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Viel Erfolg, Sahra!

Zur Gründung des Bündnisses Sahra Wagenknecht

J. F.-S. Lemarcou. Werder (Havel). So, nun hat sie’s also getan! Was war das auch für ein Gesummse von der Konkurrenz und von deren angeheuerten Berufsskeptikern in all der Zeit vorher – und was das für einen Aufwand in sich bürge, und die Organisation … und nu isse da, die neue Partei!

Sie hat’s getan. Sie, Sahra Wagenknecht ist ein langjährig gedienter Politprofi. Die weiß, wie man so etwas macht. Nicht so, wie die Knallbonbons und verhinderten Silvesterraketen aus der anderen Ecke des politischen Spektrums, die ähnliche Ziele verfolgten: Schill, Lucke, Petry, Maaßen … Frau Wagenknechts Partei ist nun wählbar. Wir atmen auf! Endlich wieder eine Partei, derenthalben man ruhigen Gewissens seiner staatsbürgerlichen Pflicht zum Urnengang nachkommen kann.

Selbstredend ist uns nicht ausschließlich zum Jubeln. Hatten wir das nicht alles schon mal? SPD und USPD. KPD und DKP und MLPD – wobei letztere als Hort überlebter kommunistischer Orthodoxie wohl kaum ernsthaft in Erwägung gezogen werden kann. Überdies ist es so ähnlich wie mit einer Ehe oder der „ersten Million“. Beides zu erlangen, kostet schon ein gerüttelt Maß an Schweiß und Tränen – aber das ist nichts im Vergleich dazu, beides dauerhaft und langfristig zu erhalten. Solche Institutionen wie Ehen, Vermögen oder Parteien werden vor allem durch das sie alle miteinander verbindende Charakteristikum der extremen Flüchtigkeit vereint. Dieser kosmische Hang zur Steigerung der Entropie und zur erneuten Durchmischung der Bühnenelemente.

Überhaupt sieht es fürchterlich aus auf der linken Seite des Parlaments: Die Linken – Erbin der SED, welche wiederum seinerzeit die Ost-SPD inhalierte – wurde zu einer Bohème-Partei von Salon-Menschheitsbeglückern … Kommunisten will man das ja schon gar nicht mehr nennen, welche sich auf banalen Nebenkriegsschauplätzen lächerliche Scheingefechte mit Grünen und der alten Arbeiterverrätertante SPD lieferte und beiden doch so peu a peu immer ähnlicher wurde, bis es zum Schluss einfach nicht mehr auszuhalten war.

Die CDU wurde unter den Rigiden von denen Kanzlern Kohl und Merkel systematisch petrifiziert. Die kleine, jedoch nichts destotrotz machtgeile FDP windet sich wie ein Regenwurm am Angelhaken, um im Kabinett vertreten bleiben zu können, und schwadroniert mit dem schalen Eigenprädikat des „Verhinderers von Schlimmerem“.

Tja, und dann ist da noch die AfD. Die hat sich Volkes Stimme zu Eigen gemacht und den Stammtisch nobiliert. Wer jedoch glaubt, dass sie – einmal zur Macht gekommen – Volkes Wünsche auch umsetzen wird, der setzt an Naivität und Blauäugigkeit Standards. Sicher doch, das Eine oder das Andere werden sie schon ins Werk setzen. Vielleicht schaffen sie sogar die GEZ-Schurkerei ab. Die Verbrennerbauer und -fahrer werden wieder an ihren Auspüffen durchatmen können, der Genderblödsinn wird als unerquickliche Posse in den Geschichtsbüchern enden und die Vielzahl menschlicher Wesenheiten wird wieder auf zwei Geschlechter reduziert werden.

Vielleicht wird sogar die Asyl- und Migrationspolitik etwas restriktiver gehandhabt. Ob sich die AfDler hingegen tatsächlich mit den bereits etablierten Clans anlegen oder ob sie sich dann im Zuge ihrer Machtsicherung nicht eher mit denen arrangieren, das steht offiziell noch in den Sternen. „Clanmitglied ist, wen wir dazu bestimmen!“

Aber das alles beinhaltet nichts Substantielles. Was ist mit der Europa-Politik? Die AfD ist europafeindlich gesinnt. Man soll den Begriff „Europa der Vaterländer“ genauer unter die Lupe nehmen: Das ist rückwärtsgewandter Isolationismus, der in den Zeiten, in denen sich das Kapital längst globalisierte, jeden einzelnen auf sich allein gestellten Nationalstaat in die Bedeutungslosigkeit zurückbefördert. Man denke sich nur, was geschehen wäre, wenn das Deutsche Reich Bismarcks Einigung von 1871 nicht überstanden hätte und wieder in die losen zweihundert kleinen Fürstentümer zerfallen wäre! Polen hätte aufatmen können und sich an der polnisch-französischen Grenze – möglicherweise bei Torgau – mit den westfränkischen Vettern über eine pass- und visafreie Verkehrsregelung und eine Zollunion zwischen Warschau und Paris unterhalten können. Nun ja – für die Deutschen wäre das sicher nicht erstrebenswert gewesen und der Welt wären vielleicht zwei fürchterliche Urkatastrophen erspart geblieben – aber davon mal abgesehen: Aus dieser historischen Präzedenz lässt sich für Europa viel lernen.

Zweitens: Die Reden der blitzgescheiten Frontfrau der AfD, Frau Weidel, sind betörend wie die Gesänge der Sirenen. Dem ist kaum etwas Vernünftiges entgegenzusetzen. Aus diesem und keinem anderen Grunde ließ Homer seinen Helden Odysseus auf den Trick verfallen, sich an den Mast binden zu lassen und seinen Gefährten die Ohren zu verstopfen. Anders geht’s manchmal nicht.

Frau Weidel wird nicht die nächste Kanzlerin. Herr Höcke passt sich schon mal die Krone an. Das wird dann um Einiges schärfer gekocht als derzeit in Budapest, und bis vor einigen Monaten in Warschau. Dagegen werden sich italienische Verhältnisse oder unter Umständen zukünftige französische harmlos ausnehmen.

Deshalb begrüßen wir die Gründung der Wagenknecht-Partei. Mit einem Stirnrunzeln aber sehen wir, wie bereits eingangs erwähnt, dass sich Parteien und politische Strömungen wieder aufzuspalten beginnen – wie einst in der Weimarer Republik. Parteien werden – entgegen ihrem innerparlamentarischen Gefüge – kaum noch vom Mehrheitswillen getragen. Hingegen geben wieder einzelne Köpfe verstärkt den Kurs vor, die sich nach feudalem Vorbild mit einer Hausmacht versehen und zu herrschen beginnen. Alles, und das meinen wir durchaus parteiübergreifend, beginnt sich wieder den Verhältnissen in der Volkskammer anzunähern.

Natürlich kehren da neue Besen gut! Auch die Grünen waren zu Beginn eine basisdemokratische Partei, welche in vorbildlicher und engagierter Form Befindlichkeiten der Bevölkerung aufgriff, auf welche die etablierten Volksparteien keine Antwort zu geben wussten.

Solche Verbände folgen aber selbstverständlich früher oder später den Gesetzen der natürlichen Soziodynamik menschlicher Organisationen. Davon, also von späteren Verkrustungserscheinungen, von Machtgerangel und Richtungskampf, wird auch die Wagenknecht-Partei nicht verschont bleiben – wie immer sie dann heißen wird. Aber noch ist sie neu und jung und frisch und unverbraucht, ihre Zielstellungen sind klar umrissen.

Bedeutet nun eine Zersplitterung politischer Ideen und Verbände gleichsam eine Schwächung der Demokratie? Das ist ein zweischneidiges Schwert voller Ambivalenzen. Zu keinem Zeitpunkt hielten wir die USA mit ihrem Zweiparteien-System für einen Hort der Demokratie – auch wenn sich innerhalb der beiden großen Parteien viele unterschiedliche Strömungen und Polarisationen ausmachen lassen.

Auf die Regierbarkeit eines Staatswesens aber hat eine sich in der Breite verlierende Parteienlandschaft schon einen erheblich negativen Einfluss. Je mehr Parteien, desto länger die Konsens-Findungsphase mit möglichen Koalitionspartnern, desto größer die Anzahl an Koalitionspartnern bei möglichen Regierungen, desto schwammiger und somit instabiler die Koalitionsverträge, desto größer die Gefahr der Unregierbarkeit bei einer in ihrer schieren Opposition geeinten Opposition. Das Italien der Siebziger, Achtziger und Neunziger lässt grüßen. Von Polens altem Feudal-Sejm der zweihundert Szlachta-Platzhirsche mit jeweils eigenem Veto-Recht schweigt des Sängers Höflichkeit. Nur eine langfristig stabile Regierungsmannschaft, die sich auf ein solides und möglichst homogenes, in sich ruhendes Parteienfundament stützen kann, schafft die Voraussetzungen für eine fundierte Zukunftsgestaltung.

Der kluge und hochdekorierte deutsche Ingenieur Klaus-Peter T. sagte gerade heutigen Tages sinngemäß: „Einer Gesellschaft, welcher die Planungssicherheit abhandenkommt, fährt geradewegs zum Teufel!“ Jawoll, Recht hat er! Ständig wechselnde Regierungen, kurze Legislaturperioden, wechselnde Gesetzgebungen – das alles schafft eben mit der daraus folgenden, fulminanten Instabilität die Basis für eine maximale Planungsunsicherheit. Behüte uns der liebe Herre Gott!

Vielleicht aber kommt es alles ganz anders. Vielleicht schwächt die neue Wagenknecht-Partei die verkrusteten und sich selbst überlebt habenden Parteien der ehemaligen bürgerlichen Mitte so, wie die AfD das bereits seit langem tut. Vielleicht schwächt sie sogar die AfD in entscheidendem Maße, indem sie Wähler anzieht, die nur mangels einer wählbaren Alternative den Rechtsaußen ihre Stimme übereigneten. Das wäre ja mal was.

Mit einer klugen und ausgewogenen Mitgliederpolitik, welche die Fehler, die der AfD seit ihrem Bestehen unterliefen und die sie seit dem Absäbeln ihres einstigen Gründervaters, des Professors Lucke, so tragisch in Kauf nahm, nur um Masse, Masse, Masse zu generieren, nicht wiederholt, hätte die Wagenknecht-Partei eine reelle Chance.

Die AfD ließ sich, nur um dem Image der politischen Paria zu entgehen, mit dem Teufel ein und wunderte sich irgendwann, dass sie genau durch dieses Handeln ihren Ruf als Unberührbare erst zementierte. Denn schon mit einem Tropfen Essig wird der Milchreis ungenießbar und wenn man dann sukzessive noch Chili, Pfeffer und im Übermaß Salz hinzugibt, dann ist das einstige Dessert wohl auf keiner bürgerlichen Tafel mehr servierfähig.

Wir wünschen der Wagenknechtpartei, dass sie dem natürlichen Alterungsprozess noch lange widerstehen möge und ihren Weg in die Mitte der Gesellschaft findet – mit vernunftgetragenen und an der Lebenswirklichkeit der Menschen orientierten Konzepten, welche die Vergangenheit respektieren und im geforderten Maße berücksichtigen, die Gegenwart nicht überstrapazieren und eine lebenswerte Zukunft ermöglichen.

Ein Versuch ist es nicht nur wert. Es bietet sich sogar nach unserem Dafürhalten keine vernünftige Alternative. Deshalb werden wir sie unterstützen, solange sie sich selbst und ihrem Gründerprogramm treu bleiben.

Und: Hände weg von Moskau! Keine deutschen Waffen in den Osten! Emanzipation von einer blinden Hörigkeit gegenüber den Yankees in Übersee, Hände weg von Europa – aber Hand anlegen an europäische Willkür und Regulierungswut, Hand anlegen an eine GEZ, welche einen sogenannten Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk alimentiert, der seit Jahren seinem verfassungsmäßigen Auftrag nicht mehr nachkommt, sondern sich selbst zu einem überbezahlten Klüngel von Hofberichterstattern degeneriert; eine vernünftige aber strikte Einwanderungs- und Bevölkerungspolitik mit unverhandelbarer Ausweisung bei erheblichen und selbst verschuldeten Verletzungen der Bleibebedingungen, zu denen ebenso unverhandelbar die absolute Loyalität zum Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland und zu dessen pluralistischer und freiheitlich-demokratischer Grundordnung zählt. Eine vernünftige und nicht von größenwahnsinniger Hybris befeuerte Energiepolitik mit einer verträglichen Energiewende. Schluss mit politischer Augenwischerei und ideologischem Gedöns, mit Volkserziehung und Propaganda, mit Bevormundung und vor allem einer kristallinen Diskriminierung Andersdenkender gerade und vor allem in den Hochburgen derer, die sich den Kampf gegen jegliche Art von Diskriminierung auf die Fahnen geschrieben haben.

Wenn die neue Wagenknecht-Partei das zu leisten in der Lage ist, dann stehen wir hinter ihr mit all unserer Kraft und unserem Können. Glück auf, Sahra Wagenknecht, Glück auf, neue Partei!

29. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2003
11.01.2024