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Frans
Hals in Berlin
– eine Symphonie der Lebenslust Jules-Francois S. Lemarcou. Havelsee. Berlin. Jedes Zeitalter gebiert Menschen, die mit Konventionen brechen und sich kühn über die Schranken gesellschaftlicher Übereinkünfte und in Stein gemeißelter Traditionen hinwegsetzen. Manchmal, wenn es sich um Genies handelt, stoßen sie neue Tore auf, Tore in unerforschte Welten, in nie Dagewesenes. Frans Hals, der in der ersten Hälfte der 1580er in Antwerpen geboren wurde und 1666 in Haarlem diese Welt verließ, war so ein Genie. Ihm widmet die Berliner Gemäldegalerie im Tiergarten derezeit eine Ausstellung.
Durfte er denn so etwas? Welcher ehrbare Pfeffersack aus Gent, Haarlem, Brügge oder Utrecht, Amsterdam, Deventer, Lüttich oder Antwerpen konnte es sich leisten, eine Malle Babbe über den Kamin zu hängen? Das wäre doch gesellschaftlicher Selbstmord gewesen! Bei den Calvinisten und Puritanern, goldenes, freizügiges Holland hin oder her. Ja, die haben Spinoza nur ausgestoßen, isoliert, gemieden – aber ihn nicht, wie es die Mörderbande in Toledo oder auf dem Campo de’ Fiori zu tun pflegte, verbrannt. Aber soweit ging denn die Toleranz und Freizügigkeit in der Kunst doch nicht. … noch nicht. Das kam erst später. Dann aber mit Karacho und Verve! Für Herrn Hals leider zu spät.
Noch aber galt: War denn die kostbare Leinwand, die teuren Farben, die Firnis, die jahrelang und teuer erlernte Kunst des Meisters nicht denen vorbehalten, deren Würde und deren offenbarer Gottessegen ihre Abbildung rechtfertigte? So, wie er vordem noch jenen vorbehalten war, die sich durch ihre viehischen Leiden oder ihren asketischen Lebenswandel bis zur Selbstverleugnung ein Anrecht auf diesen exklusiven Platz erworben hatten? Herrn Hals tangierten derlei Erwägungen offenbar nicht einmal ansatzweise. Der Markt lohnte ihm seine Frechheit übel. Genialität impliziert allzuoft den Fluch der zu späten Würdigung. Ja, Chef der angesehenen Lukas-Gilde, Begräbnis innerhalb der Kirche – gut und schön. Die Geldkatze des Meisters aber litt ständig Hunger. Feist wurde er nicht bei seinem Gewerbe. Hals schluderte nicht, wenn er seine Pinselstriche kühn und selbstbewusst über die Leinwand schleuderte. Jeder Farbauftrag, jede Nuance sitzt perfekt, wie eine Note in einer Partitur Mozarts. Damit griff er den späteren Impressionisten vor. Er bereitete ihnen den Weg. Er zeigte ihnen die Kunst, wie ein grober Pinselstrich sich aus der Ferne wie durch Magie zu einem fotografischen Erlebnis visualisiert. Alleine diese Entdeckung ist ein ganz großer Wurf – einer, der die Bezeichnung „Genie“ in vollem Umfang rechtfertigt. Hals fing mit unsagbarem Geschick Emotionen ein. Augenblicke, Momente, flüchtig wie Wasserdampf – um Gottes Jesu Christi Willen: Wie macht man das? Es ist das selbe ungläubige Staunen, wie man es bei Schischkins schneegetränkten Wäldern erlebt. Das ist keine Illusion, das ist nicht der Große Hudini – das hier ist echter Zauber.
Diese Kunst der Malerei ist jener Tonkunst des Meisters, Johann Sebastian Bachs, oder Antonio Vivaldis ebenbürtig, die beide als Minister Gottes für okzidentale Musik anzusprechen sind. Ja, auch unser geliebter Hieronymus Bosch war ein Genie – die Gemäldegalerie darf sich übrigens des Besitzes zweier kleiner Boschs rühmen – aber der setzte andere Schwerpunkte. Nicht minder ketzerisch – aber eben auf anderen Spurweiten. Jan van Eyck – ein Gigant, Rembrandt – ein Meister des Lichts, Jan Vermeer und seine magischen Wolken über Delft ... Salomon Koninck gelang mit seinem Alten von Schwerin ein Jahrtausendwurf. Unser großer Albrecht Dürer nicht zu vergessen, der auch Häschen und Rhinozeros mit seiner Hände Kunst verewigte. Sicher, Herr Hals war nicht der Erste, der sich dem einfachen Volk zuwandte. Pieter Bruegel der Ältere pflügte auch schon wacker auf dem Felde dieses Genres. Dürer ließ sein Bauernpaar tanzen, konterfeite seine alte Mutter und sein Agnes nach dem Leben – und seine hübsche venezinanische Gespielin auch gleich noch dazu. Pirckheimer in all seiner monströsen Klobigkeit – ungeschönt und keine Wulst des feisten Nackens retuschiert. Frans Hals aber – man sollte sich mit eigenen Augen überzeugen – gab dem Ganzen jedoch noch einmal eine besondere Note. Niemand konnte Lebenslust so überzeugend einfangen und wiedergeben – nicht einmal der Bauern-Bruegel.
Sich diesen großartigen Werken nähern und den Pinselstrichen des Frans Hals nachspüren zu dürfen, das ist ein Privileg. Er, der Titanen wie Brouwer, Wouwermann, Molenaer und van Ostade ausbildete und auch Molenaers zu Unrecht vergessene Ehegattin und Malerin von Spitzenformat, Judith Leyster, wird durch diese exzellente und hochkarätige Exhibition der Berliner Gemäldegalerie auf dem Kulturforum mit der Ehre und Würde bedacht, die ihm unabsprechbar zusteht. Den Kuratoren sprechen wir unseren Dank und unseren Respekt aus. Aber, liebe Museumsleute vom Kulturforum: Ein Spinnengewebe zwischen dem Christusknäblein und der Gottesmutter und diese Staubschicht in den vom großen Riemenschneider so kunstvoll geschnitzten Gewandfalten, das muss doch nicht sein! Einen Staubwedel gibts doch schon in der Krabbelkiste vom nächstgelegenen Aldi für einen schlanken Taler. Die kleine Talbot von Petrus Christus, Elizabeth, Sie wissen schon, die Nichte der Dame Eleonore, deren Eheversprechen mit Edmund den Untergang der weißen Rose heraufbeschwor – na ja, Ihr habt grandiose Stücke zuhauf – aber DIE ließe sich doch bestimmt auch noch ein wenig exponieren. Verdient hätte sie’s sicherlich. Versuchts mal! Und nochmals Dank für eine wundervolle Frans-Hals-Ausstellung, die jede Pilgerfahrt in Euren Musentempel wert ist.
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© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2012
03.09.2024