Was ist dran am h-Index?
Ein kleiner Diskurs zur Objektivität von Persönlichkeitsbewertungen
aus dem Reich der Wissenschaft
Scholcher M. Druckepennig. Havelsee. Herrn
Professor Dr. Harald Lesch wird der Hirsch-Index 27 zugestanden. Das
ist sehr respektabel und hoch verdient. Was sagt dieser h-index, h-number
oder Hirsch-Koeffizient?
Nun, es ging Herrn Jorge Eduardo Hirsch, seines Zeichens Physiker der
Universität von Kalifornien in San Diego, um eine objektive Bewertung
seiner Wissenschaftskollegen.
Die Idee dahinter ist nicht schlecht, aber – wie man sehen wird – nicht
frei von Manipulationen. Denn hier geht’s um den Dollar. Selbstredend
wird dann natürlich auch gelogen, gekauft und betrogen. Wer das höchste
Rating vorweisen kann, der hat auch die Aussicht, die meisten Förder-
und Drittmittel auf sich und seine wissenschaftliche Existenz versammeln
zu können. Wir reden von nichts anderem als wie von den gezinkten Bewertungen
bei Amazon oder ebay. Skandale dieser Art wurden in der Vergangenheit
verschiedentlich ruchbar.
Herr Hirsch wählte als Maßstäbe seinerzeit den publizistischen Ausstoß
eines Wissenschaftlers. Auch hier muss natürlich enorm differenziert
werden: Veröffentliche ich im „Welt-der-Wunder“-Magazin oder in der
„Nature“ oder in einem maßgeblichen Fachblatt meiner wissenschaftlichen
Disziplin? Doch dabei bleibt’s nicht: Wie oft bin ich in dem jeweiligen
Organ zu lesen? Und jetzt kommt der entscheidende Aspekt: Wie oft werde
ich zitiert?
Die Errechnung dieses Koeffizienten ist etwas kompliziert. Das sei an
dieser Stelle vernachlässigbar. Größtmögliche Objektivität hat ihren
Preis.
Herr Hirsch postuliert: Wenn ein Wissenschaftler nach zwanzig Forscherjahren
auf einen Index von 20 kommt, dann gilt das als Marker für eine erfolgreiche
Karriere. Im selben Zeitraum einen Punktestand von 40 zu erreichen,
gilt als außergewöhnlich, 60 und mehr als singulär. So nachzulesen in
der Online-Enzyklopädie Wikipedia.
So gilt der eingangs erwähnte Herr Lesch – der zweifelsohne unter der
absoluten Mehrzahl seiner Fachkollegen seiner seriösen Arbeiten wegen
sehr geschätzt wird und der darüber als pädagogisch brillanter Vermittler
komplexer wissenschaftlicher Erkenntnisse in den populärwissenschaftlichen
Sektor zurecht ge-, wenn nicht sogar verehrt wird, als „erfolgreich“.
Das ist er in der Tat! Für unsere laienhaften Begriff sogar sehr erfolgreich
– und das auch und gerade weit außerhalb jeglichen Elfenbeinturms.
Daran wollen wir auch gar nicht rühren oder wackeln.
Uns geht es in der Tat um den Gradienten, den ein solcher Index induziert.
Wohin führt das? Wir werden den Verdacht nicht los, ein solcher Gradient
könnte einen ungesunden Wettbewerb initiieren. Wie gesagt – Förder-
und Drittmittel, Lehrstuhl- und Positionsbesetzungen, Einfluss auf Forschungsrichtungen
und – auch am Ende auf deren Ergebnisse? Marktfähige Ergebnisse am Ende?
Wie war das noch während der Corona-Hysterie?
Unser Herr geistiger Vater Tucholsky sagte: Vertraue niemandem, der
dir seine Sache mit den Worten begründet, er mache das schon seit zwanzig
Jahren so. Man könne auch eine Sache zwanzig Jahre lang falsch machen.
Dieser Aufsatz ist nicht mehr als die Anregung zu einem Diskurs. Wir
balancieren ohne Netz und doppelten Boden über ein Schwingmoor, nicht
wissend, wo wir den nächsten belastbaren Halt unter die Füße bekommen.
Aber es ist doch zumindest denkbar, dass ein solches Rating wieder zu
einer Autoriäten-Gläubigkeit führt, wie wir sie sattsam aus den Gründungsjahren
der Sorbonne kennen: Ptolemäus, wahrscheinlich h-index 80, hat gesagt,
die Erde ist eine Scheibe. Also ist es so! E basta! Platon, Aristoteles
und Pythagoras, alles wahrscheinlich mit einem h-index 100, wussten,
dass die Erde eine Kugel ist. Erastothenes, vielleicht ein h-20er, wies
es genial nach.
Aber 20 setzt sich nun mal nicht durch – nicht wenn, eine Kirche, die
eine mappa mundi wie die von Hereford oder die Epstorfer in Auftrag
nimmt, das aus dogmatischen Gründen nicht für zweckdienlich hält. Dann
lässt man eben die Antipoden auf dem Kopf laufen, oder, wenn sie sich
dabei halsstarrig gebärden sollten, hinten runter fallen. Wurscht!
Sind die Verhältnisse von heute so grundverschieden von denen damals?
Wohlgemerkt, das ist eine Frage, die wir aufwerfen. Wir kennen die Antwort
nicht – wir vermuten sie nur, davon ausgehend, dass sich der Nackte
Affe durch die Äonen hindurch keineswegs auch nur um ein Jota ändert.
Dann gibt’s da noch die Frage der „Blase“ zu erörtern. Steckt man in
einer solchen, und hat man auf verschiedenen Seiten der Blase mehrere
Zugänge zu den entsprechend renommierten Medien, dann kann man sich
schon gegenseitig die nötige Kooperation angedeihen lassen und sich
ganz lege artis gegenseitig zitieren, bauchpinseln, hochjubeln. Die
Relevanz oder Richtigkeit des damit verbundenen wissenschaftlichen Ergebnisses
wird deswegen nicht im Geringsten gesteigert.
Zum letzten stellen wir die Frage: Qui bono? Den größten Index sollte
derjenige tragen, dessen Arbeit der Menschheit am meisten nützlich ist
– und zwar in positiver Hinsicht. Auch eine Atombombe kann sich kurzfristig
durchaus als nützlich erweisen – man verzeihe uns diesen brutalen Zynismus!
– langfristig bringt allein ihre Existenz die Menschheit ins sichere
Verderben.
Insofern wollen wir unserem Paradephysiker Herrn Lesch eine L-Index,
einen Landboten-Koeffizienten von 80 zugestehen, denn wer sich so engagiert
und blasenfrei für die Volksbildung stark macht, wer an vorderster Front
mit seinem Fachwissen und seiner erworbenen, nicht verliehenen Autorität
die Mikrobe der Menschlichen Dummheit angeht – dessen Wirkmächtigkeit
soll nicht unterschätzt, sondern geehrt und gewürdigt werden. Anderen
und Nachfolgenden zum Anreiz, weg von den Verlockungen des Karrierepfades.
Das sagen wir im Übrigen auch vom Berliner Stadtarchäologen Herrn Prof.
Dr. Matthias Wemhoff. Der L-Index ist nun wirklich nicht korrumpierbar,
weil er zu unwichtig und von viel zu geringer Reichweite ist. Daher
kann man ihn getrost genießen.
Unsere Quintessenz lautet also: Die gute Idee hinter dem h-Index berechtigt
nicht zu einem kritiklosen Umgang mit ihm. Wachsamkeit und ein gesundes
Misstrauen sind immer geboten.