Bei Amazon ist Karneval
und die Pappnasenkrämer tuten Hybris aus der
Bütt
B. St. Fjøllfross. Havelsee.Wie
sagte unser geistiger Herr Vater Dr. Kurt Tucholsky so schön: Wer die
Butter hat, wird frech. Amazon hat eine Menge Butter – folgerichtig
werden die Krämer frech, saufrech … und was das Schlimmste ist, in einem
unerträglichen Maße dummfrech!
Da war also unser Redakteur Herr Hübner seit etwa zwanzig Jahren Amazon-Kunde
mit eigenem Konto, sorgte für einen nach Tausenden zählenden Umsatz,
zumal er auf dem platten Lande wohnt … das war so schön bequem und man
bekam ja auch mehr als im KdW. Er half den Internetkrämern, den Einzelhandel
zu ruinieren und sorgte dafür, dass die Post Leute einstellen konnte.
Nie verursachte er in diesen zwanzig Jahren irgendwelche Zahlungsausfälle,
zahlte schnell und pünktlich nach den Prinzipien hanseatischer Kaufmannschaft,
die er von seinem Großvater, einem Kaufmann, gelernt hatte. Von diesem
hatte er auch gelernt, dass der Kunde König sei. … und das man diesem
als Kaufmann tunlichst nicht dämlich kommen sollte. Bei Amazon aber
scheint ein Paradigmenwechsel erfolgt zu sein, weil man offensichtlich
angesichts der schieren Anzahl der Kunden und deren Hang zur Bequemlichkeit
meint, auf den Einzelnen käme es partout nicht an.
Nun wissen wir zwar, dass laut der Chaostheorie – die Amazon in rauen
Mengen vorhält, aber vor lauter Schacherei kaum selbst lesen wird –
der Flügelschlag eines Schmetterlings am Amazonas (sic!) grundsätzlich
einen Orkan in Florida auszulösen in der Lage wäre. Es wäre zu schön,
wenn der Preußische Landbote mal für ein paar Minuten die Metamorphose
zu einem prächtig bunt-flatternden Falter absolvieren könnte, um einen
Tornado in Seattle zu veranlassen.
Nun ja … der Großvater also … Er ackerte zwar hart – aber viel Butter
hatte er deswegen nicht. Deswegen wurde er auch nicht frech … Nein,
nicht nur deswegen, sondern weil der Großvater ein anständiger Mann
war und kein ehrvergessener oder grenzdebiler Lumpenhund. Er war eben
ein kluger Mann, der als guter Kaufmann auch seinen Enkel lehrte, dass
im Leben alles, wirklich alles seinen Preis habe. Und wer einen kurzfristigen
Vorteil erhaschen will, zahlt oftmals langfristig mit immensen Zinsen
dafür.
Über seine Einkäufe hinaus schrieb Herr Hübner auch noch die ein oder
andere Rezension zu manchen Artikeln – die anderen Interessenten sollten
wissen, woran sie sind.
Einmal gab es wohl eine Beanstandung, weil Herr Hübner nun mal ein ostdeutscher
Journalist ist, der es gewohnt ist, geradeaus zu reden, die Dinge beim
Namen zu nennen und nicht – wie es im Westen seit einigen Jahrzehnten
üblich geworden ist, weichgespülten Seierbrei abzusondern, nur um bloß
keine Auseinandersetzung zu provozieren, bei der sich jemand auf den
Schlips getreten fühlen könnte. Man kennt das ja: Selbst die Personaler
sind – nota bene – verpflichtet, selbst den größten Canaillen der Zunft
„wohlwollende Abschlusszeugnisse“ auszustellen, wenn es denn mal gelang,
sich von diesen zu trennen. Alles andere würde ja Persönlichkeitsrechte
verletzen. Diese hilflose Idiotie, mit der die Grünen und nun auch Amazon
versucht, über eine Kommunikationsreglementierung eine schöne neue Welt
(frei nach Aldous Huxley) zu initiieren, ist schon beinahe rührend,
wenn sie nicht schon wieder – wie schon so oft in der Geschichte – einen
jakobinischen Charakter zu Lasten der bürgerlichen Freiheit gewänne.
Hier kann es nur heißen: Wehret den Anfängen! Und zwar mit Force und
Entschlossenheit!
Das ist nun mal so im real existierenden Kapitalismus, vor allem seit
der Sozialismus als Konkurrenzmodell verschwand und die Kapitalisten
die Masken getrost wieder fallen lassen konnten – in der Sprache blumig,
verheuchelt und verlogen – wenn’s um den Taler geht, dann knallhart
und gnadenlos. Mit den sinnentleerten Höflichkeitsfloskeln, mit denen
er aus dem Haus und unter die Brücke komplimentiert wird, kann sich
der arme Teufel den Arsch abwischen – aber Hauptsache man wahrt die
scheinheilige Etikette.
Nettikette heißt das auf Neudeutsch. „Seien Sie doch so nett, und verrecken
Sie woanders …! Wir drücken Sie in die Ecke, bis sie quietschen – aber
das mit aller gebotenen und DIN-geregelten Höflichkeit.“ Widerlicher
geht’s kaum noch.
Zum hundertsten Male Maxe Liebermann: auch wir können gar nicht so viel
fressen, wie wir kotzen möchten vor diesem schleimigen Gekräuch! Kein
Wunder, dass wir uns nach Nikita Chrustschow zurücksehnen!
Worum geht es also? Jüngst kaufte Herr Hübner eine DVD – wenn er sich
recht entsinnt, nicht einmal bei Amazon – „The Family – fürchte deinen
Nächsten“… Es geht um ein pseudoreligiöses Ehepaar, das seine Kinder
unter der Maske einer exzessiv vorgetragenen und vorgeblichen Frömmigkeit
brutal schindet, mordet, vergewaltigt, bis sich die Kinder zu wehren
beginnen.
Also in etwa die Verlogenheit, die wir gerade der von Amazon so präferierten
„Nettikette“ attestierten.
Irgendwo las Hübnern dann eine Rezension einer Frau, deren Nervenkostüm
für derlei harten Tobak zu dünn war und die sich sinngemäß aufregte,
wie man denn so etwas cineastisch darbieten können. Hübnern fühlte sich
auf den Plan zitiert und aufgerufen, dazu Stellung zu nehmen. Ebenfalls
sinngemäß meinte, er das Wertvolle an diesem Film sei, dass er zeige,
wozu Menschen wirklich fähig sind und wer davor die Augen verschließe,
mache sich am Elend der Opfer mitschuldig.
Eine solche Äußerung ging Amazon entschieden zu weit! Das verstieß gegen
die „Nettikette“ und die Krämer mit der Butter verstiegen sich zu dem
Wahnsinn, Hübnern abzumahnen und – man halte sich gut fest: mit der
Kündigung seines Kundenkontos zu drohen.
In Hübners Dienstzeit bei der NVA fragte man Leute, deren Wahnsinn offensichtlich
jeder Realitätsbezug abhanden gekommen ist, ob sie „Höhe hätten“ und
sie mögen doch „wieder runterkommen von ihren Lampen!“
Amazon glaubt tatsächlich – wahrscheinlich ausgehend von der blanken
Zahl der kaufsüchtigen, von innen komplett hohlen Zombies, die den unabdingbaren
und essentiellen Lebensinhalt in einem Kundenkonto bei Amazon sehen,
man könne einen Ossi wie Hübner, der zweimal beim Ministerium für Staatssicherheit
eingesessen hatte und für Mielkes geplantes KZ in Merseburg vorgesehen
war, sprachlich disziplinieren unter Androhung des Verlustes eines „AMAZON-KONTOS“.
Wenn das nicht auf einen völligen mentalen Kollaps der Krämer schließen
ließe, könnte man sich vor Lachen am Boden wälzen. Das ist ja an Clownerie
nicht mehr zu überbieten!
Zugegeben, bei einem Volk, was sich ungebildete Schwadronneure als Regierung
gegeben hat, könnte bei einem erklecklichen Teil der Kundschaft dieses
größenwahnsinnige Konzept von Speer’schen Ausmaßen durchaus aufgehen.
Hübner kündigte seinerseits sofort sein Kundenkonto und siehe da – das
geht nur über einen Antrag. Na schau mal an, wer da an wem klammert.
Rein kommt man schnell, raus anscheinend so gut wie gar nicht. Ach du
kleine Krämerkrake – da hauen wir dir mal fix auf deine Saugnäpfe, und
dann wollen wir doch mal sehen, ob wir das Tischtuch nicht zerschnitten
kriegen.
Hübner, dessen einer seiner acht Berufe „Historikus“ ist, hat viele
Imperien in der Welt kommen und verschwinden sehen. Allen war gemein,
dass ihre letzten Tage von Hybris begleitet waren.
Amazon hat das Geheimnis imperialer Unsterblichkeit gelüftet? Wirklich?
Wo ist die Neue Heimat, die Dresdener Bank, AOL, Barings, Lehman Brothers
… wo sind sie denn? Auch Amazon setzt irgendwann mal auf das falsche
Pferd und dann geht’s ganz fix dahin, wohin Herr Hübner seinen ehemaligen
Geschäftspartner in seinem Abschiedsschreiben gewünscht hat: in die
Hölle!
Was nun die Rezension betrifft: Natürlich unterlag ihr der gefühlsduselige
Humanismus, von dem sich Herr Hübner nun mal blöderweise nicht verabschieden
kann. Wen er attackierte, und deshalb ist er ja auch Redakteur des Preußischen
Landboten, das ist die Mikrobe der Menschlichen Dummheit. Und der muss
er wohl ganz gehörig bei Amazon auf die Füße gelatscht sein.
Irgendwie entbehrt das ja auch nicht einer gewissen Logik: Leute mit
Oxford-Diplom wird man wohl im Kreise der Rezensions-Zensurbehörde von
Amazon vergeblich suchen. Was also außerhalb des geistigen Horizont
dieser Zensoren angesiedelt und für diese intellektuell nicht zu erfassen
ist, wird also per se geschreddert.
Hübner verwies in seinem Abschiedsschreiben darauf, dass Amazon ihm
gegenüber zu dem Verdacht Anlass gab, verfassungsfeindliche Tendenzen
zu entwickeln und sich also in die Reihe derer einzureihen, denen an
einem Rückbau der noch immer auf dem Papier existierenden freiheitlichen
Demokratie gelegen ist. Da solche Leute für ihn auf der anderen Seite
der Front stehen und er nicht dafür bei Mielke im Kahn gesessen hat,
dass er sich heute schon von Krämern seinen Duktus vorschreiben lassen
soll – das ist schon dicke genug, dass sich das rot-grüne Berliner Republik-Abrisskommando
solcher Attitüden unterfängt – weigert er sich also, mit solchen Leuten
weiterhin eine geschäftliche Beziehung zu unterhalten. Beim Grundgesetz
kennt Hübner kein Pardon – und wer den Fünfer des Grundgesetzes zu unterminieren
versucht, der steigt zu einem Hübner in den Ring, der mit dem Zwanziger
als Schild und Schwert den Feind angeht.
Zugegeben, viel Ehre bringt es ja nicht ein, sich mit durchgeknallten
Krämern zu balgen – aber sei’s drum: Wertvolleres Material wird sich
unter den obwaltenden Umständen dieser absaufenden Gesellschaft kaum
finden lassen. Also sei’s drum – ein Tritt in den Hintern und raus mit
denen! Fort mit Schaden.
… und mit einem guten Gewissen noch dazu: Ab sofort keine indirekte
Beteiligung an der Knochenmühle in den Amazon-Logistikzentren. Das ist
doch wieder ein überzeugender Beweis für die Stimmigkeit marxistischer
Dialektik – es hat doch alles zwei Seiten, und davon mindestens eine
gute. Und was Hübnern betrifft: Der hält’s mit dem Eisernen Kanzler,
der das schöne Wort „saturiert“ adelte. Fürwahr, das ist er. Was er
darüber hinaus sonst so braucht, dass bekommt er woanders auch. Und
wenn nicht, dann ist es auch nicht so wichtig. Also – wenn etwas entbehrlich
ist auf dieser Welt, dann gehört Amazon mit Sicherheit dazu – und zwar
an prominenter Stelle.
Horch – die Druckfahne rauscht heran … und sie flattert so schön. Seattle
– auch wenn wir es nicht sein sollten ..., bei dieser Art, mit Menschen
und Kunden zu verfahren, ist es nur eine Frage der Zeit, dass einer
von diesen Schmetterlingen den entscheidenden Orkan initialisiert. Die
nächsten werden dann kommen und dann geht das Spiel von vorne los.