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„Nebel
über Rønne“
ein Bornholm-Krimi von Herrn Michael Kobr Kotofeij K. Bajun. Güstrow. Ein Bornholm-Krimi also … Nun ja, davon gibt’s ja nun auch schon einige. Doch ein Bestsellerautor hat ihn geschrieben. Michael Kobr heißt er. Mit „Sonne über Gudhjem“ reüssierte er vor Kurzem. Wir sahen eine deutsche Ausgabe des Rønner Nebels im Schaufenster des Boghandel von William Dam auf dem Großen Markt von Rønne und griffen zu. 416 Seiten Urlaubslektüre mit Lokalkolorit. Authentische urbane oder rurale Bezugspunkte haben sich schon seit jeher als verkaufsfördernd erwiesen – seit Wallander, ach was, seit Sherlock Holmes wissen wir das. Na siehste, klappt doch immer wieder! Wir haben ja auch angebissen. Wenn das Geld im Kasten klingt … Will sagen, wenn das Buch über die Theke gewandert ist – dann ist es eh nicht mehr zu ändern. Also schauen wir mal rein. Der erste Punkt, der an Michael Kobr geht: Wir lasen das Buch in 48 Stunden durch. Ungelogen. Vom ersten bis zum letzten Wort. Das bedeutet, dass man es nicht nach der dritten Seite oder mitten drin angeödet zuklappt und in die Ecke, bzw. dann im Nachgang in eines dieser ehemaligen, als Buchtauschbörse umfunktionierten Telefonhäuschen legt. Doch gehen wir ans Eingemachte! Der Landbote ist berüchtigt dafür, dass er gerne und enthusiastisch lobt, wo es etwas zu loben gibt und nur selten, dann aber mit Verve verreißt, wenn ein Schuss wirklich böse nach hinten losgegangen ist. Das machen wir sehr ungern. Dazu muss man uns schon richtig ärgern. In aller Regel schweigen wir bei Minderleistungen und treten nicht nach, wie zum Beispiel zu der kurdischen Döner- und Pizzabude hinter dem Großen Rønner Markt in der Store Torvegade 23. Die Angestellten waren nett – die Pizza grauenvoll. Für die Carlsberg-Brauerei und die aus Svaneke war’s absatzfördernd, denn wir spülten unsere in Russland gestählten Mägen pintenweise mit deren Gerstensäften durch, um uns wieder einigermaßen zu erholen. Kurdistan ist halt nicht Neapel und nicht umsonst vermeldet das Sprichwort: Schuster, bleib bei deinem Leisten! Die Grauzone aber, dieses breite Feld zwischen Zenit und Nadir, die würdigen wir zu unserer Schande leider sehr selten einer Besprechung. Nun, auch dieser Punkt geht an Herrn Kobr: Sein Krimi „Nebel über Bornholm“ ist so ein Grenzgänger, so ein Wandler zwischen den Welten, für den wir über unseren Schatten sprangen. Irgendwer murmelte was von Spiegel-Bestsellerliste. Das ist kein Qualitätsausweis. Nicht für uns. Das klingt so wie „meistverkaufte Matratze Deutschlands“. Was sagt das über deren Güte aus? Gar nichts. „Meistverkauft“ appelliert an Masse. Massenware kann nützlich sein, so wie Briefklammern, Dübel oder Zahnstocher. Aber tausend VW-Golf machen noch nicht einen Maybach, tausend Reproduktionen von van Goghs Sonnenblumen oder die berüchtigten „Röhrenden Hirsche“ über Omas Schlafzimmerbette machen eben noch keinen Tintoretto, René Magritte oder Joseph Thors. Nein, in den erbärmlichen Tiefen solcher Banalität siedeln wir Herrn Kobrs Werk nun beileibe nicht an. Dazu ist das eine viel zu solide und ehrbare Handwerksarbeit. Herr Kobr beschreibt die Landschaft so, als bewege man sich in ihr. Das macht er ausgezeichnet. Er trifft den allgemeinen Umgangston der gegenwärtigen Generationen perfekt, zeichnet sauber die Charaktere seiner Protagonisten, auch an einem Schuss behäbigen Humors mangelt es ihm nicht. Das alles niederzuwalzen wäre hundsgemein. Das sei uns ferne! Darüber hinaus: Der Schmied braucht einen Bello für seinen Amboss – das gedrechselte Holzhämmerchen erfüllt hingegen auf dem Tische des Richters seinen Existenzzweck. QVIQVE SVVM! Auch die lesende Masse hat ubestreitbare Rechte. Frau Rowling und Herr Tolkien haben das eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Und – wer die Masse vom Verblödungs-TV weg zum Buch lockt, der hat Recht. … wenn sie nicht gerade Alfred Rosenberg, Rosamunde Pilcher oder Charlotte Roche heißen. Natürlich setzten die Holmes, Poirot, Maigret, Langustier, Mrs Marple oder Wallander Standards. Doch es ist wie mit dem Sport: Wer immer nur nach den Rekorden schielt, dem geht der Sinn des Sports verloren. Rekorde können sich nur aus dem breiten Mittelmaß heraus entwickeln und erheben. Das – und genau das ist der Grund, warum wir Herrn Kobrs Werk besprechen. Es repräsentiert im besten Sinne genau dieses Mittelmaß, das Fundament also, dem wir unseren Respekt nicht versagen. Zugegeben: Hätte Herr Kobr seinen Krimi, sagen wir, in Südtirol angesiedelt, keine Øre hätten wir aus unseren Taschen gefischt. Hier aber kamen ein paar Dinge glücklich zusammen: Der erwähnte Lokalkolorit, unsere Verliebtheit in Bornholm, der spannend klingende Anreißer: Flugzeug landet ordentlich, alle Passagiere tot … das hat in der Tat etwas ... und – wir hatten soeben eine anspruchsvollere Biographie über Salah al-Din durchgearbeitet. Das ist, wie wenn man nach einem zehntausend-Meter-Rennen ins Stadion einläuft. Da bleibt man auch nicht gleich hinter der Ziellinie stehen, da trudelt man noch locker und flockig in einer Ehrenrunde aus. Die Dramaturgie des Buches ist überschaubar. Viel zu sehr hangelt sich der Autor am Leitfaden „Wie baue ich einen Krimi auf“ entlang: Er übertreibt die Anzahl der Protagonisten nicht: Sieben Greifer, acht Zielpersonen, die man gleichzeitig als Täter oder Opfer im Blick haben kann, zehn periphere, ums Geschehen herum wabernde Gestalten, die mal mehr oder weniger aktiv in die Haupthandlung hinein grätschen. Die Täter und/oder Opfer werden nacheinander abgeschält wie kleine Zwiebeln, um mögliche Motive anzubieten und falsche Fährten auszulegen. Kommissar Zufall bekommt die obligatorische 26. Rolle zugewiesen. Den muss man sich ja auch nicht merken – den kennt man ja bereits sattsam. Insofern hielt sich Herr Kobr an die Goldene Regel, nicht mehr als zwei Dutzend Spieler mit eigenen Rollen auf die Bühne zu schicken, um das Publikum nicht zu überfordern. Nichts ist am Ende so nervtötend wie: „Wer war das gleich noch mal … ?“ Am Ende war’s dann doch das Unschuldslamm vom … Nee, spoilern, das tun wir Herrn Kobr nicht an. Er hat sich Mühe gegeben und er soll sich das Seine auch verdienen. Ja, der Krimi war süffig – das Lektorat patzte nur an einer einzigen Stelle, an der das Personalpronomen „er“ vergessen worden ist. Das ist schon für sich genommen eine saubere und anerkennenswerte Leistung in einer Zeit, in der ansonsten bei Massenware nicht mehr viel Wert auf einen ordentlichen Gebrauch der Sprache gelegt wird. Ein Hosiannah dem Goldmann-Verlag! Wie schon angedeutet, hat Herr Kobr durchaus verschiedene gesellschaftliche Milieus erfasst und mit einer wahrhaft anatomischen Präzision viviseziert. Applaus ist angebracht. Die großzügige Schriftsetzung tut ein Übriges, dass das Buch unter des Lesers Auge sanft und und ein wenig seicht dahingleitet. Dem angestrengten Auge tut`s gut. Wir werfen dem „Nebel über Bornholm“ keine Blumen hinterher und rollen ihm keinen Roten Teppich aus. Aber, und dieses Aber dröhnt als eherner Schlussakkord einer zugeneigten Rezension: „Wir bereuen keine einzige Minute unserer Lektüre, obwohl wir sie bei dem guten Wetter auf der Sonneninsel durchaus auch mit einem Spaziergang von Gudhjem nach Melsted zu den Schweinchens und Pferdchens und der allerliebsten Katzendame mit ihren kleinen Kätzchen hätten verbringen können!" Und wenn das nicht eine graziöse und liebevolle Kusshand ist, die der Preußische Landbote diesem Bornholm-Krimi zuwirft, na dann hätten wir diese Besprechung in den Wind geschrieben. Mit anderen Worten: Wir wünschen allen Krimis Herrn Kobrs, sie nicht in der Grabbelkiste eines Discounters wiederzufinden – denn dort gehören sie definitiv nicht hin.
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© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2012
08.073.2024