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Ostdeutschland und die Demokratie
Ein Symposium der Bundesregierung in Halle/Saale

Don M. Barbagrigia. Halle/Saale. Was längst befürchtet wurde und geradezu zwangsläufig erschien, ist nun passiert. Der Osten – zumindest erst einmal drei ostdeutsche Bundesländer verpassten der behäbigen deutschen Nachkriegsdemokratie einen Leberhaken von Format. Ehemalige Volksparteien wurden in Grund und Boden gestampft, die Möchtegern-Diktatoren von Grün in die Bedeutungslosigkeit gejagt und selbst die etablierte Linke, die doch im Osten immer ein veritables Standbein besaß, bekam eine durchgereicht, dass die Heide wackelte.

Der Osten begann sich einem unheilvollen Trend anzuschließen, der seit wenigen Jahrzehnten durch Europa wabert: Der Trend nach Rechtsaußen.

Allzulange scheinen die Schrecken des Zweiten Weltkrieges vorbei zu sein, vergessen der nationale Wahn, der die Völker Europas im ersten Weltenbrand bis zur totalen Erschöpfung gegeneinander hetzte. Die Kriegsruinen sind beseitigt. Diejenigen, die bei jedem Feuerwehrprobealarm mit schreckgeweiteten Pupillen vor sich hin starrten – eingedenk der Bombennächte, die ihnen von Airmarshall Harris und von den amerikanischen B52-Flotten beschert wurden, haben zum größten Teil ihre Augen bereits für immer geschlossen.

Ist die Masse der Hort des Bösen? Ist sie der Gralshüter der Dummheit und ökonomischen Kurzsichtigkeit, die nicht realisiert, das Natiönchen im Zeitalter der Globalisierung des Kapitals hilflos unter die Räder der Wallstreet und des chinesischen Wirtschaftsexpansionismus kommen?

Ist ganz Europa nunmehr in eine Art zweites Biedermeier abgerutscht, in der einige Schreihälse versuchen, gegen diese internationale Kapitalwalze mit etwas nationalistischem Pathos und einigen verlogen-romantischen Märchen von Vorgestern anzustinken?

Fakt ist, die demokratische, die konsensfähige Mitte der Gesellschaft, die kraft ihrer Masse fähig war, abweichende Positionen zu assimilieren und Extremisten zu ignorieren oder im Bedarfsfall gegen die Wand zu drücken – diese Mitte schmilzt dahin, wie die Grönlandgletscher während des Klimawandels.

Polen und Ungarn machten den Anfang, Italien und Holland zogen nach, in Frankreich, der linken Herzkammer Europas kämpft die demokratische Mitte gegen den Front National um das nackte Überleben. Die lammfrommen und herzensguten Dänen zogen mit ihrer nunmehr restriktiven Immigrationspolitik an rechts stramm vorbei.

Ja, man mag der Mitte Übersättigungseffekte in Bezug auf die Demokratie vorhalten. Da ist etwas dran. Demokratie wird als eine entscheidungsträge Gesellschaftsform verstanden, in der nichts recht voran geht, weil sich jeder ein Mitspracherecht erkühnt. Die Hamburger Oper, Stuttgart 21, die Bundesautobahn A 14, die geplatzte Chipfabrik in Frankfurt/Oder oder Magdeburg, die gravierenden Infrastrukturprobleme bis hin zum Bahnübergang in Wust bei Brandenburg an der Havel über die Bundesstraße 1, die nun als verlassener Rohbau vor sich hindämmert oder die Brandenburger Brücke des 20. Jahrestages der DDR – ebenfalls über die Bundesstraße 1 – die seit Jahren schlichtweg nicht mehr existiert. Demokratie gebiert Regelungswut und überbordende Bürokratie – aber wenig echte Mitsprache.

Man schaut in die Schweiz und erblasst vor Neid. Doch ließe sich dieses Modell eins zu eins auf ein achtzig-Millionen-Volk übertragen? Das ist schwer zu sagen.

Die Schwierigkeiten, die sich dabei für das politische System ergäben, führen jedoch nicht die Prioritätenliste der Volkswahrnehmung an. Das Volk interessiert sich nur für Ergebnisse, für die Herausforderungen, die ein politisches System an seine Alltagsprobleme richtet.

Das ist die Krux, die von der gesellschaftlichen Organisationen – wie Parteien sie nun einmal sind – eigenen Dynamiken wie Tanzbären durch die Arena gesellschaftlichen Lebens geführten Politiker ausgeliefert sind. Vekrustete, feudale Strukturen in ihren Parteien, innerparteiliche Macht- und Verteilungskämpfe und daraus resultierende sowie verfassungsrechtlichen Beschneidungen ihrer Handlungsspielräume verhindern auf Dauer das Volk befriedigende Lösungen für die anstehenden Probleme.

Was aber befriedigt das Volk. Wonach dürstet es?

Nun, in erster Linie nach sozialer Sicherheit, nach Wohlstand und Unbeschwertheit.

Diese Dinge aber wollen bezahlt sein – und hier greift Faustens Erkenntnis aus Goethes großem Opus um den mittelalterlichen Alchimisten: „ … nur der verdient sich Freiheit wie das Leben, der täglich sie erobern muss!“

Mit der Erobern aber haben es die breiten Massen nicht so. Das bedeutet Mühsal und Risiko und die stehen den vorab formulierten Grundbedürfnissen nun einmal diametral entgegen.

Wenn dann einer kommt und sagt: „Ich gebe euch eure Sicherheit – und es kostet euch gar nichts. Bezahlen lassen wir die anderen!“, dann ist ihm oder ihr massenweiser Applaus sicher. Was zählt da schon die persönliche Freiheit!? Zur Not kann man sich in seiner privaten Nische einigeln – auf der Straße legt man die geforderte Maske auf – und gut ist es.

... jedenfalls solange, bis der Einberufungsbefehl für den geliebten Mann, Papa, Sohn, Neffen, Freund ... kommt, damit der sich wieder eine Flinte umhängen muss, um dem Nachbarn dessen Ressourcen zu klauen. Und wenn dann wieder das Fallbeil droht, wenn man den Tod des geliebten Mannes allzulaut in der Öffentlichkeit beklagt, anstatt sich pflichtgemäß darüber zu freuen, dass er für "Volk und Vaterland", im Klartext: für die amtierende, verbrecherische Regierungsclique gefallen ist. Dann geht wieder das Gegreine los: "Sire, geben Sie Gedankenfreiheit!" und "Ach Gott, sind wir beschissen worden!"

Das zweite entscheidende Momentum liegt in der Tatsache begründet, dass hinter den Kulissen jeder noch so entwickelten Demokratie feudalistische Prinzipien regieren. Dessen werden sich die Wenigsten bewusst sein – die meisten aber haben aber eine Spürnase für diesen Umstand. Fernau würde von einem Instinkt der Volksseele sprechen.

Das nun nahm der Bundesbeauftragte für Ostdeutschland und Staatsminister Herr Carsten Schneider zum Anlass, zu einem Symposium in Halle/Saale einzuladen, an dem etwa 300 von der Bundesregierung angeschriebene Experten aus allen gesellschaftlichen Bereichen teilnahmen.

Aus allen? Nein leider nicht. Demokratie lebt davon, dass sie sich auch gerade mit denen auseinandersetzt, die ihr skeptisch gegenüberstehen. Wo also waren die Vertreter der Blauen, wie der Beauftrage zur Aufarbeitung der SED-Diktatur des Landes Sachsen-Anhalt, Herr Johannes Beleites klug anmerkte?

Sie waren nicht da und so trafen sich wie in einer hussitischen Wagenburg wieder einmal nur ostdeutsche Verteidiger demokratischer Werte aus sicherlich verschiedenen Perspektiven, gesellschaftlichen Schichten und Positionen, doch summasummarum wieder einmal unter sich.

Herr Hübner vertrat den Preußischen Landboten und die provokante, doch unter der Hand zustimmungsfähige These, dass jeder noch so gut ins Werk gesetzten Demokratie immer ein gewichtiges feudalistisches Element unterläge. Dieses zu ignorieren, wäre sträflich – denn dieses Element speise sich aus dem Hauptfaktor menschlichen Zusammenlebens – der Machtfrage. Diese werde auch in der Demokratie stets und ständig gestellt und verhandelt, nur eben auf anderem Wege, als in Diktaturen.

Für den Landboten ist zumindest die Notwendigkeit, solche Symposien auszurichten, ein nicht zu unterschätzendes Alarmsignal. Wir halten es nach wie vor mit dem dicken Winston: „Unter allen miserablen Gesellschaftsformen ist die Demokratie immer noch die beste.“ Egal, was sie uns kostet.

29. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2003
28.09.2024