hafen wartet, der Kaufmann Gudmundsen
als Vertreter der neuen, über Island anbrechenden Zeit des kühl
rechnenden Merkantilismus, dessen Tochter, der uralte Pfarrer Johann,
die alte, blinde und beinahe taube Kristin im Küsterhaus und vor
allem, ja vor allem Kristins Sohn – der Sänger Gardar Holm,
der seinem wahren Namen Gorgur Hansson nach wohl ebenfalls ein Findelkind
gewesen war, ausgesetzt von einer Frau, die nach Jütland auswanderte,
aufgezogen von der alten Kristin. Dieser Mann ist die wohl tragischste
Gestalt dieses Buches. Ein verführendes Vor- und Spiegelbild des
heranwachsenden Alfgrimur. Ein junger Mensch, der als Ladenschwengel im
Gudmundsenladen seine sowohl erstaunliche als auch nebulöse Karriere
als „Weltopernstar“ und international gefeierter Meister des
reinen Gesangs begann, dann aber an sich selbst und seiner unwürdigen
Rolle als ausgehaltenes Reklameschild dieses aufstrebenden Unternehmens
zugrunde ging, und schließlich unter der Fassade des Nicht-Seienden
zusammenbrach. Um diesen Gardar Holm herum hatte der Kaufmann Gudmundsen
ein Potemkinsches Dorf errichtet. Die Fassaden dieses Trugbildes gaukelten
den Isländern vor, daß Holm ebenjener Tenor sei, der auf den
großen Bühnen der Welt gefeiert wurde. „Seht her, dieses
Talent entsprang unserem Geschäft, von uns wurde er protegiert, von
uns gefördert, er ist einer der Unsrigen und seine Kunst ist unser
Beitrag zur nationalen Kultur.“ Das war des Kaufmanns geschäftsfördernde
Botschaft. Holm hatte dieser Lüge mit seiner Person zu dienen. Singen
konnte er nicht einmal die Tonleiter. Doch was tat das? War er fort, dann
war er für die Isländer in Paris, Mailand und New York. Zuhause
feierte man ihn – und natürlich den Schirmherrn des großen
Sohnes der Insel – den tüchtigen Kaufmann Gudmundsen. Doch
irgendwann platzt jede Lüge. Je mehr man sie aufblies, desto fürchterlicher
wird hernach der Knall…
Den verwinkelten Lebenspfaden dieses Gardar Holm stellt Herr Laxness die
unbeirrbare Gradlinigkeit des Großvaters gegenüber, das Vorgeben
eines schönen Scheins findet in der ehrlichen Auseinandersetzung
mit dem Bestehenden seinen Kontrapunkt. Die unbedingte Integrität
dieser alten Welt ist es, die den suchenden Alfgrimur mit unsichtbarer
aber starker Hand schützt, vor den Fallstricken und Verirrungen des
Lebens. Wer im Herzen anständig ist, dem kann die Bosheit der anderen
auf Dauer wenig anhaben.
Und so begleitet das Buch wie eine Autobiographie den heranwachsenden
Alfgrimur durch seine Kindheit und Jugend bis zu dem Tag, da er Island
verläßt, um etwas zu lernen im Ausland. Immer und immer wieder
stemmt sich die Reinheit, das urwüchsig Gute den verlockenden und
versuchenden Sirenentönen der Lüge, den falschen Versprechungen
einer verlogenen Welt entgegen und obsiegt zum Schluß. Während
der Trug heimkehrt nach den Jahren der Verirrung, um zugrunde zu gehen
an seinem Ausgangspunkt, strebt das Wahre und Gute hinaus in die Welt.
Seine Wurzel in Island zwar wird gerodet, der Brekkukot als gleichsam
magische Quelle dieses Guten verschwindet mit der Abreise Alfgrimurs.
Das Drehkreuz, das den „kleinen Hof am Hang“ von der anderen
Welt trennt, von der Welt des Merkantilismus, der verlogenen und gewinnsüchtigen
Reklame, dieses Drehkreuz und der dahinter liegende Brekkukot müssen
einem Neubau des Kaufmanns Gudmundsen weichen. Doch die Saat dieses Hofes
wird nicht untergepflügt oder überbaut. Sie ruht im Herzen Alfgrimurs
und findet durch ihn Verbreitung und einen Neuanfang. Selbst das Angebot
Gudmundsens, dem Studenten Alfgrimur Hansson fünf Jahre lang ein
Auslandsstipendium zu gewähren, um somit die Kontinuität der
verlogenen Welt, das Scheitern des Gardar Holm aufrechtzuerhalten, wird
zurückgewiesen. Wie in der christlichen Mythologie der Pelikan sein
eigenes Fleisch, sein eigenes Herzblut gibt, um seine Jungen zu atzen,
so gibt sich auch der Brekkukot in seinem letzten Atemzuge dahin, anerkennend,
daß er diesen einen Kampf auf den Feldern vor Reykjavik verloren
hat, um am Ende die Schlacht auf den Feldern von Armageddon (oder auf
dem Wigridfelde?!) zu gewinnen. Die Korruption als letzter Versuch des
Schlechten, das Gute und Reine in seine Tiefen zu ziehen, mißlingt.
Die Integrität des Grals, dessen Heimstatt wir eher im Brekkukot
denn in Montsalväsch vermuten dürfen, bleibt unangetastet, unbefleckt
und souverän.
Eine weitere Grundbedeutung des Buches und seinen Wert glauben wir in
einem Gespräch zu finden, welches der als ebenfalls gute und gerade
Persönlichkeit angelegte Hafenmeister mit Alfgrimur führt. Es
heißt da: „…in den Sagas wird ein Unterschied zwischen
Menschen und Ereignissen gemacht. Dort gibt es Helden und kleine Leute.
Dort gibt es große Ereignisse und Kleinkram. Oder besser gesagt,
kleine Leute und Kleinkram dürfen in den Sagas eigentlich gar nicht
vorkommen. Mich hingegen hat das Leben gelehrt, keinen Unterschied zu
machen zwischen einem Helden und einem kleinen Mann, zwischen großen
Ereignissen und Kleinkram…“
Und doch erhebt sich das Thema des Fischkonzerts himmelweit über
die banalen und immer wiederkehrenden Sujets der alten Geschichten, deren
Grundaussage wohl in allen Zeiten sein wird: Je mehr geschworene, gelogene
und geheuchelte Liebe, je mehr Blut und Verrat, desto gewaltiger das Ansehen
des Werkes. „Das Fischkonzert“ jedoch postuliert zu diesen
Erbärmlichkeiten eine lebendige Antithese.
Wir können diesem Buch nicht gerecht werden. Es ist zu groß
für uns. Kann man „die Kunst der Fuge“ mit einem gestümperten
Liedchen auf der Blockflöte loben?
Aber wir können sagen: „Da ist ein Buch! Ein Buch wie ein Mensch!
Und wer eine Seele in sich fühlt, der sollte es lesen und dann, dann
sollte er beherzigen, was darinnen geschrieben steht. „Daß
es nämlich gut sei und schön, zu singen… besonders, wenn
man nicht höher hinaus wolle, als am Grab für Menschen zu singen,
die kein Gesicht hatten.“ So sagte es der alte Pfarrer Johann dem
Alfgrimur. Denn diesen wird ein Gesicht zurückgegeben, ein Gesicht,
das sie verloren, da sie mehr sein wollten, als sie waren.
Und das ist die wichtigste Lehre, die wir daraus ziehen. Ein Gesicht können
nur die Menschen haben, die auf ihrem Platz das Beste geben, Tag für
Tag und ohne Unterlaß, mit einem Gleichmut des Herzens, wie es der
alttestamentarische Prophet Micha benannte, als seine Stimme den nach
mehr und anderem strebenden Israeliten entgegendonnerte: Es ist dir gesagt,
Mensch, was gut ist und was der Herr von dir fordert, nämlich, Gottes
Wort halten, Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott!
Die Buchläden sind überschwemmt von Leitfäden für
alle Lebenslagen. Das allermeiste davon ist nutzloser Tinnef, Schund,
trivialer Mist!
Dieses hier, dieses Buch, dessen deutscher Titel „Das Fischkonzert“
lautet, dieses Buch taugt zu einem solchen Leitfaden. Es taugt für
ein ganzes Menschenleben. Und es ist so gut wie die Bergpredigt. Es ist
ein Geschenk an die Menschheit. Wer es kann, der sollte es annehmen!
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