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In vino crimen est
PHM i. R. Leo Pauluth entdeckt im "Roten September" den Wein

Kotofeij K. Bajun
Unwillkürlich drängt sich eine Szene aus dem wunderbaren französischen Kino-Feenmärchen "Die fabelhafte Welt der Amélie“ aus dem Jahre 2001 auf. In diesem Streifen initiierte einst die Protagonistin für ihren zukünftigen Galan eine kleine Schnitzeljagd rund um Sacré-Cœur, deren eine Station in einer „lebenden Statue“ bestand. Diese wies mit bedeutungsvollem Gesichtsausdruck ihren Zeigefinger in die Richtung der nächsten Station.

Da nun der Charakter des den Parcours nolens volens ablaufenden Galans Nino Quincampoix mehr oder weniger als Antithese zu dem brillanten Verstand eines Sherlock Holmes angelegt wurde, half ihm ein kleiner Knabe aus der Bredouille, indem er den Suchenden mit sinngemäß folgendem Hinweis versah: „Wenn ein Finger in den Himmel weist, so starrt nur ein Dummkopf auf den Finger!“

Genauso sollte der kundige Leser die Lektüre der Wolf'schen Kriminalliteratur verstehen, und das seit jenem „Königsblau. Mord nach jeder Fasson“, das seinerzeit einen Urknall der märkisch-preußischen Kriminalliteratur darstellte. „Königsblau“ übrigens teilt sich zufällig dasselbe Erscheinungsjahr wie die vorgenannte „Amélie“. Jener zweite annus des dritten Jahrtausends schien ein geradezu feuriger Jahrgang im künstlerischen Weingarten des Herren gewesen zu sein. Nun denn ...

Wer da also meint, er hätte ein gewöhnliches Exemplar aus der schier endlosen Serie kriminalistischer Literatur vor sich, der ähnelt besagtem Nino Quincampoix in seinem hilflosen Starren auf den ausgestreckten Zeigefinger. Um jedoch weiterzukommen, muss man eines wissen: Der Autor ist ein Mann, dessen fulminante Bildung sich über ein weitgefächertes Spektrum erstreckt: Der Doktor Wolf ist gelernter Philosoph und Germanist. Aber daneben ist er auch Cuisinier, Geologe, Bogenschütze, Ornithologe, Botanicus, Textil- und Landeskundler von Gundling'schem Format und seit jüngstem reüssiert er eben auch noch als – Oenologe.

Und wenn irgendeine Hefe ihre Sporen in das unendlich vielfarbige Hirn des Autors gesät hat, dann beginnt das darin zu brodeln und zu gären, wie in den Retorten, Weinballons, Spiralen, Hebern und was dergleichen alchimistisches Zubehör sonst noch bei denen Vinificantes in Gebrauch sein mag. Und ehe denn die Gärkappe mit großem Knall dem Überdrucke nachgibt und sich in den blauen Äther verabschiedet, muss mal hier, mal dort ein kleiner Hahn aufgedreht und/oder Trester literarisch abgeschöpft werden.

Beim neuesten Brandenburg-Krimi „Roter September“, Jahrgang 2015, Putlitz Südseite, handelt es sich um ein eben solches hochprozentiges Konzentrat. Das Wort „Krimi“ hat sich zwar schamhaft mit auf's Etikett gedrängelt – der kriminologische Faden jedoch übernimmt kaum mehr als die Funktion einer Rocaille im Dekor einer Theaterbühne. Hinter dem von Thalia mit leicht-verführerischer Hand gemalten Titel lauert Kalliopes epischer Gesang auf des Autoren jüngstes Steckenpferd – den Weinanbau im allgemeinen und den in der Mark im besonderen.

Weil nun der Herold dieser tausend Jahre alten, in der Gegenwart jedoch vielfach vergessenen, Tradition des märkischen Weinbaus weiß, dass Sachbücher oftmals das Bukett des Öden, Drögen, Gähnenden verströmen, so füllt er geschickterweise seinen Geist in unterhaltsam-kriminalistisch gezogene Flaschen und lässt so den Kosmos brandenburgischer Traubenforschung und -verwertung schlückchenweise in die Kehlen seiner Leser rinnen. Das für jeden Krimi obligate Opfer opfert sich pflichtschuldig wie der Regenwurm am Angelhaken. Der dicke Fisch, den Tom Wolf an Land zu ziehen trachtet, ist – um im Bilde zu bleiben – ein weiterer Bacchusjünger, der bereit ist, seine Wurzeln in den kargen, Pilsner durchtränkten Boden der Streusandbüchse des Heiligen Römischen Reiches zu pflanzen.

Das Unternehmen ist beileibe nicht hoffnungslos: Zeugen doch noch Legionen von Weinballons von dem einstigen Hobby der hierorts ansässigen Bürger der größten DDR der ganzen Welt: Deren Obrigkeit sah es nämlich desto lieber, je mehr es mit dem Staate abwärts ging, wenn sich das Staatsvolk eher mit flüssigem, denn mit revolutionärem Geist befasse und trafen dabei beim Volke vielfach auf offene – Kehlen.

Also stört der Schriftsteller Dr. Tom Wolf seinen pensionierten Polizisten Leo Pauluth ein weiteres Mal in seiner Pensionärsruhe auf und schickt ihn auf eine Weinballon- und Mörderjagd. Den Details solchen Treibens hat eine Besprechung nicht vorzugreifen. Daher darf sie gleich zum Fazit vordringen.

Resümierend lässt sich also nach der Lektüre des „Roten Septembers“ feststellen, dass dieses Buch die Umwälzung der märkischen Kriminalliteratur fortschreibt, wie immer jedoch den Kreis der Leser unbarmherzig selektierend. Nach wie vor knüpft sich an die Verkostung Wolf'scher Werke die Forderung an den Leser, er möge seinerseits bei der Lektüre wenigstens drei Hirnwindungen mehr einbringen, als sie einem Pantoffeltierchen zu Gebote stehen. Das hinwiederum schränkt die Zielgruppe erheblich ein: BILD und Wolf vertragen sich nun einmal nicht. Und – um seinen Verstand versaufen zu können, muss man erst einmal über einen solchen verfügen, oder?

Faszinierend ist zudem die Gabe des Dr. Wolf, wie ein Irrwisch mit schlafwandlerischer Sicherheit im Grenzland zwischen Realität und Erfindung herumzugeistern. Das ist ja auch des Pegasus-Reiters verbrieftes Vorrecht. Und so amüsiert es immer mal wieder, wenn man hier und dort mit dem entsprechenden Hintergrundwissen den Ort der Inspiration erkennt oder gar eine reale Person, deren Naturell ihrem alter ego im Buche schriftstellerisch konfektioniert wurde, wie es ein kunstfertiger Schneider mit Wams und Mantel täte.

Ein Höhepunkt beispielsweise ist ein Lehrstück, wie ein vom Missgeschick geschlagener Mann jener am Faden des Schicksals webenden Norne eine Nase dreht und die Kalamität in klingende Münze umrubelt. Der goldene Verband eines blutenden Fingers sei dem Verbalpianisten, der die Klaviatur der wundervollen deutschen Sprache so meisterhaft traktiert, von Herzen gegönnt. Zwischen den Zeilen ist das Ganze zu lesen in jenem Buche „Roter September“.

Sogar als Brückenwächter der deutsch-russischen Freundschaft versucht sich der Neuprignitzer Wolf erfolgreich und dankenswerter Weise. Seinen Wein anbauenden Rubelbojaren von der Krim zeichnet er mit sympathischen Zügen. Das zeichnet ein Gespür für natürliche, unzerstörbare Achsen aus, die von historischen Prozessen vielleicht mal für einige Zeit verschüttet, niemals aber gebrochen werden können.

Ein wenig Wermut verzog diesmal die Note des Roten Septembers insofern, als sich der legendäre Wolf'sche Schalk, der uns so erheiternd aus der langen Reihe der „Langustiers“ entgegen blitzte, offenbar auf Dienstreise nach Weinfranken begeben hatte, wo man bekanntlich zum Lachen „auf“ den Keller geht. Die spritzigen Pirouetten wichen diesmal einem behäbigeren Stil des Erzählens, dessen Akzentuierung massiv zugunsten der enzyklopädischen Vermittlung oenologischen Wissens verschoben wurde.

Nun, gerade hier hätte sich unter dem Protektorat einer weinseligen Bacchanalie sicherlich die Möglichkeit ergeben, dem Affen mal so richtig alkoholischen Zucker zu geben. Doch die herbe Note überwog. Auch das Glossar, dass die „Langustiers“ immer so aufschlussreich begleitete, fand diesmal keinen Platz mehr in den hinteren Gewölben des Buches. Das ist schade. Denn der appetitanregende Genuss des Wolf'schen Weinkrimis hätte diesen Digestif durchaus noch vertragen. Einen Grund, dem Leser die Empfehlung des Roten Septembers zu versagen, stellt die Lässlichkeit jedoch nicht dar. Im Gegenteil: Wer noch etwas auf seinen Geist außerhalb des Spirituosensortiments der heimischen Hausbar hält, sollte keinesfalls auf den 2015er Putlitzer aus dem Hause “14 Hasen“ verzichten!

Tom Wolf
Roter September
Brandenburg Krimi
272 Seiten
be.bra Verlag
ISBN 978-3-89809-542-6
EVP € 10,-

 
B
13. Volumen

© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2012

01.01.2017