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Staatssicherheit deckt auf:
Hübner ist ein feindlich negatives Element!

B. St. Fjøllfross. Havelsee.Nun ist es raus: Die DDR hatte keine rechte Freude an unserem Redakteur Herrn Hübner. Irgendwie muss der das ja schon geahnt haben. Zweimal hatte er beim Ministerium für Staatssicherheit gesiebte Luft geatmet – einmal im Frühjahr 1982 in Brandenburg an der Havel und einmal im Herbst 1989 in Berlin-Lichtenberg. Davon war zwar in den noch existierenden Dokumenten nichts mehr zu finden. Aber wenigstens waren die Genossen von Schild und Schwert der Partei so nett, ihm eine „feindlich-negative Grundeinstellung“ zu attestieren. Sogenannte VSH-Dateien, „Vorverdichtungs-, Such- und Hinweiskarteien“ der MfS-Kreisdienststelle Brandenburg/Havel und der Bezirksverwaltung Berlin-Mitte gaben entsprechende Hinweise.

Gegen wen oder was aber richtete sich diese „feindlich-negative Grundeinstellung“? Gegen den Kommunismus als Idee? Gegen eine sozialistische Weltordnung, welche die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen verneint und abschafft? Nicht doch. Dagegen hatte Hübnern gar nichts einzuwenden.

Aber es gab da diese Vertreter des sogenannten real existierenden Sozialismus – verknöcherte Bonzen, ideologische Rechthaber, die aus der Zeit gefallen waren, in der Zeit ihres Klassenkampfes stecken geblieben waren und nicht begriffen, dass neue Generationen naturgemäß andere Ansichten über die Dinge haben.

Zudem waren sich die alten Genossen, denen man beim Studium des Marxismus-Leninismus eingetrichtert hatte, dass das Sein das Bewusstsein bestimme, in dem Irrtum befangen, dass einfache Menschen sich stets der Wohltaten bewusst seien, die ihnen erwiesen würden und das mit einer immerwährenden Dankbarkeit honorierten. Es ging nicht in ihre Bonzenschädel, dass Menschen Gegebenes irgendwann – und zwar sehr schnell – als selbstverständlich betrachten und dann nichts anderes zu tun haben, als neidisch zum Nachbarn zu schielen und dessen Hab und Gut zu begehren. Eine Straßenbahnfahrt 10 Pfennig, ein Brötchen 5? Miete kostet nur 30,- Mark im Monat und die Medikamente und Krankenhausbehandlung kosten gar nichts? Aber natürlich. Was soll die Frage? Ich kriege keine Bohrmaschine zu kaufen und aus der Werbung im Westfernsehen ertönt es „Black&Decker, Black&Decker, Black&Decker …!“ Verstehen Sie: Die da drüben werfen einem das hinterher, was hier nicht zu bekommen ist. Scheiß auf die billige Miete in der Bruchbude, wenn ich nicht mal ein Loch in die Wand bekomme!

Der junge Hübner begriff beizeiten, dass es sich beim DDR-Sozialismus in Wahrheit um einen allseits verlogenen Neo-Feudalismus handelte. Buchstäblich alles basierte auf hanebüchenem Blödsinn: Die Legende um den antifaschistischen Schutzwall, die Heuchelei um die institutionalisierte Deutsch-Sowjetische Freundschaft, die für alle Beteiligten gefährlich werden konnte, wenn man sie im privaten Kreise ernst zu nehmen trachtete, die Bezahlbarkeit der Korruptionsversuche auf dem Gebiet der billigen Mieten, des kostenlosen Bildungs- und Gesundheitswesens, die niedrigen und hochsubventionierten Preise für die Grundnahrungsmittel …

Wohin man auch blickte, der Schwachsinn, der von den noch debileren und allgegenwärtigen Parolen und Losungen nur unzureichend überdeckt wurde, sprang jedermann an, der noch über einen eigenen Verstand verfügte. Ideologien zeichnen sich ja dadurch aus, dass sie stets und überall ein sehr gespanntes Verhältnis zur gelebten Realität aufbauen.

Das war es, was Hübnern damals schon provozierte, die Dinge beim Namen zu nennen. Wer aber die Wahrheit sagt, braucht ein schnelles Pferd, heißt es in einem alten Sprichwort. Hübner hatte kein Pferd. Dafür durfte er dann hinter Milchglasbausteinen, die das „Fenster“ seiner Zelle verschlossen, die Kacheln seiner Zelle zählen. Das war schnell getan, da die Zelle an drei Seiten über einen Ölsockel verfügte. Die Liege wurde tagsüber hochgeklappt, die Klospülung ging nur von außen, etwas zu lesen – Fehlanzeige – Verhöre nur nachts, wenn man richtig müde war.

Hübner war knapp achtzehn und Lehrling des VEB Stahl- und Walzwerkes Brandenburg und er erklärte allen Ernstes seinem Vernehmer, dass er, Hübner, der einzige Vertreter der herrschenden Arbeiter-und Bauernklasse sei, wozu sich sein studierter Vernehmer ja wohl kaum rechnen ließe. Dieser sei lediglich sein Werkzeug, von ihm, Hübnern, geführt, um Klassenfeinde zu jagen und zu vernichten. Es sei nicht akzeptabel, wenn sich das Werkzeug zu einer Gefahr für seinen Besitzer wandle. Der Vernehmer – gedrillt auf christliche Opponenten und diskussionsfreudige Argumentierer – verstand die Welt nicht mehr. Nach zwei Tagen warfen sie ihn frühmorgens raus und verabschiedeten ihn mit den Worten, er solle sich vorsehen, man könne auch anders.

Trotzdem ließen sie ihn an der Humboldt-Universität zu Berlin Medizin studieren, trotz 2er Abiturs, trotzdem der Vater Arzt und die Mutter Hebamme war, trotzdem weder er noch irgendjemand in der Familie in der Partei war oder beim MfS unter Vertrag stand – auch der Vater war ein Renegat, der den Parteivorsitzenden der BPO in dessen Parteiversammlung verhöhnte, obgleich er als Nichtparteimitglied gar keinen Zutritt zu dieser Versammlung hätte haben dürfen. „Hört, hört,“ rief der Alte, „der Hahn der Revolution hat gekräht!“ Später verhaftete das MfS den Vater vom Operationstisch weg, an dem er als Operateur stand. Das Leben der völlig unbeteiligten Patienten, deren Bauch weit geöffnet war, spielte für die Genossen vom Ministerium für Staatssicherheit überhaupt keine Rolle. Darüber stand nichts in ihrem Befehl, den Oberarzt Hübner zu verhaften. Sie brachten ihn am selben Tage aus der Potsdamer Lindenstraße zurück, weil sie einsahen, dass sie sich selbst in einem Gewirr haltlosen und abstrusen Blödsinns verfangen hatten.

Dennoch wurde Hübner zum Studium der Medizin an der Humboldt-Universität zugelassen und im Herbstsemester 1987 immatrikuliert. Das Seminar 12/87 war seines.

Das, Genossen bürgerliche Historiker, gehört für euch sicher zu der unangenehmen Wahrheit über die DDR, die ihr nach dem Vorbild der von euch so geschmähten und verachteten DDR-Historiker ebenfalls geflissentlich in den Skat zu drücken versucht.

Die Feinde Hübners waren die Bonzen, die sich auf ihren Feiern bis zum Koma besoffen, und dann ihre Schnapsleichenkörper nach Feudalherrenmanier von ihren Kutschern, die brav in den Nomenklatura-Karossen vor dem Anwesen der Gastgeber warteten, nach Hause kutschen ließen. Die ihre Privilegien nutzten und sich in jeder Hinsicht genauso aufführten, wie einst der Adel.

Die Feinde waren diejenigen, die ihm aberwitzige Märchen über den Sinn und Zweck der Freiheitsberaubung durch den antifaschistischen Schutzwall erzählten, dessen Absicherungen ganz offensichtlich auf der „falschen Seite“ installiert waren: Die „Klassenfeinde“ kamen und gingen, wie es ihnen beliebten – wenn aber Hübner der Demarkationslinie zu Westdeutschland zu nahe kam, dann dunkelte Bautzen am Horizont herauf.

Das Geld in der DDR war weniger wert als das Spielgeld beim Monopoly – das kam wenigstens aus dem Westen. Bei den „Brudernationen“ des sozialistischen Blocks waren weder sein Geld noch er als Menschen etwas wert. Im Gegenteil: Wer aus der DDR kam, war der Faschist. Wer aus Westdeutschland kam, war der gute Deutsche, dem man liebedienernd in den Arsch kroch.
Hübnern lernte beizeiten, dass es eine charakterliche Grundvoraussetzung für einen guten Kommunisten sein müsse, bereit zu sein die eigene Großmutter für Westgeld zu verschachern nud die eigene Gesinnung als Draufgabe hinterherzuwerfen. Er verachtete das Pack abgrundtief.

Ja, wenn sich die Möglichkeit ergeben hätte, er wäre gegangen. Als ihm der Vater zum 18. Geburtstag eine Reise nach Budapest schenkte, auf die er ihn begleitete, verabschiedeten sich beide, bevor sie in Schönefeld gemeinsam das Flugzeug bestiegen. Ebenso auf dem Rückflug. Es hätte ja sein, können, dass die Maschine unvorhergesehen in Frankfurt am Main landet. Dann wäre Hübnern ausgestiegen und der Vater sitzengeblieben. Ob sie sich jemals wiedergesehen hätten, wäre 1982 sehr ungewiss gewesen.

Ja, Hübners feindliche Negativität hat Tradition! Heute renitiert er schon wieder. Diesmal ist es die freiheitlich-demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland und die Idee eines vereinigten Europas, der er bedingungslos die Treue geschworen hat.

Wieder sieht er beides bedroht durch Leute, die sich angeblich derselben Haltung verschworen haben, vor aller Augen jedoch diese Idee hintertreiben. Leute, die in neofeudaler Manier in Lehens- und Abhängigkeitsmanier herrschen und regieren, das Volk mit dämlichen Märchen einlullen, von denen eines blödsinniger ist als das nächste – wir sagen an dieser Stelle nur „Northstream II“.

Ja, Hübnern ist ein feindlich-negatives Element“ – und stolz darauf. Denn dieses Prädikat, das ihm vom DDR-Geheimdienst ausgestellt wurde, ist noch dreißig Jahre danach ein Garant dafür, dass das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland wenigstens noch einen treuen Gefolgsmann hat, solange dieser lebt.

28. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2009
17.06.2023