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Weigthless
Amerikanisches Kino vom Feinsten Kotofeij K. Bajun. Rathenow. Es ist des Landboten Credo, dass die Yankees zu 95 Prozent Bockmist verzapfen. Aber die verbleibenden fünf Prozent – da sind sie unerreicht. Da sind sie großartig, da sind sie brillant, da macht ihnen niemand etwas vor. Das betrifft so ziemlich alle Bereiche. Heute reden wir über einen Film. Hollywood produziert ja nun alljährlich hektoliterweise Gülle auf Zelluloid. Der Standardruf „Komm schon!“ ist bereits zum Siegel für Schund geworden. Der ewige Wettlauf der Yankees gegen die Zeit, ihre elende Sucht, jede Problem mit Sprengstoff zu lösen, ihre epochalen Gemälde von Untergang, Zerstörung und Tod und Heldensagas bis zur absoluten Lächerlichkeit übertrifft an Blödsinnigkeit alles, was die Moskauer Gorki-Studios in der Zeit des Kalten Krieges je herausgeprügelt haben. Aber dann … Dann wetterleuchtet mal wieder so ein Juwel durch die geistige Umnachtung, ein Diamant wie „Weigthless“, Regiedebüt von Jaron Albertin, einem Kanadier. Ein Mann in den Mittdreißigern, ruhig, unauffällig in jeder Hinsicht, Arbeiter auf einer Mülldeponie, muss sich von heute auf morgen seines 10jährigen Sohnes Will annehmen. Der zehnjährige wiegt 250 Pfund und ist sehr introvertiert, geschockt von dem Umstand, dass seine Mutter ihn verlassen hat, weil sie mit ihm, mit sich und der Situation, in Will eventuell nicht ihren Traumsohn zu haben, hoffnungslos überfordert ist und den Jungen im Stich lässt. Der Vater Joel, seht einfühlsam porträtiert von einem über sich hinauswachsenden Allesandro Nivola, tut das Beste, was seine eigene Persönlichkeitsstruktur ihm ermöglicht. Er kauft eine Matratze für den Jungen, hängt einen Null-acht-fuffzehn-Sonnenuntergang an die Wand des Kinderzimmers seines kleinen Redneck-Häuschens in Georgia und stellt einen Fernseher in das Zimmer. Ansonsten weiß er mit dem Jungen und der neuen Situation nicht viel anzufangen. An dessen Geburtstag lässt er seinen Sohn Will, der von einem unglaublich ergreifend spielenden Eli Haley dargestellt wird, sogar an dessen Geburtstag allein, weil er zu einer Abschiedsparty seines Chefs geht. Über so viel vermeintliche Herzlosigkeit entrüstet, wendet sich Joels Freundin aus dem Nachbarstädtchen Ashford von ihm ab und einem neuen Partner zu. Bis auf ein Nachbarsmädchen wird der ohnehin schon leidende Will auch noch von den Straßenkindern gemobbt. Nur die kleine Klara stört sich nicht an seiner Körperfülle. Diabetes hat er auch noch. Na klar – das Übergewicht. Damit das alles noch an Dramatik zunimmt, hat sich der Hausarzt von Noel nun auch in den Kopf gesetzt, Will in eine Pflegefamilie zu geben. … home of the free. Wie problemlos das dort zu gehen scheint! Anzeichen für eine Kindeswohlgefährdung lassen sich für uns nicht erkennen, zumal sich Vater und Sohn immer mehr emotional annähern. Auch der labile Noel scheint regelrecht aufzublühen und kümmert sich immer intensiver um seinen Sohn. Zum Ende hin büxen beide aus – doch ob sie damit im wahrsten Sinne des Wortes durchkommen, das bleibt offen. Das Happy End bleibt uns versagt, aber auch das zählt zu den Qualitätsmerkmalen dieses Streifens, der seinem Zuschauer kein Märchen vorkaut, sondern in eine sehr realistisch gestaltete Handlung mit all ihrer Dramatik hineinzieht. Der Film agiert leise. Bis auf eine Rotzblage und dessen aggressiven Vater gibt es keine Hektik, keine Revolver, Messer oder Atombomben. Der Chef Noels ist ein menschlicher Vorgesetzter, es gibt kein Gekeife, kein hysterisches Geplärre und man vermisst es auch nicht. Wenn der Regisseur wirklich einmal auf eine starke Bildsprache zurückgreift, dann tut er selbst das mit blander Hand. Aus dem Wald nähert sich ein Reh dem reglos auf der Vortreppe seines Hauses sitzenden Will, der sich eine Einkaufstüte aus PApier über den Kopf gestülpt hat, um sein rundes Gesicht den Blicken der ihn Ärgernden zu entziehen. Das Reh schnüffelt kurz am Kopf des Jungen und trottet dann gemächlich zurück. Das Reh erspürt den Charakter des Jungen und der ist rein, der ist gut, der ist vorbildtauglich. Der Junge hinwiederum konstatiert die Situation mit einer Prise, einem winzigen Hauch an Erstaunen und Verwunderung. ... und entledigt sich dann seiner Tüte. Wir sind weniger erstaunt. So allein wie er glaubt, ist Will gar nicht. Die kleine Klara, der Papa, Papas Freundin und - ja, auch die Kreatur nehmen ihn unvoreingenommen an, akzeptieren ihn so, wie er ist. Und geht das Herz auf. Das ist Gefühl ohne Kitsch, das ist Heldentum bar jeder Soziopathie, das ist große Erzählkunst. Wieder einmal müssen wir konstatieren: Wäre der Oscar noch etwas wert, so dürfte er diesen Film keinesfalls ignorieren. Nichts wirkt hier aufdringlich, nichts appelliert an den burlesken, an den banalen Geschmack des Pöbels, keine Silbe, keine Geste biedert sich der Primitivität an. Herr Albertin verzichtet konsequent auf Überzeichnungen – selbst der berauschende Indian Summer bleibt farblich eine Spur blasser als das Klischee. Nur in einer Hinsicht entfaltet dieses dezente Meisterwerk eine unerhört Wucht: in seiner Kernaussage nämlich, in seiner Hommage an echte Menschlichkeit, in seinem Verzicht auf jegliches verlogenes Heroentum, in seiner schonungslosen Ehrlichkeit, die der Regisseur und sein großartiges Schauspielerkollektiv, sein hervorragender Kameramann und der Cutter ohne die geringste Spur einer Wertung oder gar einer Anklage vortragen. Sieben Jahre ist es nun her, dass dieser Zauberkünstler aus Vancouver mit seinem Film „Weigthless“ reüssierte. Noch immer gibt’s ihn nicht als DVD oder BlueRay. Merkwürdig, was? Stattdessen trümmern sich noch immer Bruce Willis und Nick Cage, Godzilla und King Kong durch die Verkaufsregale. Diese defizitären Verkaufsprognosen sind eben keine abwertende Charakteristik für das Werk, sie bezeichnen nur den stets schlechten Geschmack der breiten Masse. Siehe die geniale Verfilmung des „Fischkonzerts“ von Halldor Laxness, 1973 für’s Fernsehen inszeniert von Rolf Hädrich. Ein großer Film – nirgends verlegt. Wir bedauern das sehr – aber vor Herrn Albertin ziehen wir unseren Hut! |
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2012
22.01.2025