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Fressen und Moral

Don M. Barbagrigia. Rathenow. „Erst kommt das Fressen, dann die Moral!“ So postulierte es einst der große Brecht in seiner Dreigroschenoper. Brechts überragender Name zwingt zu modester Demut. Ihn ergänzen oder gar korrigieren zu wollen, erfordert schon eine gewisse Chuzpe.

Niemand soll jedoch sagen können, der Preußische Landbote sei feige. Also drauf und dran! Wir korrigieren den großen Brecht dahingehend, dass unsere Erkenntnis lautet: „Zuerst kommt die Gier und dann die Moral!“ Der Hunger spielt hierbei keine Rolle.

Das scheint derselbe Irrtum zu sein, dem bereits die seligen europäischen Aufklärer verfallen waren, die da meinten, ein gebildeter und wissender Geist führe zu einem sittlicheren Leben. Der gebildetere Geist erweitert im Allgemeinen nur seinen Werkzeugkasten, mit dessen Hilfe er sich seines Nächsten Weib, Haus, Hab und Gut aneignet, wie sich denn die mosaischen Gebote VI – X auch mit etwas geistiger Flexibilität interpretieren lassen. Ausnahmen bestätigen die Regel.

Es ist natürlich hundsgemein von uns Nachgeborenen, dass wir uns angesichts einer solchen kapitalen Fehleinschätzung vonseiten der Vordenker der Aufklärung vor Lachen am Boden wälzen. Die grenzenlos naiven Aufklärer wussten es nicht besser. Ihnen erschien logisch, was ihnen vorschwebte. Die Variable, die sie nicht kannten, die aber die Gesamttendenz des Terms bestimmt, lautet: Der nackte Raubaffe im Allgemeinen wird weder von Erkenntnis noch von einem Sättigungsgefühl motiviert, einen moralisch und ethisch vorbildlichen Lebenswandel anzustreben. Ausnahmen – auch in großer Zahl – gibt es zwar immer. Doch das steht hier nicht zur Debatte.

Als Beleg möge uns ein berühmt gewordenes Experiment dienen, welches die jüngst verwichene politische Ökonomin Frau Professor Nora Szech von der Universität Bamberg durchführte: Sie stellte ihre Probanden vor die Alternative, einige Labormäuse zu retten, wenn sie sich dazu entschlössen, auf eine gewisse Summe Geldes zu verzichten. Wohlgemerkt: Die Leute sollten nichts blechen oder von ihrem Eigentum zusetzen. Sie sollten nur auf etwas verzichten, was sie noch gar nicht besaßen – eben die in Frage stehende Geldsumme. Es hätte sie also unter dem Strich nichts gekostet, ein paar armen kleinen Kreaturen deren einziges gottgegebenes Leben zu retten.

Das Ergebnis war bemerkenswert – wir jedoch staunten kein bisschen darüber. Zu genau kennen wir die Natur des Nackten Raubaffen: Die meisten nahmen das Geld und überantworteten sehenden Auges die Tiere dem Vergasungstod.

Wie hieß noch gleich der weltberühmte Roman von John Steinbeck? Ah ja: „Von Mäusen und Menschen“… Wie kommen wir jetzt nur auf diese gedankliche Assoziation? Gier – Mäuse – Gas – Menschen … Fängt das nächste Wort mit dem Buchstaben „R“ an, wie „Rampe“ oder mit „A“ wie „Auschwitz“? Oder vielleicht mit „M“ wie „Majdanek“? Belzec, Sobibor, Treblinka, Bergen-Belsen ...

Was haben diese verkommenen Lumpenhunde mit den paar Kröten gemacht, diesem Judaslohn, für das sie ihre Mitkreaturen einem unzeitigen Tode überantwortet hatten? Klamotten „geschoppt“, die ein halbes Jahr später im Kleidercontainer gelandet sind? Von dem Rest Eis essen gewesen und mal wieder ins Kino gegangen, um irgendeinen hirntoten Streifen zu konsumieren, dessen Inhalt fünf Minuten später wieder vergessen war? Mussten die Mäuse dafür sterben?

Natürlich müssen sie dafür sterben! Hunderttausende Neger- und Indiokinder müssen Tag für Tag dafür sterben, damit irgendwelche reichen Töchter Amerikas ihre Luxus-Leiber an den überdimensionierten Pools ihrer Väter unter der kalifornischen Sonne rösten und dabei ihre sinnentleerte Cheerleader-Konversation treiben können.

Genau dafür führt Amerika Krieg in aller Welt! Und nicht nur deswegen. Sondern auch dafür, dass man nächstes Jahr einen noch größeren Pool anlegen kann, als der Nachbar einen hat. Ein noch protzigeren SUV fahren, ein noch größeres Haus auf Martha’s Vineyard bauen, die zweite Yacht in Miami vor Anker legen kann.

Man sage jetzt nicht, dass die russischen oder chinesischen Oligarchen von anderer Natur seien. Weder die Menschliche Dummheit noch ihre älteste Tochter, die Gier, interessieren sich für Pässe oder Nationalitäten.

Der arme afghanische Opium-Bauer, der nicht weiß, wie er seine Blagen über den nächsten Winter kriegen soll und deshalb seine Älteste mit dreizehn Jahren an irgendeinen Turban tragenden Tattergreis aus der Stadt als Ehefrau verhökert, täte haargenau dasselbe – wenn er denn könnte. Kann er aber nicht. Nicht umsonst lautet das deutsche Sprichwort: „Die kleinen Dieb man henken tut – vor großen lupfet man den Hut!“

Hat er mal ein bisschen Lottoglück, der Opium-Bauer, so kann man sicher sein, dass sich zu seinem bescheidenen Gewinn alsbald eine Kugel und ein von ihr verursachtes Loch in seiner Stirn gesellen werden. Schließlich möchten die Nachbarn auch etwas abhaben – und „etwas“ bedeutet an dieser Stelle getrost „alles“!

Fressen und Moral? Nö, Herr Brecht! Der Poolgaken-Vater und Abteilungsleiter bei der CIA oder bei Lockheed Martin ist mehr als satt. Er ist arriviert, er ist saturiert, er besucht mit seiner Edelgattin fleißig die Wohltätigkeitsveranstaltungen und spendet ebenso fleißig an die Wahlkampfkassen der Republikaner oder Demokraten und an seine Freikirche, seine „Familienuniversität“ und den Sportverein seiner Kinder.

Ist er darum ein moralischer Mensch? Machen sein Wohlstand und seine Spenden einen moralischen Menschen aus ihm? Wir sind da skeptisch: Seine Moral wird sich wohl eher darauf beschränken, dass sich seine Tochter wenigstens in seinem Kontrollbereich dem Quarterback ihrer Schulmannschaft nicht allzu knapp präsentiert und um 21.00 Uhr daheim ist.

Die Moral des alten Tubanträgers aus Afghanistan, der gerade eben günstig zu einer dreizehnjährigen Ehefrau gekommen ist, der vierten Ehefrau in seinem Haushalt – so viele hat ihm der Prophet -sein Name sei gepriesen – ja immerhin gestattet – wird sich darauf beschränken, dass dem kleinen Taschendieb vom Basar, der im selben Alter steht, wie seine jüngste Ehefrau, gemäß Scharia die Hand abgehackt wird. Nun kann der kleine, missratene Piefke nicht mehr klauen, was zweierlei bedeutet: Erstens, dass der Turbanträger beim nächsten Besuch des Basars bessere Chancen hat, seine Brieftasche wieder mit nach Hause zu bekommen und zweitens, dass die vom Vater und ihrem Bruder zum Krüppel gedroschene Mutter des kleinen Taschendiebes nun mangels alternativer Einnahmequellen gemeinsam mit ihrem amputierten Sohn verhungert.

Auch der Turban tragende Ehefrauen-Ankäufer ist – gehen wir mal davon aus – ein saturierter, ein gesättigter Mann. Wenn’s nicht mehr für den Sack Reis reicht, dann kann man sich auch keine vierte Ehefrau kaufen – einfachste Algebra. Seine Vorstellungen von Moral jedoch decken sich nur unzureichend mit unseren.

Also korrigieren wir das eingangs erwähnte Brecht-Zitat noch einmal – und diesmal richtig radikal: „Erst kommt die Gier und dann … - gar nichts mehr!“ Somit hätten wir das epochale Geheimnis nach dem Sinn des menschlichen Lebens gelüftet: Es besteht schlicht und ergreifend darin, dem Nächsten mehr oder weniger diskret in die Taschen zu fassen und lauthals zu lamentieren, wenn einem dabei auf die Pfoten geklopft oder man selbst bestohlen wird. Es besteht darin, die Ersparnisse der anderen in der eigenen Verfügungsspähre derart zu akkumulieren, dass diese Anhäufung von Geld und Vermögen jeden Sinn und jeden Verstand weit hinter sich lässt.

Es besteht darin, auf diesem Schatz zu hocken und in den wenigen Mußestunden den Bestohlenen beim Vegetieren zuzusehen, was noch den Gipfel der verfügbaren Moral darstellen würde. Recht eigentlich ist man ja damit befasst, dieses Vermögen noch gewaltiger zu vermehren, als es der da drüben, der auf dem andren Haufen hockt, vermag. Der könnte einen ja sonst schlucken! Dem Gewürm, das dabei unter den Füßen des Akkumulators zertreten wird, beim Leiden zuzusehen, ist schon wieder ein Luxus, den man sich im Sinne der Profitoptimierung nicht leisten sollte.

Es ist also das Gesetz des Korallenriffs, oder der Serengeti, wenn man so will. Nur, dass weder Fauna noch Flora auf die Idee kämen, mehr zu akkumulieren, als sie verbrauchen können. Dieser Irrsinn ist allein der Krone der Schöpfung, dem Nackten Raubaffen, vorbehalten. Bei dem hat Moral nichts verloren.

Moral ist eine Chimäre – eine Sportart einiger weniger kleiner Leute, die nicht viel mehr besitzen als ihr Spiegelbild. Denen dieses Spiegelbild zu kostbar ist, als sich vor ihm aus Ekel vor sich selbst übergeben zu müssen.

Frau Szechs eingangs erwähntes Experiment war sehr eindrucksvoll. Doch sie hat nichts Neues entdeckt. Genau sowenig, wie der mutige Magellan entdeckt hat, dass die Erde eine Kugel ist. Das wusste schon Eratosthenes 200 v. u. Z. Wir wagen zu behaupten, dass das Wissen um die Natur des Nackten Raubaffen noch älter ist. Das aber ändert nichts an der Brillanz beider Experimente. Die Augenscheinlichkeit ist schon eine großartige Sache. Etwas theoretisch zu wissen, dann aber praktisch vorgeführt zu bekommen, das sind zwei verschiedene Paar Schuhe.

Insofern fühlten wir uns gut gewappnet, als wir mit diesem Beitrag einmal die Frechheit aufbrachten, den großen Brecht zu korrigieren. Es möge es uns milde nachsehen. Amen.

29. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2003
29.08.2023