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„Viking“ - Russland räumt seine Geschichte auf Kotofeij K. Bajun Was einzig stört, das ist der Aufdruck auf der Hülle der BlueRay: "Das russische Game of Thrones!" Diesen Hinweis braucht es nicht. Diese fiktive Mittelalterserie sollte sich vielleicht umgekehrt auf "Viking" berufen ... was aber schon vom qualitativen Unterschied her obsolet wäre. Dann wäre da noch eine Kleinigkeit. Aber dazu später. Worum geht es? In der zweiten Hälfte des zehnten Jahrhunderts blühten die russischen Großfürstentümer auf. Taten sie das wirklich? Recht eigentlich führten die Herren dieser kotigen Holzburgen, umgeben von ein paar lausigen Hütten, mörderische Kriege gegeneinander in der Hoffnung, den Nachbarn an Macht überflügeln zu können. Brüder schlachteten sich gegenseitig ab, Frauen trieben Männer in wahre Gewaltexzesse – also nichts neues und exakt das, was überall auf der Welt geschieht. Was nun aber das Besondere an diesem Film ist: Er behandelt den Gründungsmythos Russlands, der mit der Einführung des Christentums durch Wladimir den Großen untrennbar verbunden ist. Und jeder auch nur halbwegs historisch gebildete Zeitgenosse weiß, dass dabei die Nordmänner kräftig mitgemischt haben. Justament das aber war für die Russen spätestens nach dem Zweiten Weltkrieg ein Riesenproblem. Die russische Geschichtsschreibung tat sich enorm schwer damit, zuzugeben, das Wikinger an der Kiewer Rus mitgewerkelt hatten, ja, dass die Rjruikiden und viele andere russische Fürstengeschlechter nordgermanischen Ursprungs waren. Jüngst erst sind doch pseudogermanisch-faschistische Horden in das russische Land eingefallen, um den Russen unter Verweis auf deren Untermenschentum alles zu stehlen, was diese besaßen! Nein, zu feinen Differenzierungen wollte sich die kommunistische Ideologie jener Tage nicht überwinden. Die unselige Saat der Nazis war zumindest im Stammland aller Slawen aufgegangen: Wikinger gleich Nazi gleich Agressor gleich Feind! Und nix von wegen Taufpate der Rus! Dieser Film nun macht mit der gequälten Geschichtsklitterung von einst tabula rasa. Er zeigt wie's war und hält sich dabei überwiegend an das Drehbuch der Historiographen. Und wie es wirklich war, das präsentieren die Bilder mit erbarmungs- und schonungsloser Offenheit. Ob es sich um die Vergewaltigung von Wladimirs zukünftiger Frau Rogneda handelt, die sich mit mindestens zwei Mordversuchen an ihrem Peiniger, den sie noch kurz zuvor als Sohn einer Sklavin verhöhnt hatte, rächen wollte, ob die Ermordung seiner „Schwiegereltern“ oder die seines Bruders Jaropolk gezeigt wird – dieser Streifen beschönigt nichts. Auch die Kulisse ist von Meisterhand gestaltet. So muss man sich slawische Festungen und Siedlungen dieser Zeit vorstellen! Man merkt, die Archäologen und die Historiker hatten ein gewichtiges Wort mitzusprechen. Der oben angesprochene Schönheitsfehler besteht darin, dass die Macher dieses Films gegen die Doktrin der Ostkirche noch immer nicht ankommen. Was das Pentagon bei US-Militärfilmen hinein regiert, dass scheinen hier die Patriarchate zu übernehmen. Immerhin ist der vielfache Mörder, Brudermörder, Vergewaltiger, Schänder, eiskalte Machtmensch Wladimir, gespielt von einem überzeugenden Danila Koslowskij, zu einem apostelgleichen Heiligen der Ostkirche verklärt worden. Er legte das Fundament für die heutigen Herren der Orthodoxie – und dafür sind sie ihm dankbar. Da sieht man schon mal über alle Untertaten geflissentlich hinweg, die sich vor der – mit Sicherheit auf pragmatischen Erwägungen beruhenden – „Bekehrung“ ereigneten. ... oder baut sie geschickt in die Heiligenlegende vom geläuterten Sünder mit ein ... Also wird unser Wladimir eine Spur weicher gezeichnet, als er es mit großer Gewissheit in Wirklichkeit war. Aber gut ... Der Gesamteindruck, den dieser Streifen bei uns hinterlassen hat, ist durchweg positiv. Für einen lauschigen Familiennachmittag bei Kaffee und Kuchen eignet er sich wohl eher weniger. Für jemanden aber, der daran interessiert ist, wie der Nackte Affe wirklich tickt, wenn man ihn von der Leine lässt – leistet „Viking“ Hervorragendes. Und auch für den Geschichtsunterricht ist der Streifen sicherlich ganz gut zu gebrauchen. Wer also auf unterhaltsame Art etwas über die jungen Jahre einer späteren Supermacht erfahren möchte und auch das nötige dicke Fell mitbringt, dem sei dieser Film von Adreij Kraftschuk wärmstens empfohlen.
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© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2012
18.05.2017