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Von Stratford über Venedig nach Auschwitz
Zu William Shakespeares „Kaufmann von Venedig“


Gewidmet Rachel Druckepennig, Alsleben; Else Weil, Berlin; Moshe Dajan, Yonatan Netanjahu, Ariel Sharon, Israel und dem Rebben David Katz aus Krakau


Kotofeij K. Bajun. Havelsee.
Hinterher ist man immer schlauer, gewiss! Mag sein, dass William Shakespeare mit seinem Stück „Der Kaufmann von Venedig“ oder Martin Luther mit seinen wider die Jüden gerichteten Verbalexzessen zurückhaltender gewesen wären, wenn ihnen Nostradamus oder eine Zigeunerin geweissagt hätte, dass ihre Worte das Eisen der Schienen schmieden, welche vom Grunewalder Gleis 17 nach Auschwitz führen. ... desgleichen nach Majdanek, nach Sobibor, nach Stutthof, nach Chełmno, nach Treblinka, nach Buchenwald, nach Dachau, nach Bergen Belsen, nach Babin Jar, nach … in den grauenhaftesten Massenmord, den es jemals auf diesem Planeten bis dahin gegeben hat.

Der Barde aus Stratford upon Avon war vielleicht der größte Dichter aller Zeiten. Keiner lotete die menschliche Seele aus wie er, keine erfasste alle Facetten dieser Seele so detailliert und vermochte diese seine Erkenntnisse so in Verse zu gießen. Allein – „Der Kaufmann von Venedig“ war sein persönlicher Sündenfall. Dieses Drama ist just aus dem Stoff, aus dem die Feuer der antisemitischen Pogrome gespeist werden.

Er bediente den Geschmack der Zeit – niemand dachte sich etwas dabei. Wir heutigen wissen, dass damit die europäischen Ressentiments von Worms und Mainz und Würzburg und Erfurt und Berlin nahtlos fortgeschrieben und das Feuer des Judenhasses kräftig geschürt wurde. Pfui Teufel, über dieses Stück! Dieses – nicht den Macbeth – sollten Schauspieler nicht mit Namen nennen. Denn dieses ist nicht halb so verflucht wie jenes.

Der Macbeth forderte unseres Wissen keine Todesopfer abseits der Bühne. Dem „Kaufmann von Venedig“ hingegen lasten Millionen und Abermillionen völlig unschuldiger Opfer an. Nein, nicht nur diesem Stück. Aber es ist eine Patrone im Lauf der Judenfeinde – nein, eine schwere Mörsergranate, eine zwanzig-Zentner-Luftmine um im Bilde zu bleiben.

Darf man dann dieses Stück noch aufführen? Darf man es vor diesem grauenhaften Hintergrund noch verfilmen, wie es 2004 in Spitzenbesetzung geschah?

Man muss es sogar. Das ist wie „Mein Kampf“. Es im Orkus verschwinden zu lassen, wäre das Dämlichste, was man tun könnte. Es ist ein Zeitdokument, ein Zeitmonument – das authentisch bis ins letzte Komma eine Epoche vor einem halben Jahrtausend zeichnet, welche die braune und die schwarze Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts vorbereitete, ohne sich dessen bewusst zu sein. „Der Kaufmann von Venedig“ – wir können das nicht deutlich genug sagen – ist einer der zentralen Schamottsteine, aus denen die Krematorien von Auschwitz aufgemauert wurden.

Wir sehen die arme Anne Frank vor uns und wir sehen Janusz Korczak mit seinen Waisenkindern. Wir wissen, warum Shylock auf seinem Pfund Fleisch beharrte – und Shakespeare wusste es auch! Wir sehen die kleine Rachel vor uns, Tochter des 1648 von raubmordenden Stradiolen hingemeuchelten Scholcher Druckepennig aus der Hühnervorstadt von Alsleben. Wir sehen die Ärztin Else Weil vor uns, die Claire aus „Rheinsberg – Ein Bilderbuch für Verliebte“, die von den Nazis am 11. September 1942 in Auschwitz-Birkenau vergast wurde.

Das Gas, das ihr die Lungen zerfraß, dünstet zwischen des Zeilen des „Kaufmanns von Venedig“ aus.

Ist diese Aussage differenziert zu betrachten, weil Shakespeare Shylock zu Wort kommen und sich verteidigen lässt? Man sollte es vielleicht tun – denn Marlowe zeigte mit seinem Barabas von Malta zur selben Zeit, dass es noch schlimmer ging. Auch in diesem Stück entblödete sich Marlowe nicht, seinem Stück das brachiale Unrecht voranzustellen, das an dem Juden Barabas begangen wurde und ihn zu dem veranlasste, was er dann tat. „Nimm dem Juden – das geht in Ordnung! Wie, der Jude wehrt sich? Der schlägt zurück? Also, so ja nun nicht! Dieser elende Verbrecher!“ Was für eine erbärmliche, was für eine widerwärtige Attitüde! Was für ein Kainsmal auf den Stirnen der abendländischen „Christen“!

„Der Kaufmann von Venedig“ ist eine literarische „Judensau“! Deshalb muss das Stück bleiben, wie die Judensau zu Wittenberg, wie die im Brandenburger Dom, wie alle anderen auch! Sie sind die Schandgeigen, welche die Europäer zu tragen haben, bis die Posaunen zum Jüngsten Gericht blasen.

Daher ist es ein völliger Blödsinn, auf ihre Verhüllung oder Entfernung hinzuwirken, denn nicht länger schmähen sie die Juden, sondern sie sind nunmehr und bis zum Ender aller Tage der Kaak, unter welchem das europäische Christentum zu seiner ewigen Schande kollektiv auszuharren hat, bis die Hölle gefriert.

Zwischen den Zeilen des „Kaufmanns“ und von den Skulpturen der Judensäue brüllt dem christlichen Betrachter und dem Unbeteiligten aus anderen Teilen der Welt die Anklage gegen das „Christentum“ entgegen, die auf feigen Massenmord an Wehrlosen lautet, angefangen von den Pogromen der Kreuzzugszeit bis hin zur Hölle der Vernichtungslager. Das ist der zementierte Fluch auf die Mörder, dem sie sich nicht mehr entwinden können, solange dieses Stück, solange diese Skulpturen existieren.

Es gibt Leute, die in Shakespeares Drama eine Fortschreibung der Allegorie von den klugen und den törichten Jungfrauen sehen: Hier der rächende allmächtige Vater Israels, der Sünden der Väter verfolgt an deren Nachgeborenen bis ins weiß der Teufel wievielte Glied und dort der barmherzige, gnädige, vergebende Gott des Neuen Testaments.

Was wohl hätten uns die armen Juden der Erfurter Gemeinde von diesem Gotte zu sagen gewusst, als sie vom „gnädigen, barmherzigen und huldreichen“ Erfurter Mob 1349 grausam dahingemetzelt wurden, weil ihnen, den reinlichen, auf Sauberkeit und Hygiene bedachten jüdischen Erfurtern vom stinkenden christlichen Prekariat die Pest angelastet wurde?

Man soll den „Kaufmann von Venedig“ aufführen und inszenieren – noch und noch – für und für! Den Erlös aus den Billetts aber soll denen Sajeret Matkal als Wiedergutmachung und Reparation angewiesen werden, damit Auschwitz auch jenen zum Albtraum werde, die leugnen, was dort geschah, während sie bereits wieder die Messer wetzen zur nächsten Hatz auf die Juden dieser Welt. Amejn!

 
B
13. Volumen

© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2012

24.07.2022