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Wer war Hamsun?
unter Bezug auf ein filmisches Potrait von Herrn Jan Troell


B. St. Fjöllfross
Ich kann und kann nichts von ihm lesen. Mein geistiger Vater hat ihn geliebt. Der große, der einzigartige Tucholsky hat ihn geliebt. Doch Hamsun wuchs sich zur größten Enttäuschung, zur größten Niederlage aus, die Kurt Tucholsky ertragen mußte. Daß der Michel doof war, nun gut – nein, nicht gut! - das war bitter, aber es ging wohl nicht anders. Doch ein Geist wie Hamsun – das war unerträglich!
Das Erste Deutsche Fernsehen (Eins Festival) brachte am Abend des 04. August 2004 einen Film von Herrn Jan Troell über den Lebensweg des Norwegischen Giganten der Literatur. Ich rang mich durch, den Film anzusehen – und ich war gefesselt.
Keine Entschuldigung für den alten Mann. Aber Erklärungen. Nicht vergeben! Aber verstehen!
Es stimmt nachdenklich. Wie viel konnte ein fast tauber Mann, der nur in seiner Schreibstube saß, wissen von der wahren Natur des Nationalsozialismus? Verschrieben hatte er sich dieser unseligen Sache, aber unter welchen Prämissen? Erfaßte er das Ausmaß der Dämonie, von der er sich verführen ließ?
Kurt Tucholsky steckte mitten drin, in der sich abzeichnenden Katastrophe. Er brauchte weder eine Lupe noch ein Fernglas, um klarzusehen. Wie aber stand es um den Dichter im fernen Norden, der ganze 31 Jahre älter war, in seinen Siebzigern gar, als die braune Pest nach der Macht griff? Wir wissen es nicht. Wir können nur versuchen, uns unvoreingenommen hineinzufühlen.
Denn es erscheint und als eine Tragödie von antikem Ausmaß. Wer ist denn noch gefeit, wenn selbst die Giganten des Geistes versagen?
Er sagte später vor dem Gericht aus, vor das man ihn um des Vorwurfs des Landesverrates willen gestellt hatte, er hätte nur zwei Zeitungen gehabt, aus denen er sein Wissen um die aktuellen Geschehnisse bezog. Ist das glaubwürdig, oder ist es die ehrliche Aussage eines getäuschten Greises? Man rauft sich die Haare!
Ist das denn möglich? Konnte man denn so unbedarft sein in der Mitte des hochtechnisierten 20. Jahrhunderts? Oder wollte Hamsun nicht sehen? Blendete er bewußt die Schreckensmeldungen aus, die doch ganz Europa bekannt waren? Wollte er nichts wissen von den Ankündigungen, die Adolf Hitler für jeden lesbar in seinem Buch „Mein Kampf“ niederlegte? Klammerte er sich an ein völlig irreales Germanenbild? All das scheint so, aber wissen, nein, wissen tun wir es jetzt noch nicht.
Ich habe den Film leider nicht von Anfang an sehen können. Spät erst habe ich den Sender angewählt. Da war Hamsun schon auf dem Weg zu einer Audienz bei Hitler auf dessen Berghof am Obersalzberg. Hitler ließ ihn binnen kurzem herauskomplimentieren, nein – hinauswerfen! Warum? Weil Hamsun plötzlich aus seinem Schlaf der Vernunft erwacht wäre und dem Gröfaz Vorhaltungen über dessen Verbrechen gemacht hätte? Mitnichten. Hamsun hatte Differenzen mit Terhoeven, Hitlers norwegischem Statthalter. Es ging um Norwegens Souveränität. Schon bei dieser Auseinadersetzung zeigte sich Herrn Troells Darstellung zufolge, wie wenig Hamsun vom Geist des Nationalsozialismus begriffen hatte, dem er sich mit Leib und Seele verschrieb. Hamsun schien von einem aufrechten Charakter gewesen zu sein, und sein Wollen und Trachten entbehrte wohl wahrhaftig des Bösen. Also doch ein getäuschter Feingeist?
Vater Tucholsky, der du uns lehrtest, daß ein übereiltes Urteil zur törichten Grundausstattung des Menschseins gehört und welches Verderben es zeitigen kann: vielleicht wärst auch Du nachdenklich geworden – angesichts dieser feinfühligen Darstellung einer vom Leben gespaltenen Persönlichkeit von überragendem Format.
Man stehe in Sachsenhausen und versuche Frieden zu schließen mit einem, der den Henkern dieses Lagers zujubelte! Denen, oder den Popanzen, die sich gleichsam als Sichtblende mit allem propagandistischen Geschick vor die Henker stellten und von einer neuen, besseren Welt faselten, während die alte gerade ihre Banquerotterklärung unterschrieb. Es ist uns unsagbar schwer. Aber wären wir Preußen, wenn wir nicht zunächst einmal zuhörten? Wenn wir nicht nachdächten, bevor wir mit einer Sentenz bei der Hand wären? Gerichtet und verdammt ist schnell. Gerecht beurteilen aber – das ist eine hehre Kunst.
Die Zeit war damals extrem polarisiert. Die Gegensätze zwischen Gut und Böse konnten nicht kontrastreicher sein. Im Abstand eines halben Jahrhunderts werden diese Grenzen scheinbar weicher. Man neigt dazu, die Dinge in der Retrospektive milder zu sehen. Und es ist sehr, sehr schwer, Landmarken aufzuspüren bei dieser Suche nach Wahrheit, die als zuverlässige und objektive Orientierungshilfen dienen können.
Ich bin zu arm, um an Dein Grab zu reisen, Vater Tucholsky. Es würde entsprechend Deiner eigenen Aussage auch nur wenig bringen: denn, wer einen Kirchhof besucht, besucht am Ende nur sich selbst! Dennoch, in meinen Gedanken stehe ich jetzt in Mariefred und frage Dich: Was soll ich von der ganzen Sache halten? Doch tot bist Du und keine Antwort kannst Du mir mehr geben. Du kennst das Gefühl. Denn es ging Dir ähnlich, als S.J. nicht mehr war.
Und so sitzt man allein und denkt und grübelt.
Wollen wir uns darauf einigen, Du Doktor der Jurisprudenz: In dubio pro reo?
Vielleicht wäre das eine Antwort, die des besseren Preußens würdig ist. Eines Preußens, das Dir gefallen hätte.

B 2. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2004