Die unheimliche Supermacht
Warum wir aus dem Schatten der USA heraustreten
müssen
-von Michael Lüders-
Besondere Empfehlung des Preußischen
Landboten
Kotofeij K. Bajun. Brandenburg
an der Havel. Der Landbote
sieht sich des Öfteren mit dem Vorwurf konfrontiert, ein Amerika-Hasser
zu sein. Nun, Hass ist ein ziemlich dämlicher Köter, der die unangenehme
Eigenschaft besitzt, regelmäßig den eigenen Herrn zu beißen. Definiert
man jedoch den Hass als den Schatten der Liebe, dann mag an dem Vorwurf
etwas dran sein.
Denn das Amerika der Möglichkeiten, das Amerika Laurie Andersons, Sacajaweas,
Simon and Garfunkels, Hiawathas, Martin Luther Kings, Woodwards und
Bernsteins, Lincolns und Twains – das haben wir immer geliebt. Wir hassen
nicht – Hass macht blind und trübt das Urteilsvermögen. Wir verachten.
Wir verachten Donald Trump und alles, für das er steht. Wir verachten
die NRA, wir verachten die Evangelikalen des Bible-Belts, die in ihrem
saudummen Fanatismus den Mullahs in nichts nachstehen, wir verachten
die Tea-Party-Leute und Sarah Palin ganz besonders, wir verachten Kriegsverbrecher,
die vor dem wütenden, feigsten und niederträchtigsten Mord in ihrer
Heimat flohen, nur um wütenden, feigen und niederträchtigen Mord in
anderer Menschen Heimat zu tragen und sich dafür mit dem Friedensnobelpreis
belohnen lassen. Wir verachten all jene, die sich in ihrer Attitüde
der Weltherrschaft um keinen Deut von den Nazis unterscheiden, lediglich
in dem einen Detail, dass sie in infamer Weise das Wort „Demokratie“
für sich beanspruchen, was die Nazis übrigens – so ehrlich waren sie
immerhin – nie taten.
Die bekannten wenigstens Farbe, die nannten Ross und Reiter beim Namen
– während es in der „Musterdemokratie“ realiter nur zwei Parteien zur
Auswahl gibt, die sich programmatisch nicht gerade essentiell unterscheiden
und in ihrem Regierungshandeln schon mal gleich gar nicht. Zwei Parteien,
die Wahlkampfveranstaltungen zu einem bunten, Milliarden Dollar teuren
Zirkus herabwürdigen und am Ende – egal wer gewinnt – demokratische
und progressive Regierungen in aller Welt stürzen, Völker gegeneinander
hetzen, damit nur keine Nation so mächtig werde, ihnen Paroli zu bieten,
die Not und Elend über die Menschen in aller Welt bringen, damit die
eigenen paar Wohlstandsgaken sinnentleerte Pool-Partys feiern können,
während der große Rest der einheimischen Bevölkerung im selben Dreck
vegetiert wie die Völker, die in den Fokus des amerikanischen Imperialismus
geraten. Diese „Demokratie“ setzt Präsidenten ins Weiße Haus, bei denen
man den Eindruck gewinnt, ein dressierter Affe könne sie problemlos
substituieren. Jene „Demokratie“ führt jedem, der noch nicht mit 10
Dioptrien nach seiner Brille fahndet, vor Augen, wo die Fäden wirklich
gezogen werden: Nämlich in der Wallstreet und bei Skulls and Bones.
Checks and balances? Wir halten uns die Wänste vor Lachen!
Mit just diesem Problem setzt sich der blitzgescheite und kenntnisreiche
Michael Lüders in einem seiner jüngeren Werke auseinander, in dessen
Titel er Amerika eine scheinheilige Supermacht nennt.
Lüders kann mit ruhigerer Hand schreiben, als uns das vergönnt ist:
Er weiß einfach mehr. Seine Reputation ist die Ausgewiesenere. Er, der
Arabien-Kenner, dem auch eine grundlegend andere Perspektive zu Gebote
steht als die im Westen notorisch verbreitete, legt eine saubere, in
sich geschlossene, logisch aufgebaute und nachvollziehbare Analyse des
amerikanisch-imperialen Ungeistes vor. Das ist noch nicht unbedingt
Al-Jazeera – aber sich deren Deutungen der Geschehnisse zu Gemüte zu
führen, kann auch nicht schaden.
Wir, die wir noch das Privileg – und wir meinen das ganz ernst – genossen,
in der größten DDR der ganzen Welt sozialisiert worden zu sein, verstehen
jedenfalls, was er meint.
Wir wissen um das Versagen und die Allmacht ebenso aufdringlicher wie
sublimer Propaganda. Auch uns wurde einmal eine diametral verschiedene
Sicht auf die Welt geboten – damals war es eine, deren Omphalos Mundi
Moskau hieß. Aller wissenschaftlicher Fortschritt der Menschheit ging
von der Lomonossow-Universität aus, ex Oriente Lux! Väterchen Stalin
und seine Massenmörder-Clique wurden verschämt totgeschwiegen und ja
– Harvard und Yale gab es wohl … aber das hatte nichts zu bedeuten.
Der erste Apparat, Hund, Mensch, die erste Frau im Weltall – traraaa!
Der erste Mann auf dem Mond – eine Randnotiz im Neuen Deutschland. Heute
ist alles genau umgekehrt. Der radikale Wandel des Weltbildes überfiel
uns wie ein Nosferatu in der Nacht vom 2. auf den 3. Oktober 1990. Ab
dem 4. November 1990 bekamen die Lehrer Berufsverbot, die ihren Schülern
sagten, sie sollten auf die kollabierenden Zwillingstürme des Großen
Apfels nicht starren wie die Karnickel auf die Schlange, sondern stattdessen
überlegen, woher ein so fanatischer Hass kommen könnte, der Menschen
veranlasst, Flugzeuge in Hochhäuser zu steuern.
Wir trauern der größten DDR der ganzen Welt keine Träne nach. So schön
waren die Gefängniszellen des Ministeriums für Staatssicherheit, der
Anblick der Berliner Mauer, die Vorladungen zur Deutschen Volkspolizei
„zur Klärung eines Sachverhalts“, die zwangsweisen und hirnschelligen
Aufmärsche am 1. Mai, die ewige Jagd nach Handwerkern und/oder Ersatzteilen,
die ermüdenden Parolen, die Verlogenheit der nur auf offizieller Ebene
geduldeten deutsch-sowjetischen Freundschaft, die echte menschliche
Kontakte ausschloss, die Reisebeschränkungen, die Mangelwirtschaft,
das Klo eine halbe Treppe tiefer für vier Mietparteien in der Bruchbude
und der bigotte Sudelede nun auch wieder nicht.
Aber die DDR war eben auch ein Lehrer – wenn in dieser Hinsicht auch
ein unfreiwilliger: Sie lehrte einen alles über das Wesen von Agitation
und Propaganda und dass man sich als mündiger Bürger dieser gegenüber
eine gesunde Distanz bewahren müsse. Sie lehrte außerdem eine unschlagbare,
ökonomisch basierte Kritik des Kapitalismus und sie lehrte: Das einzige
Kriterium der Wahrheit ist die Praxis. Quod erat demonstrandum.
Exakt das ist das Horn, in welches Lüders, dieser Prophet, der mit einem
Bein in der arabischen Wüste steht, tutet.
Die westliche Welt ist von Uncle Sam in den letzten siebzig Jahren so
eingeseift worden, dass große Teile der Bevölkerung dem Hegemonialanspruch
dieser Weltmacht um Dimensionen unkritischer gegenüberstehen als je
ein DDR-Bürger mit Verstand dem Weltführungsanspruch der Sowjetunion.
Lüders fährt die schweren Geschütze auf. Das tut er zurecht. Er sagt
an keiner Stelle, dass die anderen, welche von den USA kurz gehalten
werden, die besseren Menschen sind. Er entwirft kein Bühnenbild á la
„Krieg der Sterne-Szenario“ mit einem dunklen Lord („Ich bin dein Vater,
Luke!" … mit ihren Vätern übrigens haben’s die Amis gründlich –
so einen Komplex musst du erstmal vor dir herschieben! Vielleicht wüsste
Freud auch eine treffliche Antwort auf das internationale King-Kong-Gehabe
der Yankees …) und dessen edlen Opponenten.
Und – Lüders hat das Werden und Vergehen von Imperien verstanden. Er
macht uns mit einem brillanten arabischen Historiker und Gesellschaftsanalysten
bekannt, der vor sechs Jahrhunderten bereits mit klugen Gedanken zum
Oszillieren menschlicher Gesellschaften aufwartete, und über den wir
vorher noch nicht viel gehört hatten: Walī ad-Dīn ʿAbd ar-Rahmān ibn
Muhammad Ibn Chaldūn al-Hadramī. Danke dafür!
Warum haben wir von Ibn Chaldūn noch nicht so viel gehört? Hier in Europa?
Ost- wie Westeuropa? Na? Könnte das mit einer europazentrischen Geschichtsvermittlung
zu tun gehabt haben …? Darin liegt schon die halbe Antwort für den Devotismus
der alten Welt gegenüber den transatlantischen Imperialisten. Wer die
Macht hat, der schreibt die Geschichte – und wer die Macht hat, der
hat Recht – solange er die Macht hat.
Noch haben die Yankees die Macht – aber Lüders ist wie wir zum selben
Schluss gekommen: Die USA haben als Imperium ihren Zenit unwiederbringlich
überschritten und befinden sich bereits auf dem Highway namens Ramus
Descendens. Der Drache freut sich über seine zweite Chance nach der
seinerzeit verspielten, die auf den Tod Admiral Zheng Hes folgte, dessen
Flotte in Nanking dem Verrotten anheim gegeben wurde.
Auch der Bär kann sich wieder Hoffnung machen, dass das letzte globale
Wort für ihn noch nicht gesprochen wurde.
Sicher, für unseren Geschmack zeichnet Lüders die Mullahs und ihre revolutionären
Schergen etwas zu weich. Das grenzt schon an Parteinahme, als ob das
Pendel der Subjektivität ins andere Extrem ausschlüge. Nein, Herr Lüders:
Das sind genau solche Halunken – nur eben auf der anderen Seite. Auch
Qasem Soleimani war kein Shakespeare’scher Henry V.
Aber Lüders kommt das Verdienst zu klar zu benennen, wer diesen Strolchen
über den Umweg des kaiserlichen Erzgauners Reza Pahlevi mittels Gier
und strategischer Kurzsichtigkeit – ach, sagen wir’s deutlich: Idiotie!
in den Sattel geholfen hat. Die Amis und die Briten haben Mossadegh
entmachtet, weil er für das persische Öl plötzlich bezahlt werden wollte.
Sie meinten tatsächlich, der SAVAK könnte ihnen das billige Öl und ihren
Luxus zu Lasten der armen persischen Bevölkerung weiterhin garantieren,
bis das Öl alle ist und Jesaja 13.22 in der persischen Wüste wieder
Gestalt annimmt.
Lüders drischt mit einem literarischen Knüppel ins Wespennest. Er macht
sich wie ein neuer Siegfried an den Kampf mit Fafnr. Aber Vorsicht!
Nichts ist gefährlicher, als wenn du versuchst, die Leute aus ihren
dusseligen Tagträumen zu reißen, ihnen ihre Illusionen, in denen sie
sich bequem eingerichtet haben, zu nehmen! Dann laufen sie Amok!
Bislang traut man sich an Michael Lüders nur verhalten ran. Zu unterfüttert
ist dessen Expertise, zu ehrlich sein Anliegen, zu unangreifbar seine
Beispiele – und zu bekannt sind die meisten von ihnen auch. Das ist
es ja gerade: Viele wissen es ja … so … irgendwo ganz tief in sich drin.
Die, welche 1968 gegen den Vietnam-Krieg durch die Straßen von Paris,
London und Westberlin rannten ("ho - ho - Ho Chi Minh!"),
sind ja noch nicht alle tot und vergessen.
Aber was sollen sie denn tun? Jetzt sind wir am Punkt! Wenn eines geschickt
und weitsichtig an der amerikanischen Hegemonial-Politik gewesen ist
– wir vermuten nur, dass das eher unintendiert geschah, weil wir die
Yankees für einen solch genialen Schachzug einfach für zu unterbelichtet
halten – dann das: Die Amerikaner lassen den bösen Dschinn aus der Flasche
und verkünden dann, sie wären die einzigen auf der Welt, welche in der
Lage seien, die „Zivilisation“ vor ebenjenem Dämon aus der Hölle zu
beschützen.
Wenn der Hirte der einzige ist, der einen Knüppel hat, dann fragt das
Schaf beim Anblick des zähnefletschenden Wolfes nicht danach, ob der
Hirte integer oder kriminell ist. Dann wird beinahe jedes Schaf am Ende
so irrational, dass es sich lieber vom Hirten als vom Wolf fressen lässt.
Lüders will, dass die Schafe zur Vernunft kommen und einen Weg finden,
weder vom einen noch vom anderen vereinnahmt zu werden. Ähnlich uns
sehen wir in ihm keinen Amerika-Hasser, sondern einen, der das Potential
Amerikas genauso würdigt, wie wir es tun. Der jedoch die dunkle Seite
dieser Supermacht nicht unkritisch auszuklammern vermag und auch nicht
will, dass andere das tun.
Auch wenn wir unsere Demokratie und unsere Freiheit dieser Tage so bedroht
sehen, wie seit den Tagen der verwichenen DDR nicht mehr: Dass Lüders‘
Bücher noch immer erscheinen, bedeutet für unsere Demokratie genau das,
was unsere Nachbarn im Osten in ihrer Nationalhymne so inbrünstig beschwören:
Jeszcze Polska nie zginęła!
Michael Lüders
Die unheimliche Supermacht
Warum wir aus dem Schatten der USA heruastreten müssen
C.H.BECK München 2021
ISBN 978 406 76839 2
293 Seiten